Die gute Nachricht kommt, als sich ein aufregender Freitag schon fast verabschiedet hat. Es ist ein leiser Abgang, ohne Knall – zum Glück. Die Fliegerbombe ist entschärft. Etwa 2 000 Leute durften zurück nach Hause.
Aber was ist das für eine Woche? In nur fünf Tagen hat diese Stadt die gesamte Klaviatur an Bedrohungs-Szenarien erlebt, die von Bomben und Sprengsätzen ausgehen. Und das ausgerechnet vor den Feiern zum Tag der Deutschen Einheit.
Am Montagabend haben zwei Sprengstoffanschläge Dresden erschüttert – vor einer Moschee in Cotta und auf der Terrasse des Kongresszentrums. Verletzt wurde niemand, doch die Tat hat bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Die Polizei geht von einem fremdenfeindlichen Anschlag aus. Die Täter sind noch nicht gefunden.
Am Donnerstag löste eine Bombenattrappe den nächsten größeren Polizeieinsatz aus. Unbekannte hatten eine Tüte, aus der Gläser und Drähte ragten, unter der Marienbrücke an einem Pfeiler platziert. Wieder rückten die Sprengstoffexperten des Landeskriminalamtes an. Und nun am Freitag das. Eine 250 Kilo schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Scharf. Aufschlagzünder. Englische Bauart. 76 Jahre nach den Luftangriffen. Ein Baggerfahrer hatte den schweren Metallzylinder mittags entdeckt, rund 100 Meter von der Heinrich-Greif-Straße entfernt. Auf der Baustelle errichtet die Wohnungsgenossenschaft „Glückauf“ Süd drei Mehrfamilienhäuser. Am Freitag um eins ruht sie.
Jetzt hat Sprengmeister Thomas Lange vom Kampfmittelbeseitigungsdienst der sächsischen Polizei das Sagen. Die Bombe, die mutmaßlich am 13. Februar 1945 abgeworfen wurde, muss vor Ort entschärft werden. Aus Sicherheitsgründen müssen Anwohner ihre Wohnungen verlassen.
Die Planungen beginnen zügig – welche Gebäude sind nicht sicher, welche halten die Druckwelle ab und verringern so den Radius der gefährdeten Wohnungen? Wann kann die Evakuierung beginnen?
„Oh Gott, dass das jetzt auch noch passiert“, sagt Ingrid Strauß aus der Heinrich-Greif-Straße. Die 80-Jährige wartet auf ihre Tochter, bei der sie die Nacht verbringt. Das Einkaufszentrum an der Ecke ist schon leer. Polizisten sprechen mit einem Rentnerpaar in der Heinrich-Greif-Straße. „Haben Sie ihre Medikamente dabei? Die Haustiere gefüttert? Elektrogeräte abgestellt?“ Die Beamten sind freundlich und das Paar freut sich. Die Stimmung ist gelassen.
„So viel Pech, wie wir in dieser Woche hatten, kann man eigentlich nicht haben“, sagt Polizeisprecher Thomas Geithner. Es sind verrückte Zeiten. Nach 16 Uhr beginnen erste Evakuierungen. Polizisten, Feuerwehrleute und Mitarbeiter des Ordnungsamtes klappern die Häuser ab und versuchen, den Räcknitzern in aller Ruhe den Ernst der Lage zu erklären. Die meisten wussten längst Bescheid.
Rund 2 000 Menschen leben in dem gefährdeten Radius um die Fliegerbombe. Von problematischen Einrichtungen, etwa Pflegeheimen, war zunächst nichts bekannt. Allerdings müssen aus den Wohnhäusern viele Senioren abgeholt und in das Ausweichquartier im Gymnasium Bürgerwiese gebracht werden – wo alle unterkommen, die nicht kurzfristig bei Bekannten oder Verwandten unterkommen können. Das waren etwa 190 Personen. Die Feuerwehr hat Feldbetten geliefert. Schulleiter Jens Reichelt sagte, es lief alles gut. Nach dem Wasserschaden zum Schuljahresanfang sei er Aufregung gewohnt.
Evi Müller aus der Michelangelostraße wird für ein paar Stunden dort einziehen. Die 83-Jährige konnte zwar noch ihren Sohn anrufen, helfen kann dieser nicht. „Mutti, ich komm nicht mehr durch, hat er gesagt“, so die Seniorin. Die Diabetikerin konnte noch Medikamente und etwas Kleidung packen, um die Nacht außerhalb ihrer Wohnung zu überstehen. Ein Krankenwagen bringt sie schließlich ins Notquartier. Helfer vom Roten Kreuz und den Maltesern versorgen die Menschen in der Schulturnhalle. Hochhausbewohnerin Antonie Jebbensleben kann es noch nicht fassen. „Ich wohne 40 Jahre hier im Hochhaus und musste noch nie raus“, sagt die 76-Jährige.
Nicht alle verlassen freiwillig und geordnet ihre Wohnungen. „In drei Fällen hatten wir Probleme“, sagt der Polizeisprecher. „Bei zwei Herren reichte längeres Reden, um sie zum Verlassen der Häuser zu bewegen.“ Bei einer dritten Person wissen die Beamten, dass sie in der Wohnung ist, aber nicht reagiert. Polizisten und Sanitäter lösen schließlich auch dieses Problem.
Die Evakuierung ist bis 22 Uhr abgeschlossen. Dann können die Sprengmeister ihren einsamen Job erledigen. Um 22.50 Uhr ist’s geschafft: Thomas Lange und Thomas Zowalla haben die Bombe entschärft. Sie wird nach Zeithain gebracht und dort vernichtet. Zum Glück hatte sie keinen chemischen Langzeitzünder, wie zuerst vermutet. Dann hätte sie vor Ort gesprengt werden müssen. (mit SZ/kde)