Merken

Freistaat verprellt Gastwirt

Gastwirt Tanner bekommt keinen Euro für die Schäden, die durch Fehlplanung entstehen.

Teilen
Folgen
© Klaus-Dieter Brühl

Von Birgit Ulbricht

Thiendorf. Diesen Prozess darf man sich nicht als Mensch durchdenken. Selbst die Vertreter der Gewinnerseite – das Straßenbauamt Meißen – schauten mehr nach unten, statt selbstbewusst auf die Kläger zu sehen. Sie mussten von der Gegenseite sogar aufgefordert werden, einmal hochzusehen, als man sie direkt ansprach. Nur die beiden Vertreter des Landesamtes für Finanzen und Steuern saßen versteinert bei den Zuschauern. Für Gastwirt Christian Tanner ging es um lächerliche 40 000 Euro – lächerlich, angesichts der Wasserschäden, die die regelmäßigen Überflutungen seines Gasthofes seit 1993 angerichtet haben. Gerichtsgutachten bezifferten die 2014 schon auf über 100 000 Euro. Ein parteiisches Gutachten ging 40 000 Euro herunter – und nur die Summe stand überhaupt zur Debatte. Das Thiendorfer Gastwirtsehepaar wird bei jedem Starkregen an der B 98 überschwemmt. 89-mal, hatte Richter Hanspeter Riechert am Oberlandesgericht im Jahr 2014 höchstrichterlich festgestellt. Inzwischen sind einige mehr dazugekommen. Seit acht Jahren prozessiert Tanner.

Vor allem will er aber eine praktische Lösung. Denn die Schäden sind deshalb so gravierend, weil nicht nur Regenwasser an die Fassade spritzt, sondern überall durch die Abwasser-Kanalisation drückt. Schlussendlich landete der „Wasser-Fall“ sogar vor den Bundesgerichtshof – doch dem schien die Sache, so die Begründung, nicht bedeutsam, und er befasste sich gar nicht erst damit. „Bedeutsam“ ist sie aber – weil laut Rechtsanwalt Dietrich Dose die längst politische Frage der „Amtshaftung“ an dem Fall hängt. Die Frage lautet aus der Sicht des Anwalts, haftet eine Behörde für eine bauliche Fehlleistung?

Wo jeder normale Mensch glatt Ja sagen würde, fangen die juristischen Probleme alle an. „Verklagen Sie mal den Freistaat, die halten doch alle zusammen“, skandierte Dietrich Dose auch gestern vorm Landgericht. Dabei hat Christian Tanner mit seinem Anwalt Dietrich Dose gestern genau das gemacht, was Richter Hanspeter Riechert vom Oberlandesgericht den Klägern damals empfohlen hatte: den Freistaat verklagen und nicht die Bundesrepublik. Auch das muss der normale Mensch erst nachvollziehen. Vier Jahre lang  hatten die Richter Tanner gegen die Bundesrepublik klagen lassen. Fünf teure Gutachten sind in der Zeit entstanden. Sachlich hatte Richter Riechert nichts an der Schuld des Straßenbauamtes auszusetzen – ja, er nahm die Behörde in der damaligen Verhandlung ordentlich Maß – um dann im Federstreich zu verkünden, dass Dose nicht die Bundesrepublik, sondern den Freistaat hätte verklagen müssen.

Klingt nach einem schweren Anwaltsfehler, ob das juristisch so ist, kann der Laie nicht beurteilen. Jeder normale Mensch findet die Kette – Bundesstraße 98, Bund, vertreten durch den Freistaat, vertreten durch das Straßenbauamt logisch. Der Rat, den Freistaat für die Fehlplanung an der B 98 zu verklagen, war jedenfalls müßig.

Denn diesmal lehnte Richter Roland Wöger die Klage auf Schadensersatz ab, weil die Sache ja schon verhandelt und verloren sei. Das Straßenbauamt machte natürlich kein Angebot zum Vergleich, weil es schließlich den vorherigen Prozess gewonnen hatte und haushaltsrechtlich keine Schadenssumme zahlen könne, wenn es dafür juristisch keinen Grund gibt. Korrekt. Nur fragt man sich als Zuhörer schon, wie denn das Straßenbauamt als Behörde des Freistaates einen vorherigen Prozess gewinnen konnte, wenn angeblich der Bund, der verklagt war, nichts mit dem Freistaat zu tun hat?

In dem Fall wäre es tatsächlich ein völlig neuer Prozess gewesen. Doch genau das war er gestern eben nicht. Juristisch mögen sich andere in den Finessen ergehen – Tanners sind praktisch am Freitagnachmittag ohne einen Euro in der Tasche nach Hause gefahren. Ihnen bleiben nichts als Kosten. Kosten für den Anwalt, die vielen Prozesse vorm Land- und Oberlandesgericht und nun erneut für den verlorenen neuerlichen Anlauf mit einem anderen Beklagten. Ob sich Gastwirt Christian Tanner darüber ärgert, die ihm früher von der Behörde angebotenen 30 000 Euro Schadensersatz nicht genommen zu haben? Er antwortet darauf sogar vor Gericht: nein. Denn dann wäre das Problem „zu kleine Regenrohre“ nicht gelöst, und der Deal hätte für ihn bedeutet, das Straßenbauamt sieben Jahre lang schriftlich aus jeglicher Haftung zu entlassen. Allein dieses Angebot zeigt aber doch, wie die Behörde den Fall selbst hausintern von Anfang an sah.

Das Straßenbauamt des Freistaates hatte 1993 ein zu kleines Regenwasserrohr an der Bundesstraße geplant und verlegt. Seitdem hat der Ärger angefangen. Zuletzt hat das Wasser sogar einen derartigen Wirbel erzeugt, dass Splitt herausgespült wurde und die Ecke der Hauswand riss. Im Keller schimmeln die Wände, die Feuchtigkeit zieht hoch bis in den Saal.

Eben in jenem aufschlussreichen Prozess vor Richter Riechert am Oberlandesgericht hatte das Straßenbauamt schließlich kleinlaut eingeräumt, man arbeite an einer baulichen Lösung. Christian Tanner hatte damals gleich einen Vorschlag bei der Hand, den er schon vor acht Jahren gemacht hatte. Keine 30 Meter entfernt fließt die Kaltenbach, also müsse man nur über Tanners Grundstück ein größeres Rohr hineinlegen und die Wassermassen so umleiten. Mit dem 500er-Rohr habe es nie Probleme gegeben.

Holger Hampsch von der Anklagebank des Straßenbauamtes schüttelte den Kopf. Man könne doch nicht irgendwo was einleiten, dafür sei eine Genehmigung der Wasserbehörde nötig. Nun soll genau das nach aktuellen Bauplänen gemacht werden. Allerdings braucht man dafür die Zustimmung Tanners. So sieht man sich dann doch zweimal im Leben, denn diese Erlaubnis soll es nach diesem Prozesstag nun nicht geben.

Auf Straßenbauamtsseite sah man zwar betrippelte Gesichter, weil in so einem Fall gehörige Kosten für eine Umgehung entstünden – aber es ist ja nicht das Geld der Behörde. Die haftet eben doch nicht für ihr Tun, sondern der Steuerzahler.