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Freispruch statt Fahrverbot

Allein in Riesa kommen Dutzende Raser mit einem blauen Auge davon. Schuld ist eine lange Leitung.

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© Symbolbild/Pawel Sosnowski

Von Stefan Lehmann

Landkreis. Rund 20 Zentimeter sind es, die für Birgit F.* am Ende den Unterschied zwischen Fahrverbot und Freispruch ausmachen. Die 38-Jährige war Anfang des Jahres auf der Weinstraße in Diesbar-Seußlitz geblitzt worden – mit 62 statt der erlaubten 30 Kilometer pro Stunde. Der Bußgeldkatalog sieht für derartige Verstöße eigentlich eine Geldstrafe und ein einmonatiges Fahrverbot vor. Doch F. legte Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein und bekam vor dem Amtsgericht recht – wie viele andere Autofahrer auch.

Grund für die vielen eingestellten Bußgeldverfahren ist ein zu langes Verbindungskabel an den Messgeräten des Modells Leivtec XV3. Vier dieser Geräte sind im Landkreis derzeit im Einsatz, die ersten schaffte das Landratsamt bereits Anfang 2011 an. Überwacht werden die Infrarot-Messgeräte vom Auto aus. Das Problem: Das Messverfahren unterlag strengen Standards. Laut Betriebsanweisung dürfte das verwendete Kabel nicht länger als drei Meter sein, erklärt der Chef des Riesaer Amtsgerichts, Herbert Zapf.

Messergebnisse sind angreifbar

„Irgendwann kam ein findiger Anwalt auf die Idee, einmal nachzumessen.“ Mit offenbar eindeutigem Ergebnis: Das Kabel sei zu lang, die Messergebnisse damit angreifbar. Die Leiterin des Kreisordnungsamts, Barbara Korsowski, bestätigt auf SZ-Anfrage, die Firma Leivtec habe den Landkreis über die „Möglichkeit einer geringfügigen Längenüberschreitung bei einigen Verbindungskabeln zwischen Bedienfunkempfänger und Rechnereinheit“ informiert.

Dem Kreisordnungsamt seien dabei keine Fehler vorzuwerfen – weil sich die Länge der Kabel schlichtweg nicht überprüfen ließ, erklärt Korsowski. „Da es sich bei diesen Verbindungskabeln um Spiralkabel handelt, ist das Vermessen der Länge durch den Anwender selbst grundsätzlich auszuschließen.“ Ein „Glattziehen“ würde die Kabel demnach so stark beschädigen, dass sie nicht mehr einsatzfähig wären. Stattdessen habe das Landratsamt die betreffenden Kabel im Juni 2015 zur Überprüfung an den Hersteller geschickt – und tauschte sie anschließend aus.

Wie viele Raser bis dahin mit dem zu langen Kabel erfasst worden sind, wird laut Korsowski nicht erfasst. „Wie viele Verstöße erfolgreich angefochten wurden, ist ebenfalls nicht beantwortbar, da ebenso keine Statistik geführt wird.“ Das Riesaer Amtsgericht jedenfalls hatte sich im vergangenen Jahr überdurchschnittlich oft mit dem Gerät der Firma aus Wetzlar beschäftigen müssen. Zwischen 30 und 50 Mal habe er Einsprüche gegen die Messung mit dem Leivtec XV3 behandelt, sagt Direktor Herbert Zapf. Weil die Formalien aus der Bedienungsanleitung nicht beachtet wurden, kamen die Temposünder ungestraft davon, die Verfahren wurden eingestellt.

Eichamt bessert nach

Mittlerweile sind die Erfolgsaussichten etwas geringer, sagt Zapf. „Das zuständige Eichamt hat jetzt bekräftigt, dass die Kabellänge keinen Einfluss auf das Messergebnis hat.“ Die Entscheidungspraxis werde sich ändern, die Verfahren nicht mehr generell eingestellt. „In besonders schweren Fällen werden wir ein Gutachten beauftragen.“ Geringfügige Verstöße, die noch mit der alten Kabellänge gemessen wurden, werden dagegen nicht weiter verfolgt – aus Kostengründen.

„So ein Gutachten kostet mindestens 1 500 Euro. Da stünden dann die Rechtsfolgen in keinem Verhältnis zum Aufwand“, erklärt Zapf. Wer nach dem Austausch der Kabel im Sommer geblitzt wurde, dürfte ohnehin kaum eine Erfolgschance haben.

Der Amtsrichter ist sich allerdings auch sicher, dass die Rechtsanwälte bereits auf der Suche nach der nächsten Lücke oder Hinweisen auf Messfehler sind. „Das ist fast schon ein Sport der Rechtsanwälte und Verkehrsverbände.“ Er spricht von einer Art Katz-und-Maus-Spiel mit den Herstellern und Ordnungshütern. „Die Geräte werden allerdings immer besser.“

Zu Messfehlern kommt es trotzdem immer wieder. In Hoyerswerda löste unlängst eine Blitzersäule in 90 Prozent der Fälle zu Unrecht aus: Das Gerät konnte Geländewagen nicht von Lkw unterscheiden, für die andere Geschwindigkeitsbegrenzungen galten. Besonders häufig werden in Riesa laut Amtsrichter Zapf auch die Messungen mit Laserpistolen angefochten – allerdings nicht, weil die Technik nicht funktioniert. „Sie werden oft nicht richtig bedient“, sagt Herbert Zapf. Entsprechend groß sei die Wahrscheinlichkeit, dass Fehler auftreten. Und ab einer gewissen Fehlerhäufung gelte der gesamte Datensatz – also alle Messungen an der entsprechenden Stelle – als ungültig.

*Name geändert