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Frauenpower im Metallbaubetrieb

Nach dem Tod des Vaters denkt Fotografin Sabine Lottes um. Sie zieht zurück nach Kamenz und kämpft sich durch.

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© René Plaul

Von Ina Förster

Kamenz. Lebenswege verlaufen selten gerade. Und selbst der wundervollste Plan kann von heute auf morgen umgeworfen werden. Sabine Lottes hat das vor ein paar Jahren schmerzhaft erfahren. Da starb ihr geliebter Vater Gerd Lottes nach schwerer Krankheit viel zu früh. Und hinterließ eine große Lücke. Nicht nur in der Familie. Auch in der Kamenzer Leichtmetall- und Stahlbaufirma, die er 1988 gründete. Gestartet war er vor der Wende an der Burgstraße mit nur einem Mitarbeiter und 35 Quadratmeter Werkstattfläche. Heute stehen auf dem 6000 Quadratmeter großen Firmengelände an der Güterbahnhofstraße (früher Lausitzer Keramik) acht Mitarbeiter und ein Lehrling in Lohn und Brot.

Bis zu seiner schweren Krebserkrankung hatte Gerd Lottes die Zügel hier fest in der Hand, war ein fairer und beliebter Geschäftspartner. Ehefrau Dagmar unterstützte ihn, führte die Buchhaltung. Dann der Schicksalsschlag 2011. „Ich hatte eigentlich nicht viel mit der Firma meiner Eltern am Hut. Natürlich bin ich als Kind in den Ferien mit auf Baustellen gefahren und kannte die Werkstatt in- und auswendig. Der Werkstoff Metall, die Maschinen, Arbeitsabläufe und Gerüche waren mir nicht fremd“, sagt Sabine Lottes. Dennoch geht ihr Berufswunsch als Mädchen in eine ganz andere Richtung. Sie wird Fotografin, studiert später in Düsseldorf Kommunikationsdesign. Anschließend flattert vor Ort sogar ein Jobangebot als Junior Art Director ein. „Ich war glücklich, hatte mich gut in der Großstadt arrangiert“, erzählt sie.

Eine völlig neue Welt

Aber dann kommt das große Umdenken. „Nach dem Tod meines Vaters konnte ich die Firma einfach nicht verkaufen. Alles in mir sträubte sich dagegen. Meine Mutter allein konnte und wollte sie auch nicht weiterführen.“ Auch wenn er es nie von seiner Tochter verlangt hat, geht die damals 32-Jährige einen Schritt, der ihr ganzes Leben auf den Kopf stellen wird: Sie kündigt innerhalb einer Woche ihren Job in Düsseldorf, auch die Wohnung. Und zieht in die Heimat nach Kamenz zurück. „Ich wurde von Anfang an mit offenen Armen willkommen geheißen. Unser Betriebsleiter Torsten Grämer hat mich immer super unterstützt. Und tut es noch“, erzählt die heute 36-Jährige. Sabine muss sich fortan in einer völlig neuen Welt behaupten. Die Metallbranche ist eine Männerdomäne. Wo sie auch hinkommt, wird sie anfangs ein bisschen komisch angeschaut. Keiner will so richtig glauben, dass „dieses Mädchen“ einen mittelständischen Metallbaubetrieb leitet.

Sie ackert sich in den nächsten Jahren durch die Schulungen. Sie fährt mit ihrem langjährigen Freund nach Belgien zu einem Systemhersteller und lernt, Fenster und Fassaden mit den eigenen Händen zu bauen. „Nur wenn ich etwas von der Pike auf beherrsche, kann ich doch mitreden“, lautet ihr Credo. Sie besorgt sich Ausbildungsbücher von Metallbaulehrlingen. Dreimal in der Woche sitzt sie über zwei Jahre in Dresden auf der Schulbank und macht ihren Betriebswirt. In Verhandlungen muss sie sich immer gegen Männer durchsetzen. „Mit weiblicher Intuition kann man aber viel erreichen. Der Umgangston mit einer Frau basiert auf einem anderen Level. Gerade auf dem Bau. Außerdem habe ich immer alle Aufmerksamkeit auf meiner Seite, wenn sie merken, dass ich die Chefin bin“, weiß sie heute. Trotzdem: Es ist eine harte, anstrengende Zeit, in der nicht viel für Privates, die Fotografie oder Freunde übrig bleibt. „Sabine war fleißig und hat sich in alles hineingekniet. Wir haben alle gestaunt“, sagt Mama Dagmar stolz. Die beiden werden ein Team im Büro. Büromieze „Susi-Renate“ macht das Trio perfekt. „Sie lief uns kurz nach dem Tod meines Mannes zu“, so die 58-Jährige. Und ging einfach nicht mehr weg.

Spannende Projekte liegen auf dem Tisch

Heute, nach fast vier Jahren, scheint Sabine Lottes angekommen. Im Unternehmen zu hundert Prozent. Die Auftragsbücher sind bis Herbst randvoll. Die Firma baut bundesweit. Hauptsächlich aber schon in Sachsen. Balkonanlagen, Wintergärten, Haustüren, Fenster, Zäune und Tore, Treppen und Fluchtweganlagen. „Derzeit sind wir in der Commerzbank an der Dresdner Königstraße zugange, fertigen dort den kompletten Eingangsbereich“, sagt die Firmenchefin. Spannende und coole Projekte liegen auf dem Tisch. Bei Sachsenmilch Leppersdorf hat man an der neuen Kläranlage zu tun, auch Sachsenfahnen in Kamenz wurde durch Lottes mitgebaut. Große Wohnsiedlungen in Boxdorf tragen ihre Balkonanlagen. „Manchmal flitzt Sabine durch den Betrieb und weist die Männer an. Und ich denke: Moment – genauso hätte das jetzt auch der Gerd gesagt oder getan“, lächelt die Mama. Ein schöneres Kompliment gibt es sicherlich nicht …