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Frau Müller gegen Mobbing

Zwei Schulen in Bischofswerda haben Schulsozialarbeiterinnen. Die SZ hat eine begleitet.

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© Rocci Klein

Von Theresa Hellwig

Bischofswerda. Die Schere gleitet durch das Papier. Heidemarie Müller steht vor ihrem Schreibtisch, schon fast zum Gehen abgewandt. „Ich muss das hier nur noch schnell ausschneiden, dann kann es losgehen“, sagt sie. Auf der Tischplatte liegen weiße Zettel, wellenförmig zurechtgeschnitten. In der Hand hält die Schulsozialarbeiterin den Rest des Blattes. Gleich ist es neun Uhr: Frühstückspause. Als die Schulglocke läutet, läuft die Schulsozialarbeiterin der Bischofswerdaer Grundschule Süd los.

Seit September vergangenen Jahres ist die 32-Jährige mit einer 30-Stunden-Woche an der Grundschule eingesetzt. Konflikte lösen, gegen Mobbing vorgehen, Schülern mit emotionalen Schwierigkeiten helfen – die Aufgaben von Heidemarie Müller sind vielfältig. Unterrichten, jedoch, gehört nicht dazu. Ihre Arbeit läuft eher im Hintergrund ab, unscheinbarer – sie setzt da an, wo die Arbeit der Lehrer endet: beim Zusammenhalt der Schüler. Dafür ist vor allem eines nötig: ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern.

„Die soziale Gesellschaft hat sich verändert“, findet Heidemarie Müller. „Kinder stehen immer mehr unter Druck.“ Schon im Grundschulalter haben die Kinder stets im Hinterkopf: Es geht bald auf die weiterführende Schule. Dafür sind gute Leistungen wichtig. Aber auch der Umgang der Kinder untereinander habe sich verschärft. Mobbing, zum Beispiel, nehme immer mehr zu. Kinder grenzen einander aus, beleidigen sich, sogar körperliche Gewalt gibt es. Weil zudem immer häufiger beide Elternteile 40 Stunden in der Woche arbeiten, bliebe auch abends oft keine Zeit mehr, sich mit den Kindern auseinanderzusetzen. „Da geht viel an Kommunikation verloren“, findet die Sozialpädagogin.

Etwa 100 Kinder betreut Heidemarie Müller an der Schule. Nahezu täglich kommen einige zu ihr, berichten von ihren Problemen des Alltags. Ein offenes Ohr, das ist für die Schüler wichtig. Pünktlich zum Pausenklingeln läuft Heidemarie Müller deshalb los. In der ersten Klasse läuft Musik: „Hey, Pippi Langstrumpf, tralali, tralala, tralahopsasa“, schallt es durch den Raum. Ein Mädchen tanzt. Als Heidemarie Müller den Raum betritt, hält ein anderes sofort ein Stofftier hoch, zeigt es der Sozialpädagogin. „Schau mal“, sagt sie. Heidemarie Müller plaudert kurz mit ihr. Weiter geht es zum nächsten Raum. Jeder Klasse stattet sie einen Besuch ab, immer scheinen die Kinder erfreut, sie zu sehen, begrüßen sie mit einem fröhlichen „Hallo, Frau Müller“. Präsenz zu zeigen, das ist wichtig. Nur so kann sie ein Vertrauensverhältnis zu den Schülern aufbauen. Die Basis ihrer ganzen Arbeit. Nur dann trauen sich Kinder, zu ihr zu kommen, wenn sie sich ausgegrenzt fühlen. Oder ihnen ein anderes Thema auf die Seele drückt, das vielleicht mit Scham verbunden ist.

Vertrauen ist wichtig
In der dritten Klasse hat sich ein Mädchen mit dem Füller die Hand bemalt. Ein blaues Muster, ähnlich einem Mandala. Stolz zeigt sie es der Sozialarbeiterin, diese runzelt die Stirn. „Durftest du das?“, fragt sie. „Nee“, antwortet das Mädchen. Ihre Klassenkameraden versammeln sich um sie. Dann unterhält sich Heidemarie Müller mit den Kindern über Henna – ein Thema, was sie gerade offensichtlich beschäftigt. Im Nachhinein erklärt sie: „Wenn ich damit jetzt zum Lehrer gegangen wäre, wäre das ein Vertrauensbruch gewesen.“

Die Schulsozialarbeit ist ein recht neues Arbeitsfeld, und dennoch nicht weniger wichtig. Sie trifft auf Schule – nicht nur als Ort, an dem Wissen vermittelt wird – sondern als Ort, an dem Menschen zusammenkommen. Mit allem, was dazugehört – eben auch mit Emotionen, unterschiedlichen Charakteren oder Konflikten.

Eine Anfang März vom Landtag beschlossene Änderung der Förderrichtlinie zu Schulsozialarbeit sieht vor, an allen sächsischen Oberschulen in öffentlicher Trägerschaft Schulsozialarbeit zu etablieren. Auch an der Bischofswerdaer Oberschule gibt es eine Sozialarbeiterin, die, wie Heidemarie Müller, beim Regenbogenverein angestellt ist. An der Schule zur Lernförderung würde eine entsprechende Stelle gefördert, es findet sich dafür momentan jedoch niemand. Die beiden anderen Schiebocker Grundschulen und das Goethe-Gymnasium hingegen gehen ganz leer aus.

Und doch wünscht sich auch das Gymnasium einen Sozialpädagogen an der Schule. Ivonne Brechbühl arbeitet als Inklusionsassistentin am Goethe-Gymnasium, begleitet also Schülerinnen und Schüler mit einer Hochbegabung, mit Autismus oder mit Verhaltensauffälligkeiten. Projekte und Übungen, wie die von Heidemarie Müller, darf sie in ihrer Rolle nicht durchführen. Sie sagt: „Auch die Schüler am Gymnasium sind in erster Linie Kinder, die alle Entwicklungsphasen durchlaufen. Dafür benötigen sie Unterstützung und Beratung.“ Auch an Gymnasien herrscht ein Leistungsdruck, den sich Schülerinnen und Schüler zum Teil selbst auferlegen. Der Lehrplan ist eng getaktet. Hier fragen sich die Schüler vielleicht nicht mehr, für welche weiterführende Schule sie geeignet sind – stattdessen steht plötzlich die Frage im Raum: Was mache ich mit meinem Leben? Im Teenageralter streben die Jugendlichen zudem nach Anerkennung, nach Gruppenzugehörigkeit, sie wollen cool sein. Suchen ihre Identität. Abermals: viel Druck auf den Schultern der Schüler.

Druck auch am Gymnasium
Auch der Dresdner Kinder- und Jugendpsychiater Veit Rößner spricht vom Leistungsdruck, der bei einigen Kindern und Jugendlichen zu Depressionen führen kann. Er fordert deshalb schon lange, kinder- und jugendpsychiatrische Themen in die Ausbildung von Sozialpädagogen zu integrieren und so präventiv wirken zu können.

Derzeit wird Schulsozialarbeit insbesondere an sogenannten Brennpunktschulen gefördert; auch Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund oder DaZ-Klassen bekommen bevorzugt helfende Hände, wie die von Heidemarie Müller, zugesprochen. Auch an der Grundschule Süd gibt es DaZ-Klassen – und auch Heidemarie Müller widmet sich den Klassen, in die die Schüler, die gerade Deutsch lernen, kommen.

Heute ist das eine zweite Klasse. „Hier ist ein ständiges Kommen und Gehen, die Klasse hat sich deshalb noch nicht recht selbst gefunden“, erzählt sie. Jeden Mittwoch macht sie deshalb Übungen mit den Kindern. So auch an diesem. Als die Gruppe vom Schwimmunterricht zurückkehrt, packt Heidemarie Müller die weißen Zettelchen ein. „Das wird ein Gruppenpuzzle“, erklärt sie.

Gemeinsam mit den Kindern möchte sie ein Klassenlogo erstellen. Jeder gestaltet ein Puzzleteil. Die Kinder sollen merken: Nur durch Zusammenhalt ist das Puzzle perfekt – und da bringt jeder seinen Anteil, seine Identität, mit ein.