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Forscher im Frösi-Fieber

Wenn Guido Weißhahn gerade keine Depressionen heilt, geht er DDR-Comics auf die Spur und macht nicht nur Fans froh.

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© Sven Ellger

Von Nadja Laske

Zum Lachen bleibt Guido Weißhahn auf seiner Terrasse sitzen. Aber zum Stöbern geht er in den Keller. Dort wartet ein halbes Dutzend Kartons darauf, unter der Treppennische hervorgezogen zu werden. Unzählige Papiere schlummern darin – ein echter Schatz für den wohl größten DDR-Comic-Fan des Landes.

Korbine Früchtchens Zeichen-Vater Werner Klemke hat auch die DDR-Fibel und das Große Märchenbuch illustriert.
Korbine Früchtchens Zeichen-Vater Werner Klemke hat auch die DDR-Fibel und das Große Märchenbuch illustriert. © Repro: Sven Ellger
Knirpse spielen in der ersten Frösi-Ausgabe von 1953 Straßenfußball. Gezeichnet hat die Szenerie Richard Hambach.
Knirpse spielen in der ersten Frösi-Ausgabe von 1953 Straßenfußball. Gezeichnet hat die Szenerie Richard Hambach. © Repro: Sven Ellger
Als Trix und Droll erlebten eine Katze und ein Rabe in dieser Bildgeschichte von Willi Moese aus dem Jahr 1973 ihre Abenteuer.
Als Trix und Droll erlebten eine Katze und ein Rabe in dieser Bildgeschichte von Willi Moese aus dem Jahr 1973 ihre Abenteuer. © Repro: Sven Ellger

Der hat nur folgerichtig zu ihm gefunden. Seit seiner Kindheit ist Guido Weißhahn begeisterter Comic-Leser. Für die neueste Ausgabe der Kinderzeitschriften Mosaik und Frösi eilte er jeden Monat zum Zeitungskiosk. Unter besonderen Umständen machte er sich den Weg auch für die „Trommel“. Diese Umstände hießen Sommerferien. Acht Wochen lang. Eine halbe Ewigkeit – vor allem dann, wenn Guido Weißhahn in dieser Zeit unter echtem Beschaffungsstress litt.

Fröhlich sein und singen

Eigentlich bekam er die Zeitschrift in der Schule. Dort wurde sie jede Woche für zehn Pfennige an die Thälmannpioniere, sprich an ältere Schüler, ausgegeben. Nicht aber in der schulfreien Zeit. Da blieb nur der Zeitungsstand. „Und das in Boltenhagen, wo entweder gar keine oder nur ganz wenige Exemplare geliefert wurden!“ Die Aussicht darauf, womöglich eine Comic-Folge zu verpassen und später Lücken in der Sammlung daheim zu haben, konnte selbst im herrlichsten Ostseeurlaub für schlechte Laune sorgen.

„Wenn ich gewusst hätte, dass ich als Erwachsener einmal alle Ausgaben haben würde, die ich mir damals wünschte...“, sagt Guido Weißhahn und blättert in einem Jahrbuch. Solche Broschüren sämtlicher Ausgaben eines Jahres landeten nach der Wende zuhauf auf dem Müll. In weiser Voraussicht, dass sie später einmal Sammlerwert haben würden, zogen sie Händler und Liebhaber wieder heraus. Guido Weißhahn aber ist weit interessanteres Material in die Hände gefallen. Es stammt aus einem Nachlass, der ihn noch über viele Jahre beschäftigen wird: Eine nahezu unerschöpfliche Quelle für einen Forscher wie ihn.

„Als der frühere stellvertretende Chefredakteur der Frösi, Walter Stohr, starb, meldete sich seine Frau bei mir“, erzählt der 47-Jährige. In den Jahren zuvor hatte Weißhahn Kontakt zu ihm aufgenommen. Der Hobby-Verleger wollte noch möglichst viele Menschen persönlich kennenlernen, die in der DDR Comics veröffentlicht oder gezeichnet haben. Im Telefonbuch fand er auch die Anschrift von Walter Stohr und schrieb ihm. „Ich schickte eine Ausgabe meiner neu verlegten DDR-Comics mit.“ In seinem extra dafür gegründeten Holzhof-Verlag hat Guido Weißhahn seltene, nicht mehr verfügbare Bildgeschichten aus Illustrierten und Kinderzeitschriften herausgebracht. Die Fangemeinde dankt es ihm. Den Frösi-Vizechef traf er einige Male zum Gespräch. Dann starb Stohr unerwartet – und hinterließ eine riesige Sammlung aus redaktioneller Korrespondenz, Leserpostkarten, Rechnungen und jeder Menge originaler Zeichnungen.

Drei Jahre sind vergangen, seit Guido Weißhahn den Keller eines Berliner Plattenbaus betreten und dort den Frösi-Schatz gehoben hat. In Schränken lagen stapelweise Schriftstücke, Comiczeichnungen und Exemplare der Kinderzeitschrift. Im Juni 1953 war sie das erste Mal erschienen, 38 Jahre später wurde sie mit ihrem Verlag Junge Welt abgewickelt. Im Redaktionsbüro vom „ewigen Stellvertreter“ Stohr hatte sich vieles angesammelt. Der war als nicht ausreichend staatskonform nie zum Chefredakteur berufen worden. Als die Treuhand Schluss mit der Frösi machte, lagerte er im Keller seiner Wohnung ein, wovon er sich nicht trennen konnte. Dort verstaute Guido Weißhahn den Nachlass 22 Jahre später in Umzugskartons und nahm ihn mit nach Dresden. Lange darüber nachdenken, ob er ihn haben wolle, konnte der Sammler nicht. „Die Witwe zog um und hatte schon ein Unternehmen bestellt, das den Keller beräumen sollte.“

Nun ist Weißhahn unter anderem der Herr über mehr als 1 000 Original-Zeichnungen. „Ich habe viel Zeit damit verbracht, Kontakt zu den Künstlern zu finden, um ihnen ihre Arbeiten zurückzugeben.“ Im Fall der Illustratorin Jutta Mirtschin ist es ihm gelungen. „Als ich sie anrief und ihr sagte, dass ich 80 Bilder von ihr habe, konnte sie es kaum glauben.“ Kurz zuvor war sie in einem Archiv auf die Suche nach DDR-Zeitschriften gegangen. Sie wollte wissen, welche ihrer Arbeiten wo veröffentlich worden waren. Belegexemplare hatte sie nicht, auch keine Kopien ihrer Zeichnungen. Guido Weißhahn gab ihr einen Teil ihres Lebenswerkes zurück.

Eine echte Lebensaufgabe könnte es werden, alle Kisten nach und nach zu leeren und ihren Inhalt zu sichten, elektronisch zu sichern und zu katalogisieren. Aber dafür dürfte Weißhahn keinen Job haben, den er ebenso liebt, wie Comics. Als Psychotherapeut behandelt er Menschen mit Angstzuständen, Depressionen, Zwangsstörungen und Mobbingfolgen.

Neben seinem Faible für Bildgeschichten macht er Musik und spielt mit einem seiner beiden Söhne und mit Freunden in zwei Bands. Auch für seinen Club der DDR-Comicfreunde braucht er Zeit. Dazu zählen sich rund 200 Fans. Für sie gibt Guido Weißhahn einen jährlichen Sammelband heraus. Darin vereint er alle Folgen von einer bestimmten DDR-Comicserie. Zuletzt: die Abenteuer des Atomino. Ihm und anderen Comic-Helden begegnen die Besucher einer Ausstellung, die im Museum Alte Lateinschule Großenhain noch bis zum 24. September zu sehen ist.

www.ddr-comics.de