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Flüchtlinge kommen in Pirnas altes Landratsamt

Die Kreisbehörde spart mit Informationen über geplante Unterkünfte. Jetzt zwingt sie ein Flugblatt, Klartext zu reden.

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© Marko Förster

Von Matthias Weigel

Pirna. Ein Zettel machte am Donnerstag in Pirna die Runde: Achtung Anwohnerinformation, steht fettgedruckt darauf. Viele fanden das Schreiben in ihrem Briefkasten. Auch im Internet fand das eingescannte Papier regen Absatz. Informiert wird darüber, dass nun auch ein Gebäude des ehemaligen Landratsamts auf der Zehistaer Straße 9 in Pirna zur Asylunterkunft werden soll. 300 Männer würden angeblich hier untergebracht, vielleicht schon im Dezember. Die Renovierungsarbeiten liefen bereits. Baufirmen seien aber angehalten, Stillschweigen zu wahren. Für Fragen und weitere Informationen solle man sich ans Landratsamt wenden, heißt es weiter. Dann folgen die – private – Mailadresse des Landrates, seine dienstliche Telefonnummer sowie die dienstlichen Kontaktdaten der für Asyl zuständigen Beigeordneten Kati Hille. Das Landratsamt dementiert, dass es sich um ein offizielles Schreiben handele. Der Inhalt sei mit der Behörde nicht abgestimmt.

Ein Flugblatt machte jetzt in ganz Pirna darauf aufmerksam, obwohl die Kreisbehörde die Information noch zurückhalten wollte.
Ein Flugblatt machte jetzt in ganz Pirna darauf aufmerksam, obwohl die Kreisbehörde die Information noch zurückhalten wollte. © Repro: SZ

Zugleich musste das Landratsamt aber einräumen, dass das genannte Gebäude tatsächlich als Unterkunft hergerichtet wird. „Eine Prüfung aller landkreiseigenen Objekte hat ergeben, dass das Haus A … kurzfristig als Notunterkunft belegt werden kann“, sagt Vize-Landrat Heiko Weigel auf Anfrage der SZ. Schon länger waren die Arbeiten von Anwohnern und Vorbeifahrenden beobachtet worden. Davon auf eine Asylunterkunft zu schließen, fiel dann nicht schwer. Mit dem anonymen Brief kann das Landratsamt die Info nun aber nicht länger zurückhalten. Die Behörde hatte sich zuletzt wiederholt bedeckt gehalten, wenn es um potenzielle neue Unterkünfte ging, solange die Verträge nicht unterzeichnet, die Räume eingerichtet waren. Zerstörungen im Vorfeld oder eine Bedrohung der Eigentümer wollte man damit vermeiden. Das war bereits vorgekommen, hatte Plätze zunichte gemacht.

250 bis 270 Flüchtlinge ziehen ein

In der Bevölkerung und der lokalen Politik stieß die Geheimniskrämerei jedoch wiederholt und zunehmend auf Kritik. Auch die Schreiber der „Anwohnerinformation“ sparen nicht mit Tadel. Wie bereits bei der Turnhalle oder der Jugendherberge in Copitz würden die umliegenden Anwohner erst im Nachhinein informiert – „um Diskussionen und kritischen Fragen zu entgehen“, heißt es auf dem Zettel.

Die Kritik weist das Landratsamt weit von sich. „Die endgültige Entscheidung über die Anzahl der Plätze wird bis Anfang kommender Woche gefällt werden. Im Zuge dieser Entscheidung finden auch Gespräche mit den Eigentümern der Nachbargrundstücke und mit der Stadt Pirna statt“, erklärt Heiko Weigel. Die Zahl von 300 Plätzen sei allerdings ein Gerücht – „und viel zu hoch“. Nach SZ-Informationen sollen es stattdessen um die 250 bis 270 sein.

Die Belegung der Zehistaer Straße rechtfertigt Weigel mit dem „sehr großen Bedarf an Unterkünften für Asylbewerber“. Aktuell schickt der Freistaat jede Woche zwischen 100 und 200 neue Flüchtlinge aus seinen Erstaufnahme-Einrichtungen in den Kreis – und der ist zur Unterbringung verpflichtet. „Da der Landkreis in den letzten Tagen bereits zweimal gezwungen war, auf Notunterkünfte in Pirna zurückzugreifen, sucht die Kreisverwaltung Wege, um die weitere Belegung von Sporthallen zu vermeiden“, so Weigel. Bei den derzeitig angekündigten Zahlen sei dennoch nicht auszuschließen, dass weitere Turnhallen als Notunterkunft belegt werden müssen. Derzeit leben rund 2 100 Asylbewerber im Landkreis. Bis Jahresende sollen nochmals mindestens 700, eher mehr, dazukommen, im Januar weitere 1 000.

Ablehnung gegen Heimvariante

Die Verfasser des Schreibens jedenfalls lehnen die Unterkunft im alten Landratsamt strikt ab. Bislang sei man in Pirna mit der Unterbringung in Wohnungen gut gefahren. Da gebe es wenig Konflikte, heißt es. Integration und Eigenständigkeit würden gefördert. Beispiele von Heimen zeigten hingegen, wie konfliktgeladen diese Art der Unterbringung ist. Die drastische Befürchtung der Verfasser: „Auseinandersetzungen, die sich auf Bevölkerung auswirken, … Saufgelage, Beleidigungen, Überfälle, Diebstahl, Belästigungen.“

Allerdings hatte sich der Landkreis – eben wegen der menschenwürdigeren und konfliktärmeren Unterbringung – selbst verordnet, 70 Prozent der Flüchtlinge dezentral, also in Wohnungen oder kleinen Pensionen, unterzubringen. Zuletzt erreichte man das Ziel problemlos. Heime waren lediglich als Puffer und für eine Zahl alleinreisender Männer gedacht. Das Konzept weicht nun aber angesichts der Lage immer weiter auf. „Größere Unterkünfte rücken zwangsläufig immer mehr in den Fokus, obwohl die dezentrale Unterbringung wünschenswert wäre“, so Weigel.