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Nach Gewalt hält Normalität Einzug

Im Flüchtlings-Zeltlager in der Dresdner Friedrichstadt ist Ruhe eingekehrt. Am Freitagabend hatte es am Rande des Areals bei einer NPD-Kundgebung Gewalt zwischen Asylgegnern und Gegendemonstranten gegeben.

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© Robert Michael

Linda Barthel, Alexander Schneider, Axel Nörkau und Mirko Jakubowsky

Dresden. Nach den gewalttätigen Ausschreitungen bei einer NPD-Demonstration am Freitagabend hat es in Dresden-Friedrichstadt keine weiteren Zwischenfälle gegeben.

Ab Mitternacht sei an der Bremer Straße Ruhe eingekehrt, sagte ein Polizeisprecher. Die Beamten seien in der Nähe geblieben und hätten regelmäßige Kontrollfahrten durchgeführt.

Laut Polizei waren bis zum späten Freitagabend etwa 470 Flüchtlinge in der Zeltstadt im Stadtteil Friedrichstadt angekommen. Zuvor hatten Rechtsextreme bei der NPD-Demo Gegendemonstranten angegriffen. Flaschen und Steine flogen. Drei Menschen wurden verletzt. Ein Mann wurde nach Angaben der Polizei festgenommen.

Die Zeltstadt am Sonnabend

Am Samstagabend waren weitere Busse mit 251 Asylsuchenden eingetroffen. Laut Innenministerium leben jetzt 721 Flüchtlinge in der Zeltstadt.
Am Samstagabend waren weitere Busse mit 251 Asylsuchenden eingetroffen. Laut Innenministerium leben jetzt 721 Flüchtlinge in der Zeltstadt.
Ein rechter Demonstrant wird von der Polizei abgeführt.
Ein rechter Demonstrant wird von der Polizei abgeführt.
Linke Demonstranten vor der Notunterkunft.
Linke Demonstranten vor der Notunterkunft.
„Wir sind dort ständig präsent“, sagte ein Sprecher der Polizei. Auch das Gebiet um die Zeltstadt werde mit Streifen beobachtet.
„Wir sind dort ständig präsent“, sagte ein Sprecher der Polizei. Auch das Gebiet um die Zeltstadt werde mit Streifen beobachtet.

Das Geschehen am Freitagabend

Während das Zeltlager noch aufgebaut wurde, gab es am Freitagabend Demonstrationen.
Während das Zeltlager noch aufgebaut wurde, gab es am Freitagabend Demonstrationen.
Die NPD hatte eine Kundgebung angemeldet.
Die NPD hatte eine Kundgebung angemeldet.
Under dem Motto "Asylmissbrauch stoppen!" versammelten sich am frühen Abend Rechtsextreme und "Asylkritiker" vor dem Zeltlager.
Under dem Motto "Asylmissbrauch stoppen!" versammelten sich am frühen Abend Rechtsextreme und "Asylkritiker" vor dem Zeltlager.
Das Pegida-Bündnis um Lutz Bachmann rief seine Anhänger dazu auf, der NPD-Kundgebung fernzubleiben.
Das Pegida-Bündnis um Lutz Bachmann rief seine Anhänger dazu auf, der NPD-Kundgebung fernzubleiben.
Es gab auch eine angemeldete Gegendemonstration.
Es gab auch eine angemeldete Gegendemonstration.
Blick auf die NPD-Anhänger, die sich an der Bremer Straße versammelt haben ...
Blick auf die NPD-Anhänger, die sich an der Bremer Straße versammelt haben ...
... und auf die Gegendemonstranten.
... und auf die Gegendemonstranten.
Ein Dudelsackspieler demonstrierte auf seine Weise.
Ein Dudelsackspieler demonstrierte auf seine Weise.
Teilnehmer der NPD-Demo auf der Bremer Straße.
Teilnehmer der NPD-Demo auf der Bremer Straße.
NPD-Sympathisanten rangeln mit Polizisten.
NPD-Sympathisanten rangeln mit Polizisten.
Die Rechtsextremen warfen auch Böller auf die Gegendemonstranten - es gab drei Verletzte.
Die Rechtsextremen warfen auch Böller auf die Gegendemonstranten - es gab drei Verletzte.
Die Polizei ging dazwischen, es kam zu Festnahmen.
Die Polizei ging dazwischen, es kam zu Festnahmen.
Eine verletzte Gegendemonstrantin wird in einen Rettungswagen geschoben.
Eine verletzte Gegendemonstrantin wird in einen Rettungswagen geschoben.
Nachdem die NPD-Anhänger das Areal verlassen hatten, beruhigte sich die Lage. Gegendemonstranten harrten vor dem Areal aus.
Nachdem die NPD-Anhänger das Areal verlassen hatten, beruhigte sich die Lage. Gegendemonstranten harrten vor dem Areal aus.
Am späten Abend kamen die ersten Busse mit Flüchtlingen an.
Am späten Abend kamen die ersten Busse mit Flüchtlingen an.
Die Flüchtlinge reisten aus Chemnitz nach Dresden.
Die Flüchtlinge reisten aus Chemnitz nach Dresden.
Betreuer nahmen die Menschen in Empfang.
Betreuer nahmen die Menschen in Empfang.
Sie sind die ersten von insgesamt 800 Flüchtlingen, die am Wochenende in Dresden erwartet werden.
Sie sind die ersten von insgesamt 800 Flüchtlingen, die am Wochenende in Dresden erwartet werden.
Das Deutsche Rote Kreuz war mit 70 Mitarbeitern im Einsatz.
Das Deutsche Rote Kreuz war mit 70 Mitarbeitern im Einsatz.

Der Aufbau der Notunterkunft

Blick auf die Zeltstadt an der Bremer Straße, die binnen 24 Stunden errichtet wurde.
Blick auf die Zeltstadt an der Bremer Straße, die binnen 24 Stunden errichtet wurde.
Schaulustige beobachten am Freitagnachmittag die Arbeiten in der Friedrichstadt.
Schaulustige beobachten am Freitagnachmittag die Arbeiten in der Friedrichstadt.
In Dresden läuft der Aufbau einer Zeltstadt für bis zu 1.100 Asylsuchende.
In Dresden läuft der Aufbau einer Zeltstadt für bis zu 1.100 Asylsuchende.
Möglicherweise werden die ersten Flüchtlinge bereits am Freitagabend ankommen.
Möglicherweise werden die ersten Flüchtlinge bereits am Freitagabend ankommen.
Ähnlich wie in Chemnitz sollen die Flüchtlinge in der Zeltstadt nur vorübergehend untergebracht werden.
Ähnlich wie in Chemnitz sollen die Flüchtlinge in der Zeltstadt nur vorübergehend untergebracht werden.
Der Landesverband des DRK wird die Notunterkunft betreiben.
Der Landesverband des DRK wird die Notunterkunft betreiben.
Blick in das Innere eines der Zelte mit der Bezeichnung "German Red Cross - Tent EZ 500"
Blick in das Innere eines der Zelte mit der Bezeichnung "German Red Cross - Tent EZ 500"
"Wir brauchen das Zeltlager dringend", sagte der Sprecher der Landesdirektion, Holm Felber, am Freitag.
"Wir brauchen das Zeltlager dringend", sagte der Sprecher der Landesdirektion, Holm Felber, am Freitag.
Ein Bagger arbeitet sich am Freitagnachmittag durch den Wildwuchs.
Ein Bagger arbeitet sich am Freitagnachmittag durch den Wildwuchs.
Schon am Donnerstagabend ...
Schon am Donnerstagabend ...
... fanden die ersten Arbeiten auf dem Areal an der Bremer Straße statt.
... fanden die ersten Arbeiten auf dem Areal an der Bremer Straße statt.
THW-Helfer am späten Donnerstagabend bei der Arbeit.
THW-Helfer am späten Donnerstagabend bei der Arbeit.
Bagger befreiten das seit langem leerstehende Gelände ...
Bagger befreiten das seit langem leerstehende Gelände ...
... von dichtem Wildwuchs.
... von dichtem Wildwuchs.
Die Helfer arbeiteten bis spät in die Nacht unter Flutlicht.
Die Helfer arbeiteten bis spät in die Nacht unter Flutlicht.
Im Laufe des Abends fanden sich Schaulustige auf dem Gelände ein, die möglicherweise dem Lager der „Asylgegner“ zuzurechnen sind. Als die Polizei ihre Präsenz erhöhte, verließen sie die Szenerie.
Im Laufe des Abends fanden sich Schaulustige auf dem Gelände ein, die möglicherweise dem Lager der „Asylgegner“ zuzurechnen sind. Als die Polizei ihre Präsenz erhöhte, verließen sie die Szenerie.
Ein Plan des Zeltlagers für Flüchtlinge.
Ein Plan des Zeltlagers für Flüchtlinge.

Sachsens Landesregierung hat die Übergriffe inzwischen scharf verurteilt. „Angegriffene DRK-Mitarbeiter und Körperverletzungen gegenüber Menschen, die Flüchtlinge willkommen heißen, sind nicht hinzunehmen. Hier werden Grenzen überschritten“, sagte Staatskanzlei- Chef Fritz Jaeckel (CDU) am Samstag der Deutschen Presse-Agentur (dpa): „Diejenigen, die das tun, werden wir unerbittlich verfolgen und zur Rechenschaft ziehen.“ Jaeckel appellierte an die Dresdner, die Flüchtlinge willkommen zu heißen: „Zeigen Sie Menschlichkeit! Bund und Länder arbeiten derzeit an Maßnahmen die das Asylverfahren beschleunigen sollen. Ich erwarte hierzu im Frühherbst Ergebnisse.“

„Es ist unerträglich, wie die NPD und andere rechtsextreme Gruppierungen die gestrige Ankunft von 500 Flüchtlingen aus Syrien missbrauchen, um Hetze und Hass zu verbreiten, dabei auch vor Gewalttaten nicht zurückschrecken“, erklärte der Dresdner CDU-Chef und Landtagsabgeordnete Christian Hartmann. Es sei ein trauriges Bild, dass syrische Kriegsflüchtlinge und Helfer von der Polizei beschützt werden müssen.

Reaktionen von Lokalpolitikern

Von dem plötzlichen Aufbau der Zeltstadt fühlen sich Dresdens Stadträte überrumpelt. „Das ist so extrem kurzfristig passiert, dass eine ordentliche Organisation unmöglich ist“, sagt Vincent Drews, sozialpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Dass der Freistaat Sachsen in Dresden bis heute keine feste Flüchtlingsbehausung geschaffen hat, sei ärgerlich. Zuletzt sei dafür eine Fläche hinter der Staatskanzlei im Gespräch gewesen. Eine Zeltstadt halte Drews für die denkbar ungünstigste Lösung.

Die Dresdner erst am Abend vorher über das Lager zu informieren, spiele Extremisten in die Karten, sagt FDP-Stadtrat Jens Genschmar mit Blick auf die Ausschreitungen in Freital. „Um Vertrauen bei den Dresdnern zu erlangen, muss vorher erklärt werden, was passieren wird.“ Der Freistaat habe seinen Plan alternativlos durchgezogen. Dass dies bei Bevölkerung und Stadtpolitikern schlecht ankomme, darüber müsse man sich dann nicht wundern, so Genschmar weiter.

Kritik am Vorgehen der Landesdirektion übt auch Annekatrin Klepsch, Landtagsabgeordnete und Stadträtin der Linken. Drei Tage mehr hätten schon geholfen, um die Bevölkerung ordentlich zu informieren, sagt sie. Angesichts des nicht erst seit Donnerstag bekannten Flüchtlingszustroms sei es unverständlich, warum der Freistaat so kurzfristig reagiere. Den Standort an der Bremer Straße hält Klepsch für geeignet. Die Nähe zum Zentrum sei besser als eine abgeschottete Fläche am Stadtrand. Außerdem sei das Areal gut für Helfer zu erreichen. „Dresden kann das gut verkraften“, sagt die Politikerin.

Grünen-Sozialpolitiker Michael Schmelich nennt das Handeln des Freistaats grob fahrlässig, insbesondere vor dem Pegida-Hintergrund, den Dresden hat. „Das Land hat das Thema Erstaufnahmeeinrichtungen verschlampt“, sagt er. „Jetzt ist eine kurzfristige Entscheidung getroffen worden mit einer fehlerhaften, unsensiblen Kommunikationsstrategie.“

Mit Schuldzuweisungen gegenüber der Landesregierung will sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Jan Donhauser zurückhalten. „Jetzt müssen wir uns alle darum kümmern, wie wir die Situation hinkriegen“, sagte er. Es bringe nichts, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen. „Wir werden mit der Staatsregierung sprechen, wie wir besser informieren können.“ (SZ/sr)

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In der Nacht von Donnerstag auf Freitag war auf einem ungenutzten Gewerbegelände in der Dresdner Friedrichstadt damit begonnen worden, ein Zeltlager mit einer Kapazität für bis zu 1 100 Asylsuchende zu errichten. Binnen 24 Stunden wurde die Zeltstadt errichtet, um am Wochenende etwa 800 Flüchtlinge vor allem aus Syrien aufzunehmen.

Die ersten Bewohner kamen am Freitagabend um etwa 22:30 Uhr mit Bussen aus Chemnitz an. Das Deutsche Rote Kreuz betreut das Lager und war am Abend mit 70 Mitarbeiterin im Einsatz. Die restlichen Asylbewerber werden im Laufe des Wochenendes in der Friedrichstadt erwartet. Am Samstag wird die Ankunft von etwa 300 Menschen erwartet.

Pegida bleibt auf Distanz

Die Ankunft der Flüchtlinge gefiel nicht jedem: Bereits am Freitagmittag hatte der NPD-Kreisverband Dresden zu einer Demo gegen das Notaufnahmelager aufgerufen - am Abend waren nach Schätzungen rund 200 rechte Demonstranten vor dem Gelände zu sehen. Das Pegida-Bündnis um Lutz Bachmann rief seine Anhänger derweil via Facebook dazu auf, der NPD-Kundgebung fernzubleiben.

Auch eine Gegendemo war von Mirko Schultze (Linke) angemeldet worden. Diese Demonstranten - deutlich über 300 Menschen - wollten hier die Flüchtlinge willkommenheißen und sprachen von einer „gewollten Provokation“ der NPD. Zwischenzeitlich rannten beide Lager aufeinander zu, die Polizei hatte Mühe, dazwischenzugehen. Das wiederholte sich später.

Rechte Demonstranten warfen auch Böller und Verkehrsbaken auf ihre Gegner, auch auch dem Gegendemo-Block flog mindestens ein Knallkörper in Richtung der rassistisch motivierten Kundgebung. Drei Menschen wurden verletzt, darunter eine junge Frau, die stark blutend von Sanitätern versorgt werden musste. Drei Rettungswagen und ein Notarztwagen fuhren vor. Auch ein Fernsehteam vom ZDF wurde angegriffen. Die Polizei nahm einige Personen fest.

Ähnlich wie in Chemnitz sollen die Flüchtlinge in der Dresdner Zeltstadt nur vorübergehend untergebracht werden. Wie lange die Betroffenen in Zelten leben müssen, könne aber der Landesregierung zufolge noch nicht gesagt werden.

Die Zelte waren innerhalb sehr kurzer Zeit von Helfern des DRK und des THW errichtet worden. Drei Sanitärcontainer und zahlreiche Toilettenhäuschen ergänzen die Zeltstadt. Ein Caterer wird den Asylsuchenden drei Mahlzeiten pro Tag zu Verfügung stellen. Im Lager wird ein Sicherheitsdienst mit zehn Mitarbeitern für Ordnung sorgen.

Um die Sicherheit der Flüchtlinge zu garantieren, will das Innenministerium mehrere Züge der Polizei und der Bereitschaftspolizei in die Friedrichstadt verlegen. Man wolle dort eine starke Präsenz demonstrieren, hieß es.

Zwischenfälle schon beim Aufbau

Nach den Worten von DRK-Chef Rüdiger Unger waren Mitarbeiter der Hilfsorganisation schon am Donnerstagabend von Schaulustigen daran gehindert worden, Vorbereitungen für das Lager zu treffen. In einem Fall sei jemand sogar mit einem Auto auf einen DRK-Helfer zugefahren. „Ich habe so etwas noch nie erlebt“, sagte Unger. Allen müsse klar sein, dass man hier humanitäre Nothilfe leiste. Sachsens Innenstaatssekretär Michael Wilhelm (CDU) zeigte sich beschämt über die Vorfälle. Auch Mitarbeiter des Innenministeriums seien attackiert worden, als sie Informationsmaterial in die Briefkästen des Viertel warfen: „So etwas ist einfach nicht hinnehmbar.“ Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks hätten aus Angst vor Steinewerfern Helme mitgebracht.

Auch im Verlauf des Freitags beobachteten Schaulustige den Aufbau des Lagers und machten keinen Hehl aus ihrer ablehnenden Haltung. Andererseits sei in den vergangenen Stunden auch eine enorme Hilfsbereitschaft von Dresdnern zu spüren gewesen, sagte Innenstaatssekretär Michael Wilhelm. Viele wollten Spielzeug und Geld spenden oder bei der Betreuung der Asylsuchenden helfen. Dies seien ermutigende Zeichen. Die große Mehrheit der Dresdner Bevölkerung sei bereit, den betroffenen Menschen zu helfen. Wilhelm richtete einen eindringlichen Appell an die Asylgegner: „Lasst die Leute in Ruhe, die haben so viel durchgemacht.“

Die wenigen unmittelbaren Anlieger erfuhren erst am Freitagmorgen von dem Zeltlager, andere hatten am Donnerstagabend ein Schreiben der sächsischen Landesdirektion im Briefkasten. Meist sagen die Nachbarn zur neuen Situation auf der Bremer Straße: „Wir warten erst einmal ab.“ (mit dpa)