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Flirt mit einer Schwarzen Witwe

Therese Thomaschke und Tasso Schille erkunden in Bautzen weibliche Abgründe – und nehmen sich auch selber auf die Schippe.

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© Theater Bautzen

Von Miriam Schönbach

Diese Chansonnette hat auch schon bessere Tage gesehen. Mit unsicherem Schritt kommt sie die Mini-Showbühne herunter. Die Haare zerzaust, die Augen schon etwas kurzsichtig. Um die begehrten Herren im Publikum aufzuspüren, kramt sie umständlich ihre große, runde Brille aus der Tasche im Kleid. Dazu singt – wie könnte es anders sein – „Männer gibt es dünn und dick, groß und klein und kräftig, and’re wieder schön und stolz, schüchtern oder heftig. Wie er aussieht, mir egal, irgendeinen trifft die Wahl“. Cineasten kennen das Marlene-Dietrich-Lied aus ihrem Erfolgsfilm „Der Blaue Engel“.

In die Rolle der Chansonnette schlüpft Puppentheaterchefin Therese Thomaschke für den neuen Liederabend „Frühling, Sommer, Horst und Günther“. Selbstverständlich darf dabei auch nicht ein Pianist fehlen. Tasso Schille begleitet sie am Klavier. Die Idee für dieses musikalische Zwei-Personen-Stück entstand im vergangenen Jahr beim Sächsischen Theatertreffen in Bautzen. Damals standen der Musiker und die Puppenspielerin an einem Abend gemeinsam bei einem musikalischen Programm auf der Bühne. „Die Kollegen und das Publikum fanden es so witzig – obwohl ich es gar nicht sein wollte“, sagt Therese Thomaschke schmunzelnd. Der Gedanke daran aber bleibt hängen.

Tasso Schille verbreitet mit dem Klavier das Gefühl der „Großen Freiheit Nr. 7“. Therese Thomaschke singt „Beim ersten Mal da tut’s noch weh. Dann mit der Zeit, so peu à peu, gewöhnt man sich daran“. Im Hans-Albers-Hit geht es eigentlich um Sehnsucht der Matrosenbräute. Die alternde Chansonette meint aber eher ihre zahlreich Verflossenen, an dessen Ableben sie wohl nicht ganz unschuldig ist. „Witwe werden geht mir schon ganz leicht von der Hand. Zumal er mir ja einiges hinterlassen hat“, heißt es unter anderem im Monolog, um den sich im ersten Teil des Abends die Lieder aus gut einem Jahrhundert weben. Das Stück feierte am Freitag Premiere.

Es entstehen fünf Fassungen

Dabei erklingen nicht nur Evergreens. „Ich habe mir bestimmt 1 000 Lieder angehört, gesucht und viele davon auch immer wieder verworfen“, sagt Therese Thomaschke. Bei ihrer ersten Idee zum Liederabend wollte die Puppenspielerin eigentlich auf ihre tagtäglichen Begleiter aus der Puppen-Werkstatt zurückgreifen. Doch dieses Gedankenspiel verwarf sie schnell wieder. Insgesamt entstehen so nacheinander fünf Fassungen - auch, weil die Regisseurin und Ideenfinderin Respekt vor dem gesanglichen Part hat. „Ich habe dann meine Tochter gefragt, die Chansonsängerin ist, ob ich das als Laie überhaupt darf. Sie antwortete: Wenn Du eine gute Geschichte erzählst, trägt es das auch.“

Apropos Geschichte: So richtig glücklich scheint das ewige Ableben ihrer Gatten die Rothaarige nicht zu machen. Denn warum sollte sie sonst ihren Herren mit „Werd’ dich für immer vermissen. Egal was wir getan haben, was wir gesagt haben, vergess‘ ich nicht“ nachtrauern? Die Zeilen sind vom Elektropop-Duo Glasperlenspiel. „Dieser Song zum Beispiel ist erst ganz spät in unser Repertoire gekommen“, sagt Therese Thomaschke. Ihr gemeinsames Projekt mit Tasso Schille läuft im Bautzener Theater unter dem Motto „Spieltrieb“. Bei diesem Format setzen die Schauspieler und Puppenspieler ihre eigenen Ideen von der Stückauswahl bis zum Bühnenbild um.

Doch dieser Liederabend rückt nicht nur die Chansonette in den Mittelpunkt. Wie es sich gehört, ist der „Mann am Klavier“ – ja auch dieser Hit wird nicht fehlen – mehr als der Begleiter an den Tasten. „Die Anweisung für den ersten Teil hieß, dass ich gelangweilt wirken soll, eben wie ein Pianist, der eine dusselige alte Sängerin begleitet“, sagt Tasso Schille. „Herr Schiller“, wie die inzwischen erblondete Diva ihr Gegenüber nennt, wechselt nun zwischen Trude Herr, Gitte Haenning und nun Selig. Die Chansonnette singt: „Ich gab Dir meine Liebe. Gab Dir Zeit, Geduld und Geld“. Erst abserviert, dann nachgetrauert – die Tiefen der weiblichen Seele soll einer verstehen.

Angst um den Pianisten

Doch zu viel Sentimentalität verträgt die singende Diva nicht. Stattdessen rät sie dem Publikum keck à la Georg Kreisler „Also geben Sie acht - und bringen Sie mich nicht zum Schäumen! Sie sind bis jetzt ein feiner Mann. Doch wenn ich Sie nicht leiden kann. Dann brauch‘ ich nur von Ihrem Tod zu träumen!“ Ein bisschen Angst könnte man dabei auch um den Pianisten oder den einen oder anderen Herren im Publikum bekommen. „Es gab ein paar Lieder, die wollte ich unbedingt in diesem Programm unterbringen, andere habe ich umsonst gelernt“, sagt Therese Thomaschke.

Ein solcher Song ist „Spiel solang es geht“ des niederländischen Liedermachers Hermann van Veen. Zu diesem sehr nachdenklichen Lied bekommt eine Puppe ihren Kurzauftritt beim Liederabend. „Die Zuschauer sollen mit einem Glas Wein das Stück genießen. Wir haben einen breiten musikalischen Querschnitt für jedermann gewählt. Brecht allein würden sich manche vielleicht nicht anhören, in Verbindung mit Glasperlenspiel sieht das schon anders aus“, sagt Therese Thomaschke.

Ob der Pianist die Avancen der Schwarzen Witwe lebend übersteht? Die weiblichen Spinnentiere sind ja für ihre Mordlust gegenüber den Männchen bekannt. Und warum sonst sollte die atemberaubende Chansonnette „Ich bin verrückt nach jedem neuen Pianisten. Wenn du Klavierspielen kannst, nimm dich in Acht, sonst stehst auch du demnächst auf den Vermissten-Listen …“ singen? Die Auflösung bringt bestimmt der Liederabend „Frühling, Sommer, Horst und Günther“.

Nächste Vorstellungen: 29. Oktober und 26. November, jeweils 19.30 Uhr, Burgtheater Bautzen, kleiner Saal.