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Filmdreh: Papst-Audienz in Görlitz

Vor zehn Jahren war die Stadthalle Mittelpunkt eines mit viel Aufwand in Szene gesetzten Doku-Dramas.

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© Nikolai Schmidt

Von Ralph Schermann

Ein Mann im weißen Kittel sagt „Sie können jetzt zu ihm gehen.“ Er sagt es zur Wand. Er sagt es immer wieder. Die Wand aber denkt nicht daran, zu antworten.

Klirrender Frost herrscht beim Dreh am Granitabbaumuseum in den Königshainer Bergen. Da muss Cosma-Shiva Hagen durch.
Klirrender Frost herrscht beim Dreh am Granitabbaumuseum in den Königshainer Bergen. Da muss Cosma-Shiva Hagen durch. © Constanze Junghanß
Auf den Drehbüchern stand zunächst nur der Arbeitstitel des Films: „Der Prophet“.
Auf den Drehbüchern stand zunächst nur der Arbeitstitel des Films: „Der Prophet“. © Nikolai Schmidt
Die Ausstatter waren bis ins Detail perfekt: italienische Steckdosen der 70er Jahre.
Die Ausstatter waren bis ins Detail perfekt: italienische Steckdosen der 70er Jahre. © Nikolai Schmidt

So eigenwillig beginnt vor zehn Jahren ein Besuch in der Görlitzer Stadthalle. Der Weißkittel ist kein Einlassdienst. Der Schauspieler Thomas Grasshoff probt als Arzt Betonungen eines Satzes, nach dem wenig später Udo Kroschwald in das Krankenzimmer des Papstes darf. Mime Kroschwald spielt des Papstes Privatsekretär. Und die Görlitzer Stadthalle spielt die römische Gemelli-Klinik. Dort liegt nach einem Attentat Johannes Paul II, also nicht wirklich, sondern sein „Double“ Michael Mendl.

Verwirrend? Im Januar 2006 ist es das keineswegs. „Nur“ Filmleute sind mal wieder zu Gast. Das kennt man in Görlitz seit 1954 zur Genüge. Diesmal dreht im Auftrag des ZDF die „Interscience Film GmbH Heidelberg/Berlin/Paris“ nach Rom und dem Vatikan auch in Görlitz. „Der Prophet“ steht vorerst auf der Klappe. Richtig heißen soll das Drehergebnis des 35-köpfigen Teams „Karol Wojtyla – Geheimnisse eines Papstes“. Und es wird ein Meisterwerk. Was vor zehn Jahren in Görlitz mit entstand, wird später hoch gelobt und ein nuancenreiches Kammerspiel erster Güte, wird ein cineastischer Höhepunkt.

Die Lichtbildner versetzen Untermarkt und Handwerk nach Krakow (Krakau), beobachten den jungen Karol bei Steinbruch-Arbeiten in den Königshainer Bergen, schauen in die Jakobuskirche und lassen auf der Reichertstraße Krankenwagen fahren. Die Kamera zeigt Prominente wie Cosma-Shiva Hagen, Otto Mellies oder Mario Adorf. Nichts gegen deren Leistungen, doch die wahre Hauptrolle lastet auf einem maroden Bau, den Regisseur Gero von Boehm als „Görlitzer Babelsberg und Hollywood zugleich“ bezeichnet: der Stadthalle.

Obwohl „nur“ Foyer, Gaststätte und kleiner Saal von den Filmleuten genutzt werden, ist das Innere des jetzt so dringend auf Sanierung wartenden Hauses nicht wiederzuerkennen. Auf engstem Raum haben Szenenbildner Jörg Fahnenbruck und Requisiteur Alexis Telle kleine Wunder gezaubert. Hier beeindrucken Klinikflure und Vatikan-Gemächer, finden sich Krankenraum, Hotelzimmer und Gefängniszelle, hier tagt das ZK der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, machtwandelt man gar im Kreml. Alles so authentisch wie möglich: Papier wird chemisch „veraltet“, echte italienische Steckdosen aus Rom eingeflogen, jedes Möbel mit Originalfotos verglichen. Das geht so weit, dass beim Ausfüllen der kurz im Bild zu sehenden Krankenakte eine Fachberaterin hilft: Schwester Birgit Adam aus dem Görlitzer Klinikum. Auch dessen Technischer Leiter ist mit von der Rolle. Frank-Reiner Cwikla unterstützt die medizintechnische Ausstattung. „Wer glaubt denn den Inhalt, wenn schon typische Details nicht stimmen?“, fragt Jörg Fahnenbruck und ist stolz darauf, in nur zehn Tagen mit seinen acht Leuten alle Ausstattungen passend hinbekommen zu haben. Vor allem das päpstliche Arbeitszimmer erforderte viel Aufwand.

Bis ins Detail sind auch die 14 Schauspieler bei der Sache. Es ist aber weit mehr als schauspielerisches Können, wie am zweiten Drehtag der unglaublich präzise Charakterdarsteller Michael Mendl in einer Gefängniszelle dem Papst-Attentäter von 1981 vergibt. Diesen Türken, Ali Agca, spielt Mikail Tufan und bekennt: „Ich habe alle Bücher über dieses Drama studiert, mir alle Spiegel-Ausgaben von damals kommen lassen“, sagt er und betont: „Ich will den Mann verstehen, den ich darstelle.“

Um das Verstehen jenes Papstes der Superlative geht es auch Filmemacher Gero von Boehm, der nach Filmdrehs 2005 über Einstein und Beethoven schon wieder in Görlitz seinen „idealen Drehort“ gefunden hat. Weil sich im April 2006 erstmals der Todestag Johannes Paul II jährt, will er dessen Lebensgeschichte in komprimierter Form auf den Bildschirm bringen. Die handgeführte Kamera Tibor Szalmas fängt für dieses Doku-Drama neben den pingelig recherchierten Spielfilmsequenzen auch Zeitzeugengespräche ein. Helmut Kohl und auch Wojciech Jaruzelski, Michail Gorbatschow und Henry Kissinger – viele Personen werden in Interviews das Gesamtbild formen helfen. In Görlitz helfen bei dieser Formung auch 94 Komparsen: Steinarbeiter, Ordensschwestern, Militärs.

Acht Drehtage Interviews, vier Tage Rom, acht Tage Görlitz. Es ist bei allem Aufwand eine schnelle Produktion. Kein Wunder, dass man in Görlitz sogar zwei Wojtylas begegnet. Denn parallel zu Papst Johannes Paul II zeigt der Film auch das bewegte Leben des jungen Mannes, gespielt von Devid Striesow, der 2005 schon bei „Napola“ auffiel. Auffallen wird auch Cosma-Shiva Hagen. Sie unterstreicht als seine Freundin, dass dieser Papst „ein Mann war, der aus dem Leben kam“, betont Gero von Boehm: „Dieser Mann war einmalig.“

Die Arbeit der Filmemacher dagegen lebt von Wiederholungen. Im Foyer öffnen Arzt und Papstsekretär noch immer Türen, es wird geprobt, in Einstellungen unterteilt, wieder geprobt und endlich gedreht. Mal von einer, mal von der anderen Seite, Schuss und Gegenschuss eben, und immer wieder muss Chefbeleuchter Martin Bourgund Stimmungen korrigieren. Bühnennebel markiert durch angebliche Fenster sanft strahlende Sonnenbündel. Noch ein Test mit einer anderen Krawatte, einer anderen Brille. Udo Kroschwalds Gesten sind knapp und doch ein kleines Meisterwerk, zeigen innere Unruhe und dem Amt betonte Gelassenheit gleichermaßen. Nach drei Stunden ist im Kasten, was später fünf Sekunden über den Bildschirm flimmern wird. „Danke“, ruft Gero von Boehm.

„Danke“ sagen noch heute viele Polen „ihrem“ Papst. An der Gedenktafel der Stadtbrücke, dicht am Görlitzer Filmdrehort von 2006, kann man es täglich sehen.