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Das Wilsdruffer Filmfestival erlebt seine dreißigste Auflage. Mit kultigen Klassikern und einigen Premieren.

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Von Thomas Morgenroth

Irgendwann im zeitigen Frühjahr des Jahres 1984 feiert ein lustiger Haufen junger Leute in der Burenschänke an der Dresdner Straße in Wilsdruff den zwanzigsten Geburtstag ihres Freundes Reißl. Sie trinken, singen, grölen und zu allem Überfluss spielt irgendeiner Schlagzeug. Als dann einer einen Türrahmen demoliert, wird es dem Gastwirt und den Anwohnern schließlich zu bunt. Und viel zu laut natürlich. Die Fete von Gerd Reiß endet mit massiven Beschwerden – es sind die Geburtswehen für das Wilsdruffer Filmfestival, das im Jahr darauf das Licht der Welt erblickt.

Andreas Däßler, damals 16 und einer der „Störenfriede“, erinnert sich: „Nach dem Desaster überlegten wir, wie wir ohne Lärm Geburtstag feiern könnten.“ Gerd Reiß, so will es die Legende, soll dann den entscheidenden Satz geprägt haben: „Bringt doch eure Filme mit.“ Gesagt, getan: 1985, zu Reißls 21. Wiegenfest, erlebte das Wilsdruffer Filmfest seine Premiere. Als private Veranstaltung, die schon bald Kultstatus erlangte. Und die, seit fünfzehn Jahren unter den Fittichen des Rockvereins, bis heute existiert, was man von der Burenschänke nicht sagen kann, sie wurde schon vor der Wende geschlossen.

Schade, denn deren Toiletten hätten wunderbar in einen der Klassiker des Festivals gepasst, den das Wilsdruffer Studio CVJM 1993 drehte: „Yellow Water“, ein Klamaukstück um einen Säufer, grandios gespielt von Camillo Schulz, der dringend mal muss, aber alle öffentlich zugänglichen Porzellane, ja, selbst die Waschbecken, besetzt vorfindet. Von Liebespärchen oder Polizisten. Und Leichen. In einer der Kabinen liegt ein lebloser Fixer mit der tödlichen Spritze im Arm: Gerd Reiß.

Eröffnung in schwarzem Anzug

Nun, der ehemalige Wilsdruffer, der jetzt in Berlin wohnt, feierte in diesem Jahr dennoch bei bester Gesundheit seinen fünfzigsten Geburtstag. Und Reißl, wie er von seinen Freunden noch immer genannt wird, lässt es sich nehmen, auch das 30. Filmfestival in seiner Heimatstadt persönlich zu eröffnen, geschniegelt und gebügelt im schwarzen Anzug, wie alle 29 Auflagen davor. Natürlich ist er auch im Film dabei – und als Filmemacher. Am Freitag, dem Abend des Rückblicks, setzt sich Reiß wieder als Rauschgiftsüchtiger den Goldenen Schuss und präsentiert sich als „Der kleine Schallplattenfreund“.

Der Beitrag seines Studios RRR für das Filmfest des Jahres 2006 ist als Horrorthriller für alle Vinylfans in die Geschichte eingegangen. „Und wird immer wieder gewünscht“, sagt Matthias Schlönvogt, der Filmvorführer, der am Freitag wie seit Jahren seine bunte Reisetasche aufs Fahrrad lädt und vom Lerchenbachweg zum Gewerbehof Ruppert auf dem Landbergweg strampelt. Dort, in einer Werkhalle des Tankschutzbetriebes von Torsten Rost, wühlt Schlönvogt in den filmischen Schätzen und überlässt es ein bisschen dem Zufall, was er am ersten Veranstaltungstag zeigt. Die Auswahl ist riesig: Mehr als vierhundert Streifen erlebten seit 1985 beim Wilsdruffer Filmfestival ihre Welturaufführung. Der längste dauert ein und eine Dreiviertelstunde, eine an Tarkowski angelehnte Science-Fiction-Studie eines Studios aus Halle mit dem Titel „Dostoprimjetschatjelnosti“ und der kürzeste weniger als eine halbe Minute, ein Trickfilm mit Lego vom Studio Jukipo aus Großopitz.

Dazwischen ist alles möglich, auch inhaltlich, wobei die Länge des Filmes nicht mehr als zwanzig Minuten betragen sollte. „Das haben wir in den Jahren eingeführt, als oft mehr als zwanzig neue Filme gezeigt wurden“, sagt Andreas Däßler, der das Filmfest federführend organisiert. Der Ansturm ist jetzt nicht mehr so groß, für den dreißigsten Premierenabend diesen Sonnabend liegen Däßler bisher sechs Anmeldungen vor. Darunter wieder ein Legofilm von Jukipo, der diesmal Goethes „Faust“ zum Thema hat, sowie ein neues Werk von CVJM. Wie der dreiundzwanzigste Spielfilm von Camillo Schulz, Jens Jahn und Vincenz Schmidt heißt. Um was es geht, weiß Andreas Däßler allerdings nicht: „Die Dreharbeiten sind noch im Gange.“

Auch Matthias Schlönvogt, der mit seinem Studio Wilsburg bisher jedes Jahr einen neuen Film gezeigt hat, ist sich über den Titel seines aktuellen Werkes noch nicht schlüssig. Und inhaltlich? Auch da will sich der Fünfzigjährige nicht festlegen: „Mystische, gedankenschwere Bilder. Und die Familie spielt mit“, sagt der Vater von drei Kindern und grinst. Es seien ja noch ein paar Tage Zeit. Der Sonnabend wird also auch bei der dreißigsten Auflage des zweitägigen Filmfestivals der Abend der Überraschungen. Schön, dass es den im Zeitalter von Youtube überhaupt noch gibt. „Wir filmen um des Filmens willen, nicht wegen der Klicks“, sagt Schlönvogt.

Vor diesem Hintergrund könnten er und die anderen Wilsdruffer Studios vielleicht anlässlich des 30. Geburtstages im nächsten Jahr die Zeugung des Filmfestivals verfilmen: Mit Burenschänke, Schlagzeug, demoliertem Türrahmen, schimpfenden Anwohnern und einem prophetischen Reißl: „Lasst uns Filme machen.“

30. Wilsdruffer Filmfestival, 25. und 26. April, Gewerbehof Ruppert, Landbergweg 34; Fr. ab 19 Uhr eine Retrospektive mit Livemusik, Sa. ab 19.30 Uhr die Premieren.