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Feiern mit Stechuhr

Bernhard Rothenberger, Pächter von „Auerbachs Keller“ in Leipzig, fühlt sich von der deutschen Bürokratie gegängelt. Er zieht jetzt Konsequenzen.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Die Linken haben ihn oft beschimpft. Mal als Ausbeuter, mal als Kapitalistenschwein. Und auch für die Gewerkschaften ist Bernhard Rothenberger einer, an dem man sich abarbeiten kann. Das alles hat der 57-Jährige ausgehalten, ertragen und manchmal sogar provoziert. Aber das Gegängel durch den deutschen Staat, das ist ihm zu viel. Er macht Schluss. Der Pächter von „Auerbachs Keller“ im Herzen von Leipzig hat seinen Pachtvertrag, der eigentlich noch bis mindestens 2021 lief, vorzeitig gekündigt. Am 31. Dezember dieses Jahres wird sein letzter Arbeitstag sein.

Feiern bis zum Umfallen oder bis zum Eintritt Mephistos, wie hier von Eduard Grützner (1846 - 1925) gemalt, ist in Auerbachs Keller nicht mehr möglich. Seit das neue Arbeitszeitgesetz gilt, wurde der Küchenschluss auf 21 Uhr vorverlegt.
Feiern bis zum Umfallen oder bis zum Eintritt Mephistos, wie hier von Eduard Grützner (1846 - 1925) gemalt, ist in Auerbachs Keller nicht mehr möglich. Seit das neue Arbeitszeitgesetz gilt, wurde der Küchenschluss auf 21 Uhr vorverlegt. © akg-images

Es war keine leichte Entscheidung. „Ich habe ja nicht nur Verantwortung für mich und meine Familie. Es geht ja auch um ein traditionsreiches Haus und die Zukunft von 99 Mitarbeitern“, sagt der Unternehmer. Wehmut klingt dabei nicht in seiner Stimme mit, dafür aber Entschlossenheit, und auch Zorn. Zorn über einen Staat, der mit seiner Regulierungswut dem deutschen Mittelstand die Luft zum Atmen nehme. Ein Staat, der aber gleichzeitig tatenlos zusieht, wie Großkonzerne ganz legal in Steueroasen abwandern, sagt Rothenberger. Dass eine Gesellschaft Regeln des Zusammenlebens brauche und ein Staat Einnahmen, um das Gemeinwesen zu finanzieren, sei unstrittig. Allerdings würden in den vergangenen Jahren vor allem die Leistungsträger zur Kasse gebeten. Parallel ufere die Bürokratie immer weiter aus. „Von meinen 60 Wochenarbeitsstunden sitze ich mittlerweile zwei Drittel im Büro und verwalte nur noch“, sagt Rothenberger, der nach der Mittleren Reife erst eine Kellnerlehre gemacht hat. Später folgte das Studium der Betriebswirtschaftslehre. Wie man Dienstpläne erstellt, lernt man dort nicht. Früher hat Bernhard Rothenberger dafür zwei Stunden in der Woche gebraucht. Seit 2015 sitzt sein gastronomischer Leiter René Stoffregen fast einen Tag über den Papieren.

Schuld daran, so Rothenberger, ist Andrea Nahles (SPD). Die scheidende Arbeitsministerin hatte 2014 gemeinsam mit dem Mindestlohn auch das Arbeitszeitgesetz durch das Parlament gebracht. Doch der vielgelobte Schutz der Beschäftigten von mehr als zehn Stunden pro Tag sei eben nur die halbe Wahrheit, so Rothenberger. Beschäftigte in der Gastronomie dürfen 48 Stunden pro Woche arbeiten, aber eben nicht mehr als zwei Überstunden pro Tag an vier Tagen in der Woche. Ausnahmen gibt es nicht. Verstöße werden mit Bußgeldern bis zu 500 000 Euro geahndet. Bernhard Rothenberger musste reagieren. Er hat die Öffnungszeiten täglich um zwei Stunden reduziert. Küchenschluss ist jetzt immer schon um 21 Uhr. Das finden nicht alle Gäste toll. Immer wieder gibt es Beschwerden. „Das müssen dann leider oftmals meine Mitarbeiter im Service abfangen“, so Rothenberger. Er fordert ja gar keine Mehrarbeit. „Mit 48 Stunden in der Woche kommen wir hin. Aber es müssten eben auch einmal elf oder zwölf Stunden möglich sein, vor allem an den Wochenenden, wo das Haus voll ist“, so der Gastronom. Ein Freizeitausgleich am Montag oder Dienstag in der Folgewoche sei oft ohne Problem möglich.

Mehr Flexibilität bei der Arbeitszeitregelung fordert auch der Branchenverband der Gastronomen, die Dehoga. Bis dato allerdings mit wenig Erfolg. Und auch die Hoffnung, dass das Thema durch die neue Bundesregierung noch einmal angefasst wird, ist gering.

Den Vorschlag der Gesetzesbefürworter, einfach zusätzliches Personal einzustellen, hält Bernhard Rothenberger schlichtweg für Quatsch. „Wir arbeiten schon in zwei Schichten und eine zusätzlich Dritte könnte ich niemals voll auslasten. Ich müsste also gut qualifizierte Mitarbeiter finden, die bereit sind, vorzugsweise freitags, sonnabends und sonntags ab 21 Uhr halbtags zu arbeiten. Davon kann keiner leben. Das ist großer Blödsinn“, so die Einschätzung des Gastronomen.

Er kann die Folgen des Gesetzes mittlerweile in Zahlen belegen. Der Umsatz ist von einstmals 8,6 Millionen Euro auf sieben Millionen gesunken. Entsprechend gingen auch die Gewerbe- und Körperschaftssteuer zurück. Hat Rothenberger 2014 noch 180 000 Euro überwiesen, waren es zuletzt nur noch 100 000 Euro. Und auch bei der Zahl der Mitarbeiter ging es bergab. 27 Beschäftigte haben das Unternehmen verlassen. Immer öfter bleiben Tische trotz Nachfrage leer. „Weil wir nicht genügend Personal haben, um sie adäquat zu bedienen“, so Bernhard Rosenberger.

Er, im Westteil Deutschlands aufgewachsen, fühlt sich bei alledem an die Planwirtschaft erinnert.

Seine Entscheidung, mit dem Unternehmertum in Deutschland endgültig aufzuhören, fiel nicht von heute auf morgen. Es gab aber einen Tag im Frühjahr 2016, den man wohl als Auslöser bezeichnen könnte. Mehrere Mitarbeiter des Zolls betraten Auerbachs Keller und forderten Einsicht in die Dienstpläne und interviewten sämtliche anwesenden Mitarbeiter. „Das ist ihr gutes Recht und Gesetz, aber der Auftritt mit der Dienstwaffe im Halfter, der hat mich schon geschockt“, sagt Bernhard Rothenberger. Und nicht nur er war beeindruckt. Auch die Gäste spekulierten. Gerüchte über Schwarzarbeit, Steuerhinterziehung oder Korruption machten die Runde. Das, so Rothenberger, habe bei ihm Spuren hinterlassen. Bis heute. Die Besuche des Zolls währten mehrere Wochen hintereinander. Beanstandungen gab es keine. Aber auch das hat Rothenberger erst auf Nachfrage erfahren. In diesem Land, so sein Fazit, laufe einiges grundlegend verkehrt.

Rothenberger hat oft gemahnt. Er fand Gehör, nur geändert hat sich nichts. Jetzt macht er Schluss mit dem Unternehmertum. Er habe keine Yacht, keinen Sportwagen und lebe auch nicht in einer Villa, sondern in einer Mietwohnung. „Wir konnten uns so in den vergangenen 20 Jahren einiges beiseite legen“, sagt der 57-Jährige. Allerdings nur, wenn die Bundesregierung nicht die Einführung einer Vermögenssteuer beschließt. Wenn die kommt, wird Familie Rothenberger Deutschland verlassen. Verlassen müssen, wie der Unternehmer sagt.

Doch zunächst wird er in Leipzig bleiben und hin und wieder auch seinen Keller besuchen. René Stoffregen, der bisherige gastronomische Leiter, will das Haus weiterführen. Er übernimmt 96 Mitarbeiter und drei Teilbereiche: den Großen Keller mit 450 Plätzen, die Weinstube mit 150 Plätzen und die Mephisto-Bar mit 50 Plätzen. „Er ist der richtige Mann“, ist Bernhard Rothenberger überzeugt. Stoffregen kennt das Haus seit 21 Jahren. Er sieht sich der Tradition verpflichtet. Das hat am Ende auch die Eigentümer der Mädlerpassage, die MIB AG, und natürlich die finanzierende Bank überzeugt. Diesen Betreiberwechsel zu moderieren, war der vorerst letzte unternehmerische Akt von Bernhard Rothenberger. Er hat ab Januar mehr Zeit für die Familie und für seine Leidenschaft, das Lesen. Ayn Rands Epos „Der Streik“ von 1957 hat er schon herausgesucht. „Ein herrliche Gesellschaftskritik, die beschreibt, wo wir heute in Deutschland stehen“, sagt Rothenberger. Er hat das Buch schon einmal gelesen, damals in englischer Sprache und leider ohne Textmarker.