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Feierabend für die „Bahnbomber“

Eine Sprayer-Crew bemalte jahrelang illegal Züge. Berggießhübler Bundespolizisten beendeten das Treiben.

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© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Edel klingt das Kürzel der LMA-Crew, wenn man es ausspricht: Lex mihi ars – die Kunst sei mir Gesetz. Ob es Kunst war, was die Crew-Mitglieder nachts an Zügen, Lärmschutzwänden und Brückenpfeilern hinterließen, will Oberkommissar Martin Ebermann, Sprecher der Bundespolizeiinspektion Berggießhübel, nicht diskutieren. Für ihn hört Kunst da auf, wo sie anderen schadet. 88 Anzeigen haben die Berggießhübler Beamten gegen zwei der Crew-Leute gestellt, knapp 50 wurden verhandelt. Schadenssumme: fast 100 000 Euro.

„Schädliche Neigung nicht mehr zu erkennen.“ Die Ex-Sprayer Oliver P. (l.) und Franz K. aus Dresden kamen am Amtsgericht Kamenz mit 700Euro Strafe davon.
„Schädliche Neigung nicht mehr zu erkennen.“ Die Ex-Sprayer Oliver P. (l.) und Franz K. aus Dresden kamen am Amtsgericht Kamenz mit 700Euro Strafe davon. © Linke

Die Bundespolizei passt als Bahnpolizei auch auf die Eisenbahnen auf. Graffitisprüher hinterlassen immer wieder Spuren im Landkreis, jedoch nicht mehr so viele wie früher. Registrierte die Berggießhübler Inspektion 2015 noch 68 Fälle mit 550 Quadratmetern besprühter Fläche, waren es 2016 noch 61 Taten mit 230 Quadratmetern. Bis Mitte Mai dieses Jahres zählten die Beamten 23 illegale Bilder, insgesamt gut 100 Quadratmeter groß.

Dass die Sprüh-Attacken nachgelassen haben, liegt womöglich auch daran, dass zwei Aktive der LMA-Crew nicht mehr mitmischen. Oliver P., 21-jähriger Dachdeckergeselle, und sein Kumpel Franz K., Werkzeugmechaniker, haben den Sprühdosen abgeschworen. In jahrelanger Kleinarbeit kamen ihnen Berggießhübler Ermittler auf die Schliche. In einer Juninacht im vorigen Jahr flog die Crew mitten bei der Arbeit auf.

Das Material des Ermittlungsverfahrens „Graffiti“ füllt fünf Aktenordner. Zusammengetragen hat es Lars Quadt. Der Polizeihauptmeister arbeitet in Berggießhübel als Operativer Auswerter. Er analysiert einzelne Fälle, sucht nach Zusammenhängen und nach Täternetzwerken. Graffiti sind seine Spezialität. Er hat schon die Kollegen am Münchener Bahnhof beim Ermitteln unterstützt. „Die Ausmaße sind dort natürlich viel größer als hier“, sagt er.

Wird ein Graffito entdeckt, fotografiert und vermisst die Polizei das Werk. Die „Tags“, die Signaturen der Macher, werden besonders genau registriert. Um den Jahreswechsel 2013/2014 herum fielen den Beamten neue Handschriften auf. Die Sprayergruppe agierte besonders gern im Bahnhof von Neustadt. Mehrmals wurden Wagen der dort geparkten Städtebahn fast komplett zugesprüht, „gebombt“, wie man in Fachkreisen sagt. Populär sein ist wichtig in der Szene. Die Sprayer hoffen, dass ihre Bilder auf den Zugflanken möglichst lange durch die Landschaft fahren.

In Neustadt fand ein gutes Dutzend Taten statt. Im Lauf der Ermittlungen wurde klar, dass die Crew, die häufig mit „LMA“ signierte, aber auch mit anderen Codes wie H2O, Snok oder Moek, einen sehr viel weiteren Aktionsradius besaß. Er reichte vom Erzgebirge bis weit hinein in die Lausitz. Bis zu 75 Quadratmeter groß prangten die Bilder an den Tatorten. Die Täter konnten stets unerkannt entkommen.

Inspektionssprecher Ebermann wundert das nicht. Solche Sprühaktionen würden nicht in Bierlaune durchgezogen, sondern seien von langer Hand geplant. Sorgfältig würden Ort und Zeit aufgeklärt, Beleuchtungssituation, An- und Abfahrtswege, Fluchtrouten. Während der Aktion gilt Arbeitsteilung. Scouts stehen für die Ausführenden Schmiere. „Das ist professionelles Vorgehen“, sagt Ebermann.

Verdächtiges Trio geht ins Netz

Die Eitelkeit war der Anfang vom Ende der LMAler. Der Kommentar zu einem im Internet eingestellten Werksfoto der Crew offenbarte „Täterwissen“, also Einsichten, die nur ein Macher des Bildes haben konnte. Es war nicht schwer, sagt Auswerter Quadt, über das Profil des Kommentators im sozialen Netzwerk an Fotos von ihm zu kommen. Dann half Kommissar Zufall: Bei einer Verkehrskontrolle nahe Görlitz wurden drei junge Leute mit Farbdosen und Handschuhen gestoppt, Sprayer-Utensilien, offenbar erst kürzlich benutzt. Personalien wurden aufgenommen, die Jungs vermessen und fotografiert. Auf einem der Fotos war derselbe Mann zu sehen, der im Internet über eins der Machwerke so gut Bescheid wusste. Ein anderer Insasse des Wagens hatte eine Schablone dabei, die ihn als vielfachen Täter, auch bei Neustädter Sprühaktionen, verdächtig machte.

Doch noch fehlte der schlagende Beweis. So observierte man die Jungs, hatte sogar mit der Städtebahn abgesprochen, dass man die Sprayer im entscheidenden Moment eine Weile arbeiten lassen würde, um sie dann zu schnappen. Ertappt wurde die Crew schließlich in Dresden, als sie gerade dabei war, eine Lärmschutzwand einzufärben. Hausdurchsuchungen folgten, Handys und Computer wurden beschlagnahmt. In den Speichern fanden die Ermittler 57 000 Fotos illegaler Malerei. Sogar in Italien waren die Sprüher aktiv gewesen.

Am 27. April stehen Oliver P. und Franz K. vor dem Kamenzer Amtsgericht, wegen Sachbeschädigung in 48 Fällen. Das Problem: Die Signaturen der Graffiti reichen als Beweis für die Täterschaft nicht aus, weil Nachahmer oder zufällige Namensgleichheiten zumindest denkbar sind. Weil die Beschuldigten nichts zugeben, muss ihnen jede einzelne Tat nachgewiesen werden. Der Richter bezweifelt, dass das gelingt. Er lässt sich auf einen Deal ein. Jeder der Beschuldigten gesteht eine Tat und zahlt 700 Euro Strafe.

Abgesehen davon bleibt es bei einer Verwarnung. Da die jungen Männer geregelte Jobs hätten, auch ihre „schädliche Neigung“ nicht mehr zu erkennen sei, käme Arrest nicht infrage, erklärt der Richter. Die Berggießhübler Bundespolizisten sind von der Milde überrascht. Angesichts des immensen Aufwands sei die Entscheidung schon frustrierend, sagt Ermittler Quadt. „Aber wir leben in einem Rechtsstaat.“ Hauptkommissar Dirk Petzold, Vizechef des Ermittlungsdiensts in Berggießhübel, hätte es gut gefunden, die Verurteilten wären wenigstens zum Reinemachen beschmierter Züge verdonnert worden. Die Arbeit seiner Kollegen lobt er. „Wir haben das Maximum herausgeholt.“