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Fast zehn Jahre Haft für rechten Schläger

Ausländerfeindliches Fanal beim Polenzer Dorffest: 33-Jähriger wegen versuchten Mordes verurteilt.

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© Paul Sander

Von Alexander Schneider

Dresden/Polenz. Rassistische Entgleisungen eines rechtsextremen Mobs, der sich ohne Widerspruch ausleben konnte – das ist aus Sicht des Schwurgerichts der Hintergrund, vor dem es zu den Gewaltexzessen bei der Sonnenwendfeier des Polenzer Schalmeienorchesters kam. Am 18. Juni 2016 wurden dort nachts zwei Bulgaren und ein Deutscher, der für einen Rumänen gehalten worden war, zusammengeschlagen und schwerst verletzt. Alle drei seien Opfer eines fremdenfeindlichen Motivs der Täter geworden, sagt der Vorsitzende Richter Herbert Pröls am Freitag.

Nach fast fünf Monaten endet nun der Prozess gegen drei Angeklagte am Landgericht Dresden. Sebastian K. (33) aus Bad Schandau wird unter anderem wegen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Verwendens von Nazi-Symbolen zu neun Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt. Sebastian S. (24) muss für zwei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis. Maik R. (39) aus Neustadt/Sa. erhält eine Bewährungsstrafe von neun Monaten. Er hatte vor einem Polizisten „Sieg Heil“ gerufen und zusammen mit S. versucht, die blutverschmierte Jacke des Haupttäters K. verschwinden zu lassen.

K. hatte nach Überzeugung des Gerichts während des Schalmeienkonzerts im Festzelt den Hitlergruß gezeigt und sich von seiner Gruppe dafür feiern lassen. Schon die fehlende Reaktion auf diese Straftat, die einen „bewusst demonstrativen Charakter“ gehabt habe, sei entscheidend für das, was später passierte. Die Gruppe habe das als „Schwäche der staatlichen Organe“ und als eigene Stärke empfunden.

Nach 22 Uhr habe die Gruppe dann vor dem Zelt die Bulgaren erkannt. Man habe sich über sie lustig gemacht, sei ihnen gezielt gefolgt. K. habe dann einen mit der Faust gegen die Halsschlagader geschlagen, sodass der 41-Jährige bewusstlos umfiel. Als dann dessen Begleiter K. geohrfeigt habe, habe der Angeklagte sofort zugeschlagen und mit einem Bierkrug dreimal auf den Schädel des 30-Jährigen eingeschlagen, selbst als der schon bewusstlos am Boden lag. Ärzte haben das Leben von Iveylo D. in der Klinik gerettet. K. habe dessen Tod in Kauf genommen. Es sei sehr viel Blut aus dem Schädel gespritzt. Die Gruppe der Angeklagten habe weiter getrunken und auf den Tischen getanzt. Schließlich haben K. und S. einen Besucher aus Neustadt im Versorgungszelt attackiert, weil sie ihn für einen Ausländer gehalten hatten. Viele nennen ihn nur den „Rumänen“. Der 28-Jährige wurde in Rumänien geboren, hat deutsche Vorfahren und kam mit acht nach Sachsen. Es sei nicht nachzuweisen, dass Maik R. dabei auch aktiv mitgewirkt habe.

An der ausländerfeindlichen Gesinnung gebe es keine Zweifel. K. und S. beschimpften den 28-Jährigen laut Pröls als „Islamistenschwein“ und „Ausländersau“. Als Zeugen sich einmischten, haben die Angeklagten etwa entgegnet „Wenn Merkel die alle hinein lässt, müssen wir sie eben wieder hinausprügeln“. Die Männer hätten „Hand an die Grundsäulen des menschlichen Zusammenlebens angelegt“.

16 Sitzungstage waren nötig, um den Angeklagten, die selbst schwiegen, die Taten nachzuweisen. Es gab Pannen der Polizei, die mehrfach in jener Nacht nach Polenz ausrücken müsste – Beweise, wie K.s blutverschmierte Kleidung und Blutspuren wurden nicht gesichert. Es war Glück, dass die Polizei Tage später noch Hose und Jacke mit DNA von ihm und seinen Opfern in K.s Wohnung fand. K. hatte sich in seinem letzten Wort überraschend entschuldigt.

Erhebliche Probleme bereiteten dem Gericht auch viele Zeugen – Besucher wie Mitveranstalter von Orchester und Feuerwehr. Viele gaben vor, „nichts gesehen zu haben“ oder sich nicht mehr erinnern zu können. „Man muss schon sehr naiv sein, um ihnen das abzunehmen“, sagt Pröls. Eine Neunjährige sei zu ihrer Mutter gelaufen und habe gesagt „Mama, hier wird einer totgeschlagen“ – aber Erwachsene, die daneben standen, schwiegen nun. Diese Erinnerungsprobleme erklärt sich das Gericht mit einer diffusen Angst, da zu der Gruppe der rechtsextremen Besucher auch „Nachbarskinder aus Polenz“ zählten. Wenn Menschen in massivster Weise verletzt werden, sei es jedoch eine „Frage des Anstands“ bei der Wahrheit zu bleiben. Auch mancher Zeuge habe die „Grundsäulen des menschlichen Zusammenlebens beschädigt, so Pröls: „Das ist unanständig.“