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Fan-Treffpunkt Tankstelle

Die Barkas-Jungs kommen vor jedem Dynamo-Heimspiel in die Wiener Straße. Trotz Bier geht es dort friedlich zu.

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© Christian Juppe

Von Nora Domschke

Schwarz, Gelb, Bordeauxrot – das sind die Farben, die das Bild an der Total-Tankstelle in der Wiener Straße 39 bestimmen. Und zwar vor jedem Heimspiel von Dynamo Dresden. Hier treffen sich seit Jahren Hunderte Fans, um sich auf das Spiel einzustimmen. Auch an diesem Sonntag wird gefachsimpelt, sorgenvoll auf die beiden letzten Spieltage zurückgeschaut. Die 0:3-Niederlagen der Schwarz-Gelben gegen Erzgebirge Aue und Kaiserslautern sind an der Tankstelle Thema Nummer eins.

„Heute brauchen wir drei Punkte“, sagt Ronny Paulo, der extra aus der Lausitz zum Spiel gekommen ist. Wir – das ist die Mannschaft, das sind aber auch Fußballfans, die für ihren Verein brennen. Die jedes Spiel verfolgen, mitfeiern, wenn Vereine wie Hannover 96 und St. Pauli besiegt werden. Und mitleiden, wenn das Runde einfach nicht ins Eckige will.

Mit einem Blick auf die Kfz-Kennzeichen wird schnell klar: An der Tankstelle in der Wiener Straße treffen sich vor allem die Fans, die von außerhalb in die Landeshauptstadt kommen. Bautzen, Chemnitz, Leipzig, Riesa. OSL? Das ist der Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Im südlichen Zipfel von Brandenburg, drei Kilometer von der sächsischen Grenze entfernt, wohnen die „Barkas-Jungs 69“. Acht Männer und ihre Familien, allesamt glühende Dynamo-Anhänger, kommen mit ihrem Ost-Oldie zu jedem Heimspiel. Mit Tempo 80 brauchen sie für die 40-Kilometer-Strecke von Lindenau nach Dresden gut 45 Minuten. „Wir fahren bei jedem Wetter“, sagt Paulo.

Der 41-Jährige und seine Freunde haben den Barkas, Baujahr 1969, in Handarbeit restauriert. An der Dresdner Tankstelle ist der Oldtimer der absolute Hingucker. Auch an diesem Sonntag kommen immer wieder Fans, machen Selfies vor dem schwarz-gelben Schmuckstück, vertiefen mit den Barkas-Jungs ins Gespräch. „Das ist schon richtig zur Tradition geworden“, sagt Paulo. Auf den Treffpunkt an der Tankstelle sind die Lausitzer 2009 gestoßen. Dynamofan-Urgestein Roland „Icke“ Lennig lernte Paulo bei einem Besuch in Lindenau kennen. „Mich kennt man, weil ich vor dem Spiel Bonbons an die Trainer verteile“, sagt Lennig selbstbewusst. Als Glücksbringer sozusagen. Für den Leipziger ist die Dresdner Tankstelle schon seit vielen Jahren Anlaufstelle. „Da wollte ich die Barkas-Jungs einfach dabeihaben.“

Die standen bis dahin immer auf einem Parkplatz am Hygienemuseum. „Das ist mit der Stimmung hier aber nicht zu vergleichen“, sagt Paulo. Klar, es fließt viel Bier – aggressiv sei aber kaum jemand. Das bestätigt auch Tankstellenbetreiber Gunter Richter. Der 60-Jährige wohnt – wie die Barkas-Jungs – in der Lausitz, pendelt von dort aus nach Dresden oder zu seiner zweiten Tankstelle nach Görlitz. Als er den Standort an der Wiener Straße vor 16 Jahren übernahm, wusste Richter, worauf er sich einlässt. „Der Vorpächter hat mir ein paar gute Tipps gegeben“, erinnert er sich. Größtes Problem ist der Müll. Nach jedem Spiel rückt extra ein Hausmeister an, der Glasscherben einsammelt und Sticker entfernt. „Hier wird alles zugeklebt, die Mülleimer bleiben so gut wie ungenutzt.“

Beschweren will sich Gunter Richter darüber nicht. Schließlich klingeln bei jedem Fan-Ansturm die Kassen. An einem Heimspieltag gehen schon einmal 40 bis 50 Kästen Flaschenbier über den Tresen. Anstatt zwei schmeißen dann vier Mitarbeiter den Laden. Schon Stunden vor Spielbeginn füllen sich die Flächen rund um das Tankstellengebäude mit Autos. Probleme mit zugeparkten Zapfsäulen und Zufahrten habe er indes kaum. Seine Stammkunden wissen, was zu beachten ist. Handfeste Schlägereien habe er in den vergangenen 16 Jahren noch nie erlebt. Wenn, dann schlichtet ein anderer sofort. „Da passen die Fans gegenseitig aufeinander auf.“

Mit dem Bezahlen nimmt es aber offenbar nicht jeder so genau. Bei 30 schwarz-gelben Outfits gleichzeitig im Laden verlieren die Mitarbeiter schnell den Überblick. Nun sorgen zwei Sicherheitsleute am Eingang dafür, dass jeder löhnt, indem sie sich den Kassenbon vorzeigen lassen. Tanken-Chef Richter sieht’s gelassen, dass er es bei den Fans auch mit Langfingern zu tun hat. „Das kann man eben nicht ändern.“

Eineinhalb Stunden nach dem Abpfiff des Zweitligaspiels kehrt auch an diesem Sonntag wieder Ruhe in seinem Geschäft ein. Die sportliche Bilanz: 2:2. Immerhin ein Punkt für Dynamo. Die Barkas-Jungs sind ganz zufrieden. Am 15. Oktober sind sie wieder an der Tankstelle anzutreffen. Mit Barkas, Bier und Bonbons.