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Familie im XXL-Format

Immer mehr Dresdner entscheiden sich für ein drittes und viertes Kind. Eine Großfamilie berichtet vom Leben zu sechst.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Dresden. Ruhig ist es bei Familie Hilbrich nur selten. Glücklich sind die sechs Dresdner trotzdem. Anja und Andre Hilbrich haben sich für das Modell Großfamilie entschieden – sie sind Eltern von vier Kindern. Ein Trend, der sich in Dresden durchsetzt. Ende 2015 lebten in über 5 000 Haushalten der Landeshauptstadt drei oder mehr Kinder. 2007 waren es noch 3 300. Die Zahl der Vierkind-Familien ist von 506 im Jahr 2007 auf 710 im Jahr 2015 gestiegen. Immerhin elf Familien hatten 2015 sieben oder mehr Kinder. Doch ist Dresden eigentlich attraktiv für Familien im XXL-Format?

Anja Hilbrich findet, ja. Vor elf Jahren zog sie mit ihrem Mann Andre vom Waldschlößchen in die Neustadt. Ihre erste Tochter Emma war bereits auf der Welt, ihre Schwester Lilly unterwegs – die Zeit drängte. Was mittlerweile eine der größten Schwierigkeiten für Familien in Dresden ist – das Mieten von großen Wohnungen – war damals kein Problem. Gleich auf Anhieb fanden sie in der Förstereistraße eine Vierraumwohnung. Heute suchen Familien händeringend nach einer größeren Bleibe. Vor allem in begehrten Vierteln wie der Neustadt ist die Nachfrage riesig. „Wir sind total glücklich, dass das damals so schnell geklappt hat“, sagt Anja Hilbrich. Dass die 84-Quadratmeter-Wohnung mittlerweile aus allen Nähten platzt, stört die Familie wenig. Ein Wegzug aus der Äußeren Neustadt? Keine Option für die sechs. Dafür nehmen sie auch in Kauf, dass es eng ist: Die Eltern schlafen im Wohnzimmer, die beiden Mädchen Emma (11) und Lilly (9) teilen sich ein Zimmer, ebenso wie ihre Brüder Richard (4) und der zweijährige Peter. Der dritte Raum wird als Arbeitszimmer genutzt – und als Rückzugsort für Hausaufgaben, zum Lesen oder einfach mal zum Entspannen. „Das soll auch so bleiben – es sei denn, die Mädchen streiten zu oft“, sagt Anja Hilbrich schmunzelnd.

Weil sie 25 Stunden in der Woche arbeiten geht, ihr Mann Andre sogar einen Vollzeitjob hat, kommt es bei ihnen ganz besonders auf gute Organisation an. Vor allem im Haushalt. „Wir gehen jeden Tag einkaufen, die Waschmaschine läuft mindestens einmal täglich, am Wochenende auch öfter.“ Für das Ehepaar kein Problem: „Wir sind ein eingespieltes Team“, sagt Andre Hilbrich. Für den 39-Jährigen ist es selbstverständlich, den Geschirrspüler auszuräumen oder die Wäsche zum Trocknen aufzuhängen. Allein beim Kinder-ins-Bett-Bringen gibt es keine Arbeitsteilung. „Das machen wir immer gemeinsam“, sagt Anja Hilbrich und streichelt nebenbei liebevoll durch Richards Haare. Sie tröstet ihren Vierjährigen, der gerade weinend aus dem Kinderzimmer kommt. Tränen trocknen, Streit schlichten, auch mal ein Machtwort sprechen – das ist in einer Familie mit vier Kindern an der Tagesordnung. Und eine Großfamilie bedeutet auch Verzicht – je nach finanzieller Lage mehr oder weniger. Anja und Andre Hilbrich haben kein eigenes Schlafzimmer. Und auch kein Auto. Wobei hier gar nicht der Spargedanke im Vordergrund stehe, sagt Andre Hilbrich. „Das ist hier in der Neustadt einfach nicht nötig“, berichtet der Vater. Schöner Nebeneffekt ist dennoch, dass keine Ausgaben für Steuern, Versicherung, Sprit, Reparaturen anfallen. Wenn es in den Urlaub geht, mietet er kurzerhand ein Fahrzeug; ansonsten sind die Wege in ihrem Wohnviertel kurz und per pedes zu schaffen. Die Mädchen gehen allein zum Klavierunterricht, zu Freunden, manchmal sogar ins Kino. „Deshalb ist die Neustadt einfach genial für Familien“, sagt die 38-jährige Mutter. „Hier gibt es alles, was man braucht, auch unsere Schulen und die Kita sind gleich um die Ecke. Und es gibt viele schöne Spielplätze.“

Und wie steht es um die Finanzen, wenn vier Kinder zu versorgen sind? Anja arbeitet im Sozialministerium, Andre im Landesumweltamt. Mit ihrem Verdienst kommen sie zwar aus, sagen beide. Rechnen müssen sie aber trotzdem jeden Monat. Anstatt in den fahrbaren Untersatz investieren sie lieber in gesundes Essen. Täglich frisches Obst und Gemüse aus dem Biomarkt – das sei ihnen viel wichtiger. Ihr Fazit: Als Familie im Sechserpack lebt es sich gut in Dresden.

Und die Stadt hat für Familien mit mehreren Kindern tatsächlich einiges zu bieten. Den Familienpass, der sachsenweit gültig ist, zum Beispiel. Mit ihm kommen Großfamilien mit drei Kindern oder mehr kostenlos in Museen und Parks des Freistaates. Im Zoo oder in Schwimmbädern gibt es Familienkarten mit Rabatt. Ein Ausflug zu sechst wäre ansonsten oft sehr teuer. Und ist ohnehin meistens eine Herausforderung. „Mit vier Kindern im Schlepptau wird man schon ab und zu komisch beäugt“, sagt Anja Hilbrich. Vor allem von Frauen. Im vergangenen Jahr war sie mit ihrem kompletten Nachwuchs zur Mutter-Kind-Kur. „Da habe ich nur schwer Anschluss gefunden. Für viele Mütter ist es unvorstellbar, vier Kinder großzuziehen.“ Dabei sei das gar keine Mammutaufgabe, sagt die Mutter. Man dürfe nur seine eigenen Bedürfnisse nicht aus den Augen verlieren.

Denn auch für die intime Beziehung bedeuten vier Kinder Verzicht. „Wir müssen schon aufpassen, dass uns die Zweisamkeit nicht verloren geht.“ Ein Abend allein – das geht nur „auf Bestellung“ und muss lange vorher geplant sein. Die Großeltern leben nicht in Dresden, kommen aber hin und wieder zum Babysitten. „Lange halten wir es ohne die Kinder aber sowieso nicht aus. Es fehlt immer etwas, wenn wir nicht vollzählig sind.“ Hilbrichs fühlen sich mit ihren vier Kindern komplett. Obwohl das so keineswegs von Anfang an geplant war. „Für uns stand immer fest, dass wir zwei Kinder wollen“, sagt Anja Hilbrich. Sie lächelt ihren Mann an. „Ja, aber dann wollten die Mädchen noch ein Geschwisterchen“, sagt Andre Hilbrich. „Das vierte hat sich dann einfach so ergeben.“ Auch, weil in Dresden alles passe für Großfamilien, sagt das Paar. Und ein fünftes Kind? „Unsere Familienplanung ist abgeschlossen.“