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Familie gerettet, aber …

Wie eine Mutter mit drei Kindern in Dresden um ein neues Zuhause kämpfen muss.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Es sind nervenzehrende Wochen für SylviaZ.* Die Dresdner Mutter sucht händeringend eine neue, eine größere Wohnung für sich und ihre drei Kinder (die SZ berichtete). Auf große Hoffnung folgt Enttäuschung, wenn sie wieder eine Absage bekommt. Schließlich geht es um ihre Existenz, um ihre Familie.

Ihr ältester Sohn Yasin ist kein gewöhnliches Kind. Der Zwölfjährige leidet unter einem seltenen Gendefekt, verliert regelmäßig die Kontrolle über seinen Körper, leidet unter Tic-Störungen. Während eines Anfalls schlägt er mit Gegenständen laut auf den Boden.

Für die Nachbarn eine unzumutbare Situation. Das weiß auch Sylvia Z. Sie will aus der 60 Quadratmeter großen Zweiraumwohnung im Niedersedlitzer Dorfkern ausziehen. Am liebsten ins Erdgeschoss, damit Yasin niemanden stört. Das Problem: Kein Vermieter will die Familie aufnehmen. Zuletzt wird die Stimmung in dem Niedersedlitzer Mehrfamilienhaus unerträglich. Sylvia Z. fühlt sich von Nachbarn gemobbt, beim Jugendamt geht sogar eine anonyme Anzeige ein.

„Das Schlimmste ist, dass keiner zu mir kommt und das Gespräch sucht“, sagt die Mutter. Versuche, den Nachbarn ihre Situation zu erklären, bleiben erfolglos. Die Bewohner nebenan ziehen im Frühjahr letztlich aus. Schließlich landet eine Abmahnung vom Vermieter im Briefkasten. Die Angst vor der Obdachlosigkeit wird immer größer. Sylvia Z. wendet sich an das Sozialamt. Dort empfiehlt man ihr, sich aufgrund der Abmahnung einen Anwalt zu nehmen, vermittelt die Mutter dafür in die kostenlose Rechtsberatung des Mietervereins. Zwei Wohnungen, die das Sozialamt bei Genossenschaften für die Familie organisiert und deren Mietkosten es übernehmen würde, scheinen der Mutter nicht geeignet. Eine liegt auf der sechsten Etage – das schafft Yasin nicht zu Fuß. Eine andere Wohnung in der Budapester Straße ist zu klein. „Wenn wir schon umziehen müssen, dann soll es eine dauerhafte Lösung sein“, sagt die 40-jährige Mutter.

„Es hört einfach nicht auf“

Yasin wird sein Leben lang auf ihre Hilfe angewiesen sein. Ihn von fremden Menschen betreuen zu lassen – für die Mutter absolut keine Option. Wichtig sei vor allem, dass für ihre beiden anderen Kinder endlich Ruhe einkehrt. In der Zweiraumwohnung fehlt dem achtjährigen Sinan jeglicher Rückzugsraum, Schwesterchen Saphira wird bald Laufen lernen und ihren Platz beanspruchen.

In der Hoffnung, auf dem freien Wohnungsmarkt eine passende Bleibe zu finden, wendet sich Sylvia Z. an die Sächsische Zeitung. Nach einem Beitrag kommt Bewegung in die Sache, beim Großvermieter Vonovia kümmert sich eine Sozialarbeiterin um die Familie – eine geeignete Fünfraumwohnung findet aber auch sie nicht. Dennoch gibt sie den entscheidenden Tipp: In speziellen Fällen bezahlen Krankenkassen den Einbau einer Schalldämmung. Sylvia Z. hat Glück, ihre Krankenkasse würde die Kosten übernehmen. Und sie hat ein zweites Mal Glück. Bei der Besichtigung einer Erdgeschosswohnung im Dresdner Osten kommt die Mutter mit der Hausverwalterin ins Gespräch. Sie will sich beim Eigentümer dafür starkmachen, dass die Familie die Wohnung bekommt.

Tage der Ungewissheit vergehen, Sylvia Z. befindet sich auf einer emotionalen Achterbahnfahrt – die Hoffnung ist riesig und zugleich auch die Angst vor einer erneuten Absage. Ein Anruf bringt die Erlösung – der Vermieter stimmt zu. Der Zufall kommt zu Hilfe, denn auch er hat im Bekanntenkreis eine Familie mit einer schwerbehinderten Tochter und kennt deren Probleme. „Ich hätte die Wohnung sofort an andere Bewerber vermieten können“, sagt Ralf Bäßler. Das Schicksal der verzweifelten Mutter, die darum kämpft, dass Yasin in der Familie bleiben kann, habe ihn aber sehr berührt. „Ich war so erleichtert“, sagt Sylvia Z.

Mittlerweile ist die Familie angekommen im neuen Zuhause. 109 Quadratmeter, fünf Zimmer. „Den Kindern tut es richtig gut, dass sie ihre eigenen Zimmer haben“, berichtet ihre Mutter. Ruhe kehrt allerdings nicht wirklich ein, denn ein anderes Problem taucht auf. Damit Yasin in dem Mehrfamilienhaus die anderen Bewohner nicht stört, lässt Ralf Bäsler die Räume umbauen. Die Decke wird mit Schallschutzplatten verkleidet, das Bad behindertengerecht gestaltet, sodass auch Yasin die Dusche ohne Probleme benutzen kann. Insgesamt 60 000 Euro investiert Bäßler in die Wohnung. „Ich hätte sie ohnehin sanieren müssen“, räumt er ein. Allerdings hätte das im Normalfall die Hälfte gekostet. Bäßler geht davon aus, dass er zumindest einen Teil der zusätzlichen Umbaukosten in Höhe von 30 000 Euro mit Fördermitteln decken kann; er rechnet mit 10 000 Euro.

Das Dresdner Stadtplanungsamt beteiligt sich mit 3 800 Euro, auch die Pflegekasse gibt Geld. Das erhoffen sich Sylvia Z. und Ralf Bäßler auch vom Landesprogramm „Wohnraumanpassung“, stellen dafür bei der Sächsischen Aufbaubank einen Antrag.

Was beide nicht wissen und ihnen laut eigener Aussage bei dem vorgeschriebenen Beratungsgespräch auch nicht mitgeteilt wird: Beginnen die Bauarbeiten, bevor die Förderung bewilligt wird, muss auch das beantragt werden. Weil sie das nicht tun, wird der Antrag abgelehnt. „Es hört einfach nicht auf!“ Die Mutter ist überfordert, Ralf Bäßler sauer: „Die Zeit drängte, denn die Familie musste aus der alten Wohnung ausziehen.“ Die Alternative wäre gewesen, dass Mutter und Kinder auf der Straße stehen, sagt er. Sylvia Z. will er die Mehrkosten nicht in Rechnung stellen.

Wie es weitergeht, ist offen. Ein Widerspruch gegen die Entscheidung der Sächsischen Aufbaubank bleibt erfolglos. Auf Nachfrage der SZ befasst sich das Innenministerium mit dem Fall. Sprecherin Patricia Vernhold zeigt sich zwar betroffen vom Familienschicksal. Haushaltsrechtlich könne die Entscheidung aber nicht rückgängig gemacht werden. Sylvia Z. rät sie, sich an die Behindertenbeauftragten zu wenden. Auch das wird die Mutter tun – wenn auch mit wenig Hoffnung.

* Sylvia Z. möchte unerkannt bleiben.