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Falsch verstandene Vaterliebe

Ein junger Meißner fährt betrunken mit dem Auto. Das Gericht bewahrt dessen Vater vor einer Falschaussage.

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Von Jürgen Müller

Das ist schon merkwürdig. Da erhält ein 24-jähriger Meißner einen Strafbefehl, weil er betrunken mit dem Auto fuhr. 1,55 Promille ergab der Blutalkoholtest im Krankenhaus. Gegen diesen Strafbefehl – also ein schriftliches Urteil ohne Verhandlung – geht er in Einspruch. Als es nun doch vor dem Meißner Amtsgericht zur Verhandlung kommt, sagt er zu seiner Vereidigung – nichts. Lediglich sein Anwalt gibt eine dünne Erklärung ab. Sein Mandant sei gar nicht gefahren, sondern dessen Vater habe ihn am 17. Dezember vorigen Jahres vom Weihnachtsmarkt in Meißen auf die Fabrikstraße gefahren, erklärt er und betont, was ohnehin alle wissen. Er, der Anwalt, sei natürlich nicht dabei gewesen. Und macht damit deutlich, dass wohl auch er an dieser Version zweifelt.

Und diese Zweifel sind mehr als berechtigt, nicht erst, nachdem ein Polizist als Zeuge ausgesagt hat. Der nämlich hatte den Angeklagten eindeutig erkannt, als ihm dieser mit seinem Auto auf der Meißner Elbbrücke entgegenkam. Das Kennzeichen des Fahrzeuges war den Polizisten durchgegeben worden. Denn der Fall hat eine Vorgeschichte. Kurz zuvor waren Jugendliche – darunter wohl auch der Angeklagte – lautstark durch die Stadt gezogen. In der Neugasse kam es zu einem Handgemenge. Ein Unbeteiligter, ein Jurist, schreitet ein, nachdem einer der jungen Männer gesagt hatte, dass der spätere Angeklagte betrunken sei und vorhabe, mit dem Auto nach Hause zu fahren. „Der Angeklagte hatte deutliche Ausfallerscheinungen und war unheimlich aggressiv, kaum zu bändigen“, sagt der Zeuge. Er hatte ihn aufgefordert, seinen Autoschlüssel dem Freund zu geben. „Ich habe ihm gesagt, dass ich sonst die Polizei rufen werde, damit er sich nicht selbst gefährdet mit einer Alkoholfahrt“, sagt der Jurist. Als er dann zum Handy griff, habe sich der Mann losgerissen und sei in Richtung Talstraße gerannt, wo sein Auto stand.

Auf der Elbbrücke dann also die Begegnung mit den bereits vorgewarnten Polizisten. Die brauchen etwas Zeit, um den Transporter auf der Brücke zu wenden, verlieren das gesuchte Auto vorübergehend aus den Augen. Nach etwa fünf Minuten Suche finden sie es auf einem Parkplatz an der Fabrikstraße. Der Angeklagte sitzt auf dem Fahrersitz, der Motor ist noch heiß. Erst habe er abgestritten, dass er mit dem Auto gefahren sei, sagt der Polizist. Später habe er es jedoch zugegeben, auch einem Atemalkoholtest und später freiwillig einer Blutalkoholkontrolle zugestimmt. Gegenüber den Polizisten hatte er angegeben, auf dem Weihnachtsmarkt mehrere Glühweine und Amaretto getrunken zu haben. Von einem Nachtrunk, also nachdem er auf dem Parkplatz ankam, war keine Rede.

Dazu kommt: Der Vater des Angeklagten kann gar nicht gefahren sein. Den hatten die Polizisten zeitgleich in seiner Wohnung aufgesucht und auch angetroffen. In der kurzen Zeit kann er gar nicht die rund zwei Kilometer vom Parkplatz bis zur Wohnung gelaufen sein.

Erdrückende Beweise

Angesichts der erdrückenden Beweislage rät Richter Michael Falk dem Angeklagten dringend, seinen Einspruch zurückzunehmen beziehungsweise auf die Höhe der Geldstrafe zu beschränken. Denn die Tagessätze wurden offenbar zu hoch angesetzt. Der junge Mann erhält zwar Arbeitslosengeld I, das ist jedoch nicht höher als Hartz IV.

Der Angeklagte stimmt schließlich zu, die Höhe des Tagesatzes wird auf zehn Euro reduziert. Insgesamt muss der Angeklagte eine Geldstrafe von 350 Euro zahlen, das ist im unteren Bereich für diese Straftat. Vielmehr dürfte ihn aber der Fahrerlaubnisentzug von elf Monaten treffen. Doch auch nach dieser Zeit bekommt er den Führerschein von der Behörde nicht zurück, sondern muss erst zum „Idiotentest“. Dieser medizinisch-psychologischen Untersuchung (MPU) müssen sich alle unterziehen, die mit mehr als 1,1 Promille am Steuer erwischt werden. Und die MPU geht auch noch mal mächtig ins Geld.

Dennoch dürfte das alles zu verkraften sein. Viel wichtiger ist, dass der Angeklagte mit seiner Entscheidung, den Einspruch auf die Strafhöhe zu beschränken, seinen Vater vor eine Falschaussage bewahrte. Das hätte nämlich richtig böse enden können für den Vater. Auf uneidliche Falschaussage steht eine Strafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren. Wird der Zeuge vereidigt, ist es ein Meineid. Der gilt strafrechtlich als Verbrechen und wird mit einer Mindeststrafe von einem Jahr geahndet. Das wäre diese Trunkenheitsfahrt nun wirklich nicht wert gewesen. Mit seinem Einspruch stand der Angeklagte von Anfang an auf verlorenem Posten. Er stand wohl auf dem Standpunkt, versuchen kann man es ja mal. Das ist ein gefährliches Spiel. Hätte er seinen Einspruch nicht zurückgenommen, wäre er verurteilt worden und die Strafe deutlich höher ausgefallen.