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„Fahrt eure Kinder nicht bis ins Klassenzimmer“

Eltern-Taxis erzeugen gefährliche Situationen vor den Schulen. Jetzt greifen Polizei und Ordnungsamt ein.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

7.20 Uhr in der Neustadt. Aus allen Straßen und Wegen kommen Autos, Fahrräder und Schulkinder mit Ranzen. Ihr Ziel: die 4. Grundschule „Am Rosengarten“, gleich an der Elbe. Da wird gehupt und gedrängelt, gemeckert und geküsst. Einen Kuss bekommen die Kinder, die mit dem Auto teilweise direkt bis vor die Schultür gefahren werden. Einige der Mädchen und Jungen, längst der ersten Klasse entwachsen, lassen sich von den Eltern bis ins Klassenzimmer begleiten.

Gegenüber des Schultors postiert sich an diesem Morgen Elena Hohlmann. Sie ist Elternsprecherin an der Grundschule und selbst Mutter von zwei Kindern. In ihrer Hand hält sie Zettel, geschrieben von einem Schüler. „Es ist gefährlich hier, wir sind zu klein, um im Rückspiegel gesehen zu werden“, steht darauf.

Fragt man die Eltern, warum sie Chauffeur für ihren Nachwuchs spielen, hört man viel Nachvollziehbares, aber auch Ausreden. „Mein Sohn ist in der 1. Klasse, wir trauen es ihm noch nicht zu, allein zu laufen“, erzählt eine Mutter, bevor sie wieder ins Auto steigt und zur Arbeit fährt. Andere Eltern argumentieren mit „viel Stress“ oder „keine Zeit“. Ein Vater raunt nur kurz: „Heute früh zu lange beim Frühstück gegessen“, sagt er, springt in seinen Wagen und übersieht beim Rückwärtsfahren fast ein Kind auf dem Fahrrad.

Ähnliche Szenen beobachtet auch Michael Preußker jeden Morgen. Der Schulleiter der 43. Grundschule in Kaditz sieht Eltern, die ihre Kinder bis genau vor die Schultür fahren. Zwischen 7.10 Uhr und 7.30 Uhr drängeln sich Autos Stoßstange an Stoßstange. Vor allem für Kinder, die von zu Hause gelaufen kommen, sei das gefährlich. Bei wilden Parkmanövern gibt es das ein oder andere Mal gefährliche Situationen, Kinder quetschen sich durch Autos hindurch, Radlenker stoßen an die Seitenspiegel der Fahrzeuge. „Die Kinder lernen so keine Selbstständigkeit. Sie schaffen das auch allein, zumal wir auch eine Verkehrshelferin vor der Schule haben“, so der Schulleiter. Doch er hat auch Verständnis, zumindest für einige Eltern. „Die Schulbezirke sind so groß geschnitten, dass teilweise auch Kinder aus Radebeul zu uns kommen. Dass die nicht laufen, ist klar“, so Preußker.

Kreiselternrats-Vorsitzende Annett Grundmann wälzt das Thema in jedem Jahr zum Schulbeginn. „Wir haben Verständnis für die Eltern, sagen aber auch: Fahrt eure Kinder nicht bis ins Klassenzimmer.“ Jeder Weg, den die Kleinen allein schaffen, würde ihnen Unabhängigkeit und Selbstvertrauen geben.

Auch die Stadt kennt das Problem mit den Eltern-Taxis. „Oft wird in der zweiten und dritten Reihe gehalten. Von vielen Schulen sind Beschwerden diesbezüglich bekannt“, so Stadtsprecher Karl Schuricht. Bei den Kontrollen des Ordnungsamtes werde immer wieder Falschparkerei festgestellt. Besonders auffällig sei das Halten in der zweiten Reihe, um die Kinder aussteigen zu lassen. Angezeigt werde das aber eher selten, da der Autofahrer ja im Auto sitzt. In solchen Fällen gäbe es aber zumindest eine mündliche Verwarnung. Bei den Kontrollen, die seit dem Dienstag nach Schulanfang laufen, sei bislang kein Halten in zweiter Reihe mit einem Bußgeld bestraft worden.

Die Polizei dagegen führt selbst keine expliziten Kontrollen dazu durch und verweist ans Ordnungsamt. Der Schwerpunkt der Kampagne „Sicherer Schulweg“ liege eher auf den Geschwindigkeitskontrollen und dem Blick, ob alle angeschnallt sind“, sagt Polizeisprecher Thomas Geithner. „Aber wir verschließen unsere Augen natürlich nicht, wenn wir chaotische Zustände vor Schulen vorfinden.“ Wenn die Beamten auf wilde Parkmanöver vor Schultoren stoßen, setzen sie auf Aufklärungsarbeit. Die Polizisten sprechen die Eltern an, weisen sie auf die Situation hin und empfehlen, etwas weiter weg zu parken. Oftmals reiche es schon, in der nächsten Querstraße zu parken und die letzten Meter mit dem Kind gemeinsam zur Schule zu gehen. „Aber oft stehen die Eltern unter Zeitdruck, sind im Stress. Da ist jeder Meter und jede Minute zu viel.“ Sprecher Thomas Geithner hat einen Wunsch an die Mütter und Väter: Bitte etwas eher losfahren und in Ruhe eine sichere Parkmöglichkeit suchen.

Markus Löffler, Verkehrsingenieur beim ADAC, empfiehlt, den Schulweg schon zwei Monate vor Schulanfang mit den Kindern zu üben und dann Schritt für Schritt „loszulassen“. Viele Schulen würden extra dafür Pläne mit sicheren Straßen herausgeben. „Der kürzeste ist nicht immer der sicherste Weg“, gelte dabei als Regel. Wenn die Eltern unbedingt ihr Kind die ganze Grundschulzeit zur Schule bringen wollen, dann sollten sie das lieber zu Fuß tun, empfiehlt er.

Zu Fuß sind tatsächlich auch einige Eltern an diesem Morgen in der Neustadt auf dem Weg zur Schule. Um Punkt 7.40 Uhr ist die Löwenstraße dann plötzlich wie ausgestorben. Um 7.45 Uhr ist klar, warum. Es klingelt zur ersten Stunde. (mit SZ/acs)