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Fabian hat Schwein

Keine Angst vor Blut und Dickicht: Die akademische Lehrjagd fordert von den Studenten Überwindung und Ausdauer.

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© Kamprath

Von Jörg Stock

Höckendorf. Knarz! Knarz! „Dirk? Wo seid ihr?“ Die Stimme von Revierförster Steffen Seyfert schnarrt aus dem Funkgerät. Wir sind irgendwo, mitten in der Höckendorfer Heide, vor einem undurchdringlichen Verhau junger Fichten. Dirk Seidel, eigentlich Leiter der Waldarbeiterrotte, heute unser Treibergruppenführer, gibt die Position durch. Der Förster im Funk frohlockt. Genau hier, an diesem Dickicht, will er uns haben. „Die Schweine spielen mit uns Hascher!“, grollt er. „Jetzt dämmert ihr da drinne so lange rum, bis sich nichts mehr rührt!“ In der Höckendorfer Heide ist Lehrjagd. Studenten der TU Dresden von der Fachrichtung Forstwissenschaften in Tharandt haben das Treiben großteils selbst organisiert und stellen auch die Mannschaft, die das Wild vor die Gewehre scheuchen soll. Den Tieren aber ist der Bildungsauftrag schnurz. Sie machen das, was sie immer machen, wenn Menschen des Weges kommen: sich abducken. Menschen sind in diesem Wald oft auf Tour, mit Rad, mit Hund, mit Wanderstock. Das Wild ist dickfellig geworden, sagen die Waldarbeiter. Um ein Wildschwein aus der Deckung zu jagen, muss man quasi auf eins drauftreten.

Die Treibjagd

Mit Hörnerklang geht’s auf zur Lehrjagd in die Paulsdorfer und Höckendorfer Heide.
Mit Hörnerklang geht’s auf zur Lehrjagd in die Paulsdorfer und Höckendorfer Heide.
Dirk Seidel setzt seine Treiber in Marsch.
Dirk Seidel setzt seine Treiber in Marsch.
Maschinenbaustudent Fabian beweist sich beim Aufbrechen eines Frischlings.
Maschinenbaustudent Fabian beweist sich beim Aufbrechen eines Frischlings.
Am Schwedenfeuer wärmen sich die Forststudentinnen Sophie, Elsa-Marie, Mareike und Anne.
Am Schwedenfeuer wärmen sich die Forststudentinnen Sophie, Elsa-Marie, Mareike und Anne.
Auf die Strecke gebettet, erhält das Wild den „letzten Bissen“
Auf die Strecke gebettet, erhält das Wild den „letzten Bissen“

Unsere Treibergruppe hat etwa ein Dutzend Köpfe und deutlichen Frauenüberschuss. Die meisten Studenten wollen mal Förster werden. Da gehört das Jagen irgendwie dazu, sagen sie. Wer das kann, hat bessere Berufschancen. Der Jagdkundekurs an der Uni bereitet gratis auf die reguläre Prüfung bei der landkreislichen Jagdbehörde vor. Das reduziert die Gesamtkosten fürs „grüne Abitur“ locker um einen Tausender.

Fabian, 21, aus einem Dörfchen bei Bad Langensalza stammend, hat etwas ganz anderes vor: Er möchte mal Maschinen bauen. Mobile Arbeitsmaschinen, vielleicht für die Landwirtschaft. Deshalb studiert er das auch. Warum er hier ist? Weil die Jagd in seiner Familie irgendwie im Blut liegt, sagt er. Schon sein Uropa und sein Opa gingen zur Jagd, jetzt jagen sein Vater, zwei Onkel und ein Cousin. Fabian fühlt sich mit der Natur verbunden. Die Jagd soll sein Hobby werden. Er freut sich darauf, später, wenn er im Berufsleben steht, nach Feierabend raus in den Wald zu ziehen und auf dem Hochsitz den Stress zu vergessen.

Aber jetzt ist erst mal Stress angesagt. Die Jäger vermuten in der Dickung Wildschweine. Schon auf unserem Hinweg sind vier Sauen hier herausgeprescht. Um weitere Tiere aufzuscheuchen, sollen wir hineinpreschen. Keine rosige Aussicht nach einem ganzen Morgen Querfeldeinmarsch. „Kommt, das geben wir uns noch“, sagt Dirk Seidel, „weil das so viel Spaß macht“. Kette bilden und vor! Die Fichten stehen dicht an dicht, schlagen die Eindringlinge mit ihren grünen Tentakeln zurück. Da hilft nur Kopf einziehen, Augen zu und durch! Bei dem Krawall, den wir erzeugen, bleibt doch kein Schwein ruhig. Offenbar aber doch. „Will einer ein Wildschwein sehen?“, ruft Dirk Seidel von nebenan aus dem Busch. „Vor mir steht eins!“ Wir brechen zu ihm durch. Er zeigt auf einen Fleck im Gras. „Hier war es, guckte mich an und dachte gar nicht daran, abzuhauen.“ Aber jetzt ist es doch weg. Nur ein Hauch würzigen Schwarzkitteldufts steht noch in der Luft. Wir schütteln uns die Fichtennadeln aus dem Nacken. In der Ferne knallt es.

Zwei Stunden Jagdzeit sind um. An der alten Försterei in Karsdorf wird die Beute gesammelt. Förster Seyfert hat gute Laune. Schon zählt er zehn Wildschweine und neun Rehe. „Momentan ist es wie mit dem süßen Brei“, ulkt er. „Es wird immer mehr.“ Für die Studenten fängt nun die eigentliche Lehrstunde an: das Aufbrechen, also das Ausweiden der Tiere. Die Mienen sind noch skeptisch, der Griff in die Messerkiste noch zaghaft. An dem blutigen Arbeitsgang führt aber kein Weg vorbei. Begreifen hat mit Anfassen zu tun, sagen die Lehrkräfte. „Wer den Finger krumm machen will“, bemerkt ein Jäger trocken, „der muss sich auch um den Rest kümmern.“

Kümmern ist deshalb so wichtig, weil Wildfleisch ein kostbares Lebensmittel ist. „Darum machen wir das hier“, sagt Wildökologe Torsten Krüger, der den Kurs leitet. Maschinenbauer Fabian tritt gleich zum ersten Wildschwein hin, einem gut zwanzig Kilo schweren Jungtier, das an einem Fichtenstamm in Position hängt, setzt die Klinge an, öffnet die Bauchdecke. Knochenarbeit am Brustkorb. Dozent Krüger schaut zu, korrigiert, wenn das Messer auf Abwege gerät, spricht Mut zu: „Ja … da bist du richtig … du musst dich jetzt trauen!“

Schließlich liegen Organe und Gedärm am Waldboden. Sie werden bestimmt und auf Krankheitsanzeichen untersucht. Torsten Krüger ist mit Fabian zufrieden. Wild versorgen ist Handwerk, sagt er. „Das muss man üben.“ Fabian ist mit sich auch zufrieden. Methoden gibt es viele und kluge Ratschläge auch. „Da muss wohl jeder seinen eigenen Weg finden“, sagt er. Es scheint so, als ob die Jägerschaft in einem Dörfchen bei Langensalza bald Verstärkung kriegt.