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Experten für tierische Gourmets

Otto Räde gründete vor fast 150 Jahren seinen Futterhandel an der Kesselsdorfer Straße. Der ist heute in Frauenhand.

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© Sven Ellger

Von Jana Mundus

Pferde sind wählerische Esser geworden. Während sich ihre Reiter schon vegetarisch, vegan, bio oder eiweißfrei ernähren können, gibt es auch neue Trends für die stolzen Rösser. Getreidefrei schmeckt es ihnen angeblich besser, und es soll dabei noch gesünder sein. Ilse Koch und ihre Tochter Carola Klingner müssen genau solche Sachen wissen. Schon seit fast 150 Jahren gibt es ihr Familiengeschäft. Im Jahr 1869 gründete Otto Räde in der Kesselsdorfer Straße 183 seinen Handel für Futtermittel. Er und seine Nachkommen werden zu Experten in Sachen Tiernahrung. Darauf schwören auch schwergewichtige Kunden.

Die Vorweihnachtszeit ist für die jetzige Firmeninhaberin Ilse Koch immer eine aufregende Zeit. Die Ungewissheit ist groß. Natürlich auch darüber, was sie am Weihnachtsabend unter dem Tannenbaum finden wird. Aber vor allem im tierischen Sinn. „Wir beliefern den Dresdner Weihnachtscirkus“, erzählt die 75-Jährige. Erst kurz vor dessen Premiere erfahren sie meist, welche Tierarten diesmal dabei sind. Deren Dompteure haben genaue Wünsche und geben ihre Listen durch. „Elefanten zum Beispiel mögen Futtermöhren, Hafer oder auch gepresste Pellets, die sonst an Pferde verfüttert werden“, fügt ihre Tochter hinzu. Die beiden können solche Bestellungen jedoch nicht schocken. Schon seit den 1940er-Jahren beliefert die Firma schließlich den Dresdner Zoo. Alle zwei Wochen rollt ihr Lkw voll beladen in Richtung Tiergartenstraße.

So motorisiert waren die Firmenchefs nicht immer unterwegs. Früher mussten die großen Futtersäcke per Pferdewagen ausgeliefert werden. „Wir haben noch ein Foto vom Großvater auf seiner Kutsche“, sagt Carola Klingner. Auf der Schwarz-Weiß-Fotografie sitzt er stolz auf dem Kutschbock. Zwei Pferde ziehen den Wagen, auf dem groß der Firmenname zu lesen ist. Hans Kochs Mutter hatte in die Familie Räde eingeheiratet. Er übernahm später mit seiner Frau das Geschäft. Sohn Werner kam 1936 zur Welt. „Als ich meinen Mann 1963 heiratete, wusste ich, worauf ich mich da einlasse“, sagt Ilse Koch. Ihr habe die Arbeit im Geschäft immer Spaß gemacht. Auch wenn die Zeiten manchmal turbulent waren.

Im politischen Hin und Her der Jahrzehnte war es nicht immer leicht. In der DDR gab es Futtermittelkarten. Familie Koch lieferte, was geliefert werden durfte. „Wir hatten beispielsweise Brieftaubenfutter“, erinnert sich Ilse Koch. Es war genau geregelt, welche Vereine davon etwas kriegen durften. „Besitzer von Rennpferden bekamen das Futter für ihr Tier quartalsweise.“ Außerdem belieferte die Firma die LPGs, die Schweinemastanlage Dölzschen oder die Bullenmast in Kaditz. Weizen, Gerste oder Mais orderten die Bauern.

Das Getreide schroten Kochs damals wie heute mit einer großen Maschine. Die steht in der Scheune auf dem Hof und wird jeden Tag angeworfen. Ratternd erledigt sie dann ihre Arbeit. „Mein Opa hat sie dem Unternehmen Bienert abgekauft“, erzählt Carola Klingner auch ein bisschen stolz. Gleich nebenan befindet sich die große Haferquetsche. Säckeweise wird auch die täglich befüllt. „Pferde vertragen den Hafer besser, wenn er gequetscht wird“, fügt sie hinzu. So könnten ihn die schnellen Esser letztlich besser verdauen.

Als Werner Koch im vergangenen Jahr starb, übernahm seine Frau Ilse die Geschäfte. „Das war ein harter Schlag für uns alle“, sagt sie nachdenklich. Gemeinsam hatten sie die Firma über die Wendezeit gebracht. Schwer war es am Anfang, weil viele Großkunden erst einmal wegbrachen. Dass ihre Tochter nun so einen großen Teil der Arbeit erledigt, sei ein Segen. „Sie hätte das ja nicht machen müssen.“ Seit 1993 ist die heute 52-Jährige mit im Unternehmen. Schon vorher übernahm sie einen Teil der Buchhaltung, neben ihrem eigentlichen Job in einem Rechenzentrum.

Für Mutter und Tochter beginnt der Tag heutzutage zeitig. Ab 7 Uhr sind sie auf den Beinen, schleppen Säcke, beladen den Lieferwagen. Bis Mittag hilft ihnen eine zusätzliche Kraft. Trotzdem bleibt die Arbeit körperlich anstrengend. Rückenschmerzen gehören zum Alltag. Unter der Woche können die Kunden ab 8 Uhr kommen. Sie holen Futter für Hunde, Katzen, Vögel, Fische, Hamster, Maus oder Meerschweinchen. Aber auch Besitzer von Schweinen, Schafen, Hühnern oder Kühen kaufen hier. Zehn Stunden pro Tag sind Ilse Koch und ihre Tochter für die Kundschaft auf den Beinen. Die dankt es ihnen mit ihrer Treue. Viele kommen schon seit Jahrzehnten. „Es gibt Mütter, die hier das Futter für die Pferde ihrer Töchter kaufen“, sagt die Seniorchefin. „Die haben hier schon als Kind selbst Pferdefutter geholt.“

Bald will Ilse Koch die Leitung an ihre Tochter abgeben. Vielleicht geht es auch danach noch viele Jahre weiter. Die Enkeltochter hat Interesse bekundet. Sie macht derzeit aber erst einmal eine Lehre als Bäckerin. „Wir werden sehen, was sie später lieber machen möchte“, sagt ihre Oma. Druck aufbauen will sie nicht. „Wir haben einen Knochenjob. Wer den machen will, muss dafür leben.“ Zumindest das Autokennzeichen der Enkelin lässt hoffen: DD-OR 1869. Dresden, Otto Räde, 1869.