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Existenzkampf an der Dauerbaustelle

Tobias Kleß hat erst dieses Jahr die Schwarze Kunst in der Görlitzer Neißstraße übernommen. Doch aufgeben kommt für ihn nicht infrage.

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© Florian Gaertner

Von Ingo Kramer

Eigentlich hätte Tobias Kleß in diesem Sommer den Kopf in den Sand stecken können. Erst im Januar hatte er als Existenzgründer mit 32 Jahren das Restaurant „Zur Schwarzen Kunst“ in der Neißstraße übernommen. Die ersten Monate liefen auch gut. Doch als die Straße vor der Haustür ab April wieder zur Baustelle wurde, war es damit vorbei. „Juni, Juli und Anfang August waren katastrophal“, erinnert er sich. Zur Baustelle gesellte sich auch noch die große Hitze. „Es gab Tage, da hatten wir geöffnet, aber es kam kein einziger Gast“, sagt er. Einen Koch musste er gehenlassen: „Ich konnte ihn nicht mehr bezahlen.“ Insgesamt schätzt er seine Einbußen auf über 60 Prozent. Als sich das herumsprach, gab es sogar Gerüchte, dass er zumachen würde. Da sei aber nichts dran gewesen, sagt er. Eine Schließung stand nie zur Debatte.

Tobias Kleß ist eben kein Mensch, der den Kopf in den Sand steckt. Stattdessen sucht er nach Wegen, wie es besser werden könnte. Zuerst hat er die Terrasse im Hof farblich neu gestaltet und ein Schild dafür auf die Straße gestellt. „Das hat noch nicht geholfen“, sagt er. Als er dann aber Bilder von der Terrasse ausgestellt hat, kamen die Gäste tatsächlich. Parallel nutzt er Ruhetage und Durststrecken auch, um drinnen zu malern. Zumal die Baustelle wenigstens einen großen Gewinn gebracht hat.

Über Jahre war der Tiefkeller stets feucht. Die Ursachen lagen unter der Straße – und wurden jetzt bei den Bauarbeiten behoben. Also lüftete und heizte der Hausherr viel und ließ den Luftentfeuchter wochenlang laufen. „Jetzt ist der Tiefkeller fast komplett trocken“, freut er sich. Allerdings blätterte die Farbe. Ein Maler hat daraufhin alles mit atmungsaktivem Tiefengrund behandelt. Nun sollte das Problem behoben sein.

Andererseits hat Tobias Kleß gespart, wo er konnte. Die Waren lässt er nicht mehr liefern, sondern holt sie selbst ab und schleppt alles aus den Nebenstraßen zu seinem Lokal. Durch die Baustelle kann ohnehin kein Lkw mehr vorfahren. Das Personal hat er reduziert und den Vermieter um Nachlass gebeten: „Er ist uns entgegengekommen, da kann man nichts sagen.“ Parallel hat er Flyer verteilt und sein Auto sowie das seiner Partnerin mit Werbung beklebt. Nicht zuletzt hat er die Speisekarte verändert, hat die teuren Gerichte reduziert, ist zum Gutbürgerlichen zurückgekehrt.

Nach dem Vollzeit-Job noch in die Küche

Die Klassiker wie Steak Würzfleisch, Bauernfrühstück und Gulasch sind wieder da – und zwar für unter zehn Euro. „Das hatten viele vermisst“, sagt er. Die Küche schmeißt er jetzt zu zweit mit seiner Partnerin Katja Grau. Die legt sich ordentlich ins Zeug, hat anderswo einen Vollzeit-Job und steht nach dem dortigen Feierabend in der Küche der Schwarzen Kunst.

Manchmal müssen die beiden auch besonders schnell sein. Einmal rief ein Berliner am Morgen an, dass er am Abend mit einer Gruppe von 55 Leuten kommen und ein Drei-Gang-Menü haben will. „Da mussten wir handeln“, sagt Tobias Kleß. Er fuhr sofort einkaufen – und am Abend hat alles geklappt. Die Konsequenz: Seither kommen immer mehr größere Gruppenanfragen aus der Berliner Gegend, auch von Busunternehmen. So zeigt die Entwicklung inzwischen klar nach oben.

Zudem sei das Altstadtfest richtig gut gelaufen – und auch danach sieht es ganz gut aus. „Es sind nicht alle Tage gleich, aber im Vergleich zum Sommer kommen schon weitaus mehr Gäste“, sagt der Inhaber. Was ihn aber nach wie vor mächtig ärgert: Während die Neißstraße unterhalb seines Lokals inzwischen neu gepflastert ist, geht es direkt vor seiner Haustür nicht voran. Dort ist immer noch alles mit Bauzäunen abgesperrt. „Es heißt, dass es in der oberen Neißstraße Probleme mit der Keimfreiheit der Trinkwasserleitung gibt“, sagt Tobias Kleß. Im schlimmsten Falle müsse deshalb auch vor seiner Haustür noch einmal gebaggert werden. Genaueres wisse er aber nicht: „Wenn wir nicht selber die Bauarbeiter fragen, erfahren wir überhaupt nichts.“ Den städtischen Baustellenscout habe er seit Monaten nicht gesehen.

„Wir mussten die Trinkwasserleitung mehrfach desinfizieren“

Svend Schmoll vom städtischen Tiefbau- und Grünflächenamt räumt auf Nachfrage die Probleme mit der Keimfreiheit ein: „Wir mussten die Trinkwasserleitung mehrfach desinfizieren.“ Weil die Werte nicht stimmten, habe der Amtsarzt einfach keine Freigabe erteilen können. Am Ende wurde ein stärkeres Desinfektionsmittel benutzt. Das hat geholfen. „Seit Freitag haben wir die Freigabe“, bestätigt Schmoll. Jetzt wird die Hauptleitung umgebunden, in den nächsten Tagen auch die Hausanschlüsse. Das soll bis nächste Woche erledigt sein. Deshalb kann Ende nächster Woche endlich auch der Fußgängertunnel in der oberen Neißstraße abgebaut werden. Insgesamt gibt es schon wieder vier Wochen Verzögerung. „Wir wollen das aber aufholen und den Fertigstellungstermin im Juni halten“, sagt Schmoll.

Die wichtigste Nachricht für Tobias Kleß: Nächste Woche gehen auch die Pflasterarbeiten weiter. Und zwar direkt vor seinem Lokal. Von da aus will die Stadt die Neißstraße sukzessive nach oben pflastern. Mit einer neuen Technologie gehe das schnell. Binnen zwei bis drei Tagen seien acht bis zehn Meter Straße machbar. Tobias Kleß hofft, dass es tatsächlich so kommt. In nächster Zeit hat nämlich auch er einiges vor. Mitte November rückt an einem Ruhetag der Maler an und nimmt sich die Gasträume vor. Die sollen etwas heller werden. Kurz danach beginnen auch schon die Weihnachtsfeiern. Dafür gibt es schon einige Vorbestellungen. Die schlimmste Durststrecke ist also hoffentlich überstanden.