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„Essen schmeckt lecker, aber nicht übertreiben“

Wie der Engländer Justin Thorpe die Dresdner auf eigene Faust zu mehr Gesundheitsbewusstsein erziehen will.

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© Sven Ellger

Von Henry Berndt

Gleich nebenan erzählt August der Starke von den glorreichen Zeiten unter seiner Herrschaft. Doch Justin Thorpe juckt das nicht. Er ist auf einer Mission. Dafür hat er seinen Infowagen Marke Eigenbau auch gern über das Kopfsteinpflaster durch die halbe Stadt bis auf den Neumarkt gezogen. Jetzt steht Justin Thorpe hier und wartet auf Menschen, die sich bekehren lassen wollen. Nicht etwa zum Christentum, sondern zu einem gesünderen Leben.

„Was ist mit die andere Gäste?“, ruft der Brite den verdutzten Restaurantbesuchern am Neumarkt zu. „Die wollen vielleicht nicht Rauch einatmen?“
„Was ist mit die andere Gäste?“, ruft der Brite den verdutzten Restaurantbesuchern am Neumarkt zu. „Die wollen vielleicht nicht Rauch einatmen?“ © Henry Berndt

Auf dem Schild, das er nach oben reckt, steht „Übermäßiges Essen kann tödlich sein.“ Seiner rollenden Tafel hat er den Titel „Krankheit bleibt die größte Gefahr“ gegeben. Gefolgt von Tipps, wie die Risiken reduziert werden könnten: Abnehmen, mehr Bewegung, nicht mehr Rauchen. Das hört sich alles nicht besonders überraschend an, das weiß er selbst, aber Justin Thorpe will auch kein Entertainer sein. Wenn das alles doch so profan und logisch sei, fragt er, warum leben dann so wenige nach diesen Regeln? „In den Todesstatistiken liegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit großem Abstand auf Platz 1“, sagt er. „Da muss man doch was machen.“ Er sei kein Verrückter, wie man vielleicht meinen könnte, sondern „ein ziemlich rationaler Typ“. Mit einfachen Maßnahmen könnten in Deutschland jedes Jahr Tausende Menschenleben gerettet werden.

Vor 20 Jahren kam Justin Thorpe aus England nach Dresden und lebt nun hier mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Briesnitz nahe der Elbe. Der Brite ist 47 Jahre alt, sieht aber locker zehn Jahre jünger aus. Ein Sonnyboy mit wilder Mähne, blinkenden Zähnen und strahlenden Augen. Sein Geld verdient er als selbstständiger Baumpfleger. Als Ausgleich betreibt er in seiner Freizeit Parkour, das heißt, er läuft, springt und hangelt durch Parks und über Spielplätze. Ein wirklich gutes Vorbild, könnte man sagen. „Aber irgendwas hat mir zuletzt gefehlt“, sagt er und spricht selbst von Midlife-Crisis. „Ich hab mich gefragt: Will ich immer nur Bäume und Hecken schneiden? Was kann ich Gutes tun? Wie kann ich Leben retten?“ Er entschied sich für den Kampf gegen Kalorien und innere Schweinehunde und rief die Kampagne „Konsequent – Die Gesundheitsaktivisten“ ins Leben. Auf der Website dazu ist zu lesen: „Wir sind eine Organisation, die durch eine gesündere Lebensweise vorzeitige Todesfälle verhindern will.“

Hinter der „Organisation“ steckt genau genommen bislang nur er allein. „Ich bräuchte aber dringend Verstärkung, zum Beispiel einen Übersetzer.“ Bis es so weit ist, schlägt er sich als Einzelkämpfer mit seinem Grundwortschatz durch. Zum Beispiel an diesem Tag an der Frauenkirche. Ab und zu sprechen ihn Leute an. Ein Arzt aus Australien wirft ihm vor, sich zu sehr auf die Älteren zu beschränken und die jungen Problempatienten außer Acht zu lassen. Ein anderer Mann sagt: „Luftverschmutzung ist viel schlimmer als zwei Zigaretten am Tag.“ Die beiden diskutieren mit Worten und Händen. Einen gemeinsamen Nenner finden sie nicht.

Dann setzt sich Justin Thorpe mit seinem Wagen in Bewegung und poltert direkt auf die Freisitze der Restaurants auf dem Neumarkt zu. In seiner Infotafel-Konstruktion hängen ein Klappstuhl und ein Rucksack, der aussieht, als sei er zusammen mit einem Malkasten gewaschen worden. Sein Schild behält er am Mann.

In zweiter Reihe entdeckt der Brite einen Tisch voller rauchender Esser. „Was ist mit die andere Gäste?“, ruft er ihnen von Weitem zu. „Die wollen vielleicht nicht Rauch einatmen?“ Ein älterer Mann am Nebentisch applaudiert spontan. Sonst bleiben die Reaktionen verhalten.

Thorpe setzt seine Runde fort. „Essen schmeckt lecker, aber nicht übertreiben“, ruft er immer wieder. Viele schmunzeln oder sagen „Mach ich ab morgen“, einige schütteln den Kopf, aber niemand schimpft oder winkt ab. Einer meint: „Dann ist aber das Leben weniger schön.“ „Aber auch kurz“ entgegnet Thorpe trocken und lächelt. Er will kein verbissener Mahner sein und bleibt immer höflich – selbst, als ein Mann behauptet, Rauchen sei doch gesund. Das hätten mehrere Studien bewiesen. Es folgt die übliche Diskussion, an deren Ende beide lachend auseinandergehen. Überzeugungsarbeit ist ein hartes Brot. Vor einiger Zeit habe sich Thorpe noch direkt zu den Leuten auf freie Plätze gesetzt und sie angesprochen. „Das ist gar nicht gut angekommen“, sagt er. „Da fühlten sich viele beleidigt.“ Er will ein bisschen Druck machen, aber niemanden verschrecken. Der Grat ist schmal.

Irgendwann will Justin Thorpe mit seiner Kampagne auch politischer werden. Drei Hauptforderungen hat er schon, die allerdings auch nicht gerade neu klingen: 1. Verbot von Tabakwerbung, 2. Ampelkennzeichen für Essen, 3. Gesundheit als politisches Thema. „Ihre Gesundheitsprobleme könnten auch Auswirkungen auf Ihre Angehörigen und die Gesellschaft insgesamt haben“, appelliert Thorpe auf seiner Homepage.

„Eigentlich ist es doch kurios. Die Leute haben heute vor allem Angst. Dabei ist Krankheit doch die größte Gefahr.“ Sie fürchten, auf dem Striezelmarkt ausgeraubt zu werden, aber sie fürchten sich nicht vor den fettigen Bratwürsten dort. „Niemand hat Angst vorm Grillen“, stellt er mit ernster Miene fest. „Warum eigentlich nicht?“

www.konsequent.info