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„Es wird zu wenig geblitzt“

In Riesa regen sich Anwohner über Raserstrecken auf. Die SZ hat dazu einen Experten befragt.

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© Archiv/Wolfgang Wittchen

Riesa. Breitscheidstraße, Rostocker Straße, Poppitzer Landstraße: Quer über das Stadtgebiet verteilen sich Strecken, auf denen aus Sicht der Anwohner gerast wird. Das ist das Ergebnis einer SZ-Umfrage. Aber was hilft dagegen? Reicht es aus, häufiger zu blitzen? Oder liegt es an der Höhe der Bußgelder? Die SZ sprach mit Prof. Dr. Müller, Verkehrsrechtler und Dozent an der Fachhochschule der Sächsischen Polizei.

Herr Professor Müller, auf eine Umfrage der SZ kamen schnell mehr als 30 Stellen in Riesa zusammen, an denen aus Sicht der Leser gerast wird. Was sagen Sie als Experte: Hilft mehr Blitzen?

Ja! Es hilft immer, die Geschwindigkeitsüberwachung zu erhöhen. Objektiv verbessert sich die Verkehrssituation vor Ort. Subjektiv steigt das Sicherheitsgefühl: Man erkennt als Autofahrer, dass das Fahrverhalten überhaupt überwacht wird. Das trägt auch zu einem höheren Gerechtigkeitsgefühl bei den Verkehrsteilnehmern bei.

Wie das?

Weit mehr als 90 Prozent der Autofahrer halten sich relativ genau an die Norm. Fünf km/h zu viel fährt fast jeder, das ist auch tolerierbar. Diese gut 90 Prozent Fahrer freuen sich, wenn mehr kontrolliert wird. Die öffentliche Diskussion zum Blitzen wird leider oft von den Leuten beherrscht, die deutlich zu schnell fahren, erwischt werden und sich dann lautstark beschweren.

Meistens steht nur ein Blitzkasten am Straßenrand, rausgewunken wird man in Sachsen so gut wie nie. Was ist aus Ihrer Sicht sinnvoller?

Unbedingt das Lasern und gleich anschließende Herausauswinken. Da ist der Lerneffekt für den Fahrer am höchsten. Den Verkehr anhalten darf in Sachsen allerdings nur die Polizei. In Baden-Württemberg ist das auch den Kommunen erlaubt. Es wäre schön, wenn der neue Innenminister das auch in Sachsen ermöglichen würde: Das würden den Druck auf die Zu-Schnell-Fahrer erhöhen. Allerdings müssten die Kommunen dann ihre Mitarbeiter auch schulen. Aber es würde unsere Straßen sicherer machen!

Ich kann mich kaum daran erinnern, wann ich das letzte Mal in eine Anhalte-Kontrolle der Polizei gekommen bin. Ich glaube, das war 2005 – aber in Brandenburg ...

Das geht mir ähnlich: Ich bin seit 1995 in Sachsen noch nie gelasert worden. Das liegt daran, dass Sachsen bei Weitem nicht genug Polizisten hat: Wegen der fehlgeschlagenen Reform des vergangenen Innenministers und weil die jetzigen Korrekturen noch nicht greifen. Die angeblich „1 000 neuen Polizisten“, von denen immer geredet wird, sind ohnehin keine neuen Stellen, sondern nur vorher gestrichene Stellen, die jetzt wiederbelebt werden.

Helfen die zusätzlichen Beamten?

Die Frage ist, wo die neuen Kollegen eingesetzt werden. Die Verkehrspolizeiinspektionen werden bei der Stellenbesetzung stiefmütterlich behandelt. Und die Reviere sind mit anderen Aufgaben schon ausgelastet. Für eine Anhaltekontrolle sind aus Gründen der Eigensicherung minimal drei Beamte nötig – einer lasert, einer hält an, einer kontrolliert. Und drei Polizisten pro Schicht hat kaum jemand frei.

Blitzen aus Ihrer Sicht wenigstens die Ordnungsämter genug?

Nein! Da kann deutlich mehr gemacht werden. Bei mobilen Kontrollen hetzen die Mitarbeiter von einer Gefahrenstelle zur nächsten – weil jede Blitzermeldung im Radio die Kontrollstelle sofort „verbrennt“.

Aber wirken Blitzermeldungen im Rundfunk nicht auch präventiv – weil sie mir regelmäßig in Erinnerung rufen, dass tatsächlich kontrolliert wird?

Das schon. Aber so hat man keine Chance, die wirklichen Raser zu erwischen: Solche, die früh mit 80 durch die Ortschaften rasen, weil sie wissen, dass noch nicht kontrolliert wird. Leider blitzen die meisten Kommunen nur sehr wenig flexibel – also tagsüber im Zwei-Schicht-System. Abends, nachts oder am Wochenende sind sie sehr wenig präsent – wenn echt gerast wird. Diese Kontrollen werden dann der Polizei überlassen, die wenig Personal hat. So entstehen Sicherheitslücken, weil die Kommunen zu bequem sind.

In Riesa gibt es eine sehr aktive Facebook-Gruppe, in der man sich vor Blitzern warnt. Außerdem sind Warn-Apps verbreitet, die Kontrollstandorte melden. Was halten Sie davon?

Die Verwendung solcher Apps ist glatt rechtswidrig! Das gilt als schwere Ordnungswidrigkeit, bei der das Handy beschlagnahmt und ausgewertet werden darf. Da drohen ein Punkt in Flensburg und ein beträchtliches Bußgeld. Ähnlich ist es bei der Verwendung von Radarwarnern – die kann man zwar für 50 Euro im Internet kaufen, jede Nutzung ist allerdings illegal.

Vorausgesetzt, ich werde trotz allem geblitzt: Sind die Strafen hoch genug?

Nein! Deutschlands Bußgelder sind im Vergleich zu den europäischen Staaten deutlich zu niedrig. Bei unfallträchtigen Verstößen sollte man die Bußgelder stark erhöhen – und auch schneller Fahrverbote verhängen. Bußgelder zahlt man oft aus der Portokasse.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Mein Vorschlag wäre, innerorts schon ab einer Überschreitung um 21 km/h einen Monat Fahrverbot zu verhängen – nicht erst ab 31 km/h zu viel. Solch eine Überschreitung begeht man nicht versehentlich, sondern vorsätzlich.

Halten Sie die geltenden Regeln – grundsätzlich innerorts 50, mancherorts 30 – für ausreichend?

Man sollte die Möglichkeit, Tempo 30 anzuordnen, vor Kitas, Schulen, Senioreneinrichtungen generell nutzen. Auch dort, wo viele Fußgänger zu erwarten sind. Außerdem sollten meiner Ansicht nach auf schmalen Landstraßen immer 80 gelten – und auf Autobahnen ein Limit von 130. Alle Tempolimits bringen aber nur dann etwas, wenn sie auch überwacht werden.

Gespräch: Christoph Scharf