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„Es gibt keinen unendlichen Hochwasserschutz“

Der Radebeuler Dirk Carstensen hat nach 2002 mit seinem Team eine Möglichkeit entwickelt, um am PC Hochwasserszenarien zu simulieren. Daran orientieren sich Behörden und Kommunen.

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© Norbert Millauer

Herr Professor Carstensen, wie funktioniert Ihr Hochwassermodell?

Es ist ein Computermodell, in das sämtliche Informationen eingehen: zu Häusern, Straßen, Dämmen, Eisenbahnstrecken, Natur, aber zum Beispiel auch Daten zu Gewässern in ihrer tiefenmäßigen Ausbildung und mit ihren Abflüssen infolge Niederschlag. Sämtliche verfügbaren digitalen Daten werden in einem Geoinformationssystem zusammengeführt. Und nach einer Simulation sieht man dann für einen bestimmten Elbepegel auf dem Bildschirm wie aus der Vogelperspektive, wo das Wasser in der Fläche steht oder hinfließt.

Wie nah können Sie heranzoomen?

Das Modell ist wie ein großes Gitter, das über der Region liegt. Für den Abschnitt zwischen Dresden und Meißen umfasst es mehrere Millionen Gitterknoten. Es ist größtenteils sehr fein aufgelöst. Die entscheidenden Informationen sind an Gitterknoten mit einem Abstand von zwei Metern hinterlegt. Sobald ich auf einen Knoten klicke, gibt mir der Computer für einen bestimmten Pegelstand der Elbe die dortige Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit in realen Angaben aus.

Wie aktuell kann das Modell sein, wenn es auf so vielen externen Daten beruht?

Mein Kollege Jens Wilhelm überprüft und aktualisiert als Hauptbearbeiter die Daten permanent, damit unsere Aussagen stimmen. Wir müssen mit dem mathematischen Modell naturnah simulieren, weil wir eine riesen Verantwortung tragen. Ein Hochwasser kann viele um ihr Hab und Gut bringen.

Wie genau arbeitet das Modell?

Es berücksichtigt nur den Abfluss, der über die Elbe und ihre Zuflüsse kommt und der sich oberirdisch in der Überflutungsfläche verteilt. Dafür hat es in der Flussmitte eine Genauigkeit von plus minus zehn Zentimeter, bezogen auf den Wasserspiegel. Das ist recht gut und gibt den Behörden die Möglichkeit, die Hochwasserschutzanlagen sehr präzise zu bemessen.

Wer alles erhält die Informationen, die Sie mit dem Modell ermitteln?

Unser Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der Technischen Hochschule Nürnberg arbeitet im Auftrag der Landestalsperrenverwaltung Sachsen. Wir berechnen Überflutungsszenarien nach verschiedenen Elbepegelständen und stellen die entsprechenden Überflutungskarten zur Verfügung. Danach werden Hochwasserschutzmaßnahmen entwickelt. Wir schlagen aber keine Maßnahmen oder Bauwerke vor.

Inwiefern nutzen Ihre Daten und Überflutungskarten auch im Katatrophenfall?

Sie sind für die Landestalsperrenverwaltung oder auch für den Katastrophenschutz eine wichtige Hilfe. Schon beim Hochwasser 2013 wussten die Einsatzkräfte anhand der Daten zu Wasserstand, Wassertiefe und Fließgeschwindigkeit, an welchen Stellen sie mit dem Fahrzeug durchfahren können oder wo es Sinn hat, gegebenenfalls auch Sandsäcke zu stapeln.

Nun sind Sie und Ihr Team auch am Forschungsprojekt zur Haushebung in Brockwitz beteiligt. Wie weit sind Sie?

Da stehen wir ganz am Anfang. Im Mai haben wir begonnen, den Ortsteil Brockwitz sehr detailliert aufgelöst in unserem Modell darzustellen: mit den Höhen der Häuser, des Geländes, zum Beispiel der Bäume, mit Daten zur Ausbildung der Wege und vielem mehr. Damit können wir Detailaussagen liefern zur Strömungsgeschwindigkeit und Belastung für die Gebäude. Die Ergebnisse sollen Coswig unter anderem Auskunft geben, auf welche Weise welche Häuser nach welchem Ablauf gehoben werden können.

Sie selbst wohnen ja in Radebeul. Wie ausreichend schätzen Sie hier und in Coswig den aktuell vorhandenen Hochwasserschutz ein?

Dresden, Radebeul und Coswig sind jetzt viel besser geschützt als 2002. Allerdings halte ich Hochwasserschutz für kein so gutes Wort. Es suggeriert den Menschen ein Geschütztsein. Aber das sind wir nur bis zu einem gewissen Maß. Die meisten Hochwasserschutzanlagen sind für ein hundertjährliches Hochwasserereignis ausgelegt, also ein Ereignis, wie wir es in etwa 2002 erlebt haben. Wenn in Zukunft ein höheres Elbehochwasser kommt, stehen gegebenenfalls wieder einige Bereiche unter Wasser. Es gibt keinen unendlichen Schutz.

Das Gespräch führte Ulrike Keller.