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Erzwungene Bereitschaft in Niesky

Die neue Behandlungsmöglichkeit im Emmaus Krankenhaus ist für die Patienten ein Gewinn. Mancher Arzt hadert noch ein bisschen.

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Von Sabine Ohlenbusch

Am Wochenende geht eine Verwandlung im Nieskyer Krankenhaus vor sich. Das Sprechzimmer 104 der Station für Chirurgie erhält ein magnetisches Türschild, auf dem „Bereitschaftspraxis Niesky“ steht. Dringende medizinische Fälle, die aber nicht wirklich schwerwiegend sind, werden hier behandelt. Aus dem Flur gegenüber entsteht ein Wartebereich und die Anmeldung wird abwechselnd von drei medizinischen Fachangestellten besetzt.

Der Allgemeinmediziner Volker
Höynck hat seine Praxis direkt um die Ecke von der Klinik. Er ist der Vorsitzende des Ärzte-Netzes Ostsachsen und hat den ersten Dienst. Nach seinen Angaben hat er 23 Patienten an jenem Wochenende behandelt. Volker Höynck lobt besonders die gute Zusammenarbeit mit den Kollegen des Krankenhauses. „Eine ältere Patientin hat ein geschwollenes Knie gehabt. Ein Klinikkollege hat es punktiert und der Dame war geholfen“, sagt er. Einen einzelnen Patienten musste er zu einer der Stationen im Krankenhaus übermitteln, damit er aufgenommen werde.

Die Bereitschaftspraxis ist eine Zusammenarbeit zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen (KVS), der Diakonissenanstalt Dresden und der Allgemeinen Ortskrankenkasse Sachsen und Thüringen (AOK Plus). Es ist ein Pilotprojekt, das vor allem Kosten sparen und effizienter sein soll. Die Notaufnahme im Emmaus muss weniger Bagatellfälle behandeln, für die Patienten ist es bequemer und die Wege zwischen den Fachrichtungen sind kurz. Viele sind stolz darauf, dass das kleine Niesky eine Vorreiterrolle in der sächsischen Gesundheitspolitik zugesprochen bekommt. Michael Rabe, Geschäftsführer der KVS, erklärt bei der feierlichen Eröffnung das Konzept ausführlich. Radio, Fernsehen und Zeitung sind gekommen.

Arbeiten sollen hier aber die niedergelassenen Ärzte der Stadt. Sie haben bereits zuvor Bereitschaftsdienste versehen, diese aber für sich selbst organisiert. Dies nimmt ihnen die KVS nun aus der Hand – zu schlechteren Bedingungen als zuvor. „Ein funktionierendes System wird zerstört“, kritisiert Sonnhild Wehnert.

Die Allgemeinmedizinerin hat auch zuvor schon in ihrer Praxis an Wochenenden zu bestimmten Zeiten Patienten behandelt. Im gesamten Landkreis hat immer eine Hausärztin oder ein männlicher Kollege am Wochenende diesen Dienst übernommen. Dabei erhielten die Ärzte die normalen Sätze als Freiberufler von den Krankenkassen. Bei der Bereitschaftspraxis im Emmaus ist das anders. Denn diese betreibt die KVS. „Wenn ich dort arbeite, verdiene ich schlechter als ein Automechaniker“, erklärt Berndt Wehnert.

Er ist Sonnhild Wehnerts Ehemann und Hals-Nasen-Ohrenarzt von Beruf. Er fühlt sich von der Ärztevereinigung über den Tisch gezogen. „Ich bin anfangs für das Projekt gewesen“, sagt er, „aber da hieß es noch, der Dienst sei freiwillig.“ Bisher musste er nur den Fahrdienst für Hausbesuche wahrnehmen; zur Bereitschaft in der Praxis waren Fachärzte nicht verpflichtet.

Nun müssen sie beides in einem leisten: Der Fahrdienst entfällt während der Praxiszeit. Deshalb haben die niedergelassenen Ärzte Nieskys Einspruch bei der KVS gegen die neue Regelung erhoben. Diese hat den Protest abgewiesen, noch bevor der Rechtsanwalt der Ärzte das Papier formuliert hatte. Die KVS hat damit die aufschiebende Wirkung des Einspruchs aufgehoben. Damit stehen die 18 Praxen in Niesky, die gegen das System der Bereitschaftspraxis sind, vor vollendeten Tatsachen.

Michael Rabe bringt als Argument vor, dass nun auch Ärzte ohne Praxis gegen Honorar Bereitschaftsdienste übernehmen könnten. Das lässt Sonnhild Wehnert nicht gelten: „Es gibt hier in der Gegend keine Honorarärzte.“ Ihre Sorge ist auch, dass es für junge Kollegen noch unattraktiver wird, sich in Niesky niederzulassen.

Zudem ist für die freiberuflich tätigen Niedergelassenen der Status nicht geklärt. „Nach unserer Ansicht ist das nichtselbstständige Arbeit“, sagt der Orthopäde Wolfgang Kögler. Denn die Ärzte sind dann so etwas wie Angestellte. Wie sie für diese Aufgabe sozialversichert sind, konnte die KVS ihnen nicht beantworten.