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Erwachsenwerden nach der Flucht

In Dresden leben 270 unbegleitete Minderjährige. Einer davon ist der Syrer Diego. Er hat seinen Schulabschluss gemacht.

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© Sven Ellger

Von Kay Haufe

Ahmad schläft noch. Den 16-Jährigen rüttelt in den Ferien auch keine sächsische Sozialministerin aus dem Bett. Die ist am Freitag ins Caritas-Jugendhilfezentrum in die Lene-Glatzer-Straße gekommen, um zu sehen, wie Kinder und Jugendliche außerhalb ihrer Familien leben.

Diego wartet vor der schnieken Blasewitzer Villa schon auf die Gäste. Er verbringt die letzten Tage in seiner Wohngruppe, bevor es zur Ausbildung nach Niedersachsen geht. Vor drei Jahren ist er, kaum 15 Jahre alt, aus Syrien in Richtung Norden geflohen und in Dresden aufgegriffen worden. „Mein Vater hat mich geschickt. Falls er den Krieg nicht überlebt, sei ich der einzige Mann in der Familie, der für meine Mutter und zwei Schwestern sorgen könne. Also musste ich weg“, sagt Diego. Über die Fahrt, die auf einem Lkw begann, will der 18-Jährige nicht viel sagen. „Ich habe es nach Deutschland geschafft, nur das zählt“, sagt Diego. Kurze Zeit, nachdem er geflohen war, ist sein Vater im Krieg gefallen. Mutter und Schwestern sind in den Nordirak gegangen. Doch seit sieben Monaten hat er nichts mehr von ihnen gehört. „Das ist sehr schwer für mich. Ich versuche alles, um ein Lebenszeichen zu bekommen. Bisher erfolglos“, sagt Diego.

Diesen Namen haben ihm seine Mitschüler gegeben, ihm gefällt er. „Klingt spanisch.“ In seiner Wohngruppe, in der sieben weitere Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren mit mehreren Betreuern leben, ist ihm das Deutschlernen nicht schwer gefallen. Anders hätte er sich bei fünf Deutschen, einem Afghanen und einem Vietnamesen nicht verständigen können. „Dafür haben Diego und die anderen beiden Flüchtlinge den deutschen Jugendlichen gezeigt, dass man in der Schule lernt, um vorwärtszukommen“, sagt Sozialpädagogin Jitka Schönberger. Immerhin hat er den Hauptschulabschluss sofort geschafft.

Diegos Kumpel Kevin ist traurig, dass der Syrer jetzt bald auszieht. „Aber ich bekomme sein Zimmer. Und außerdem geht Diego zu seiner großen Liebe nach Niedersachsen“, sagt der 17-Jährige. Diego lächelt stolz. Gerade hat er eine Woche Urlaub bei der Familie seiner Freundin verbracht, die Kurden sind wie er. Dort hat er auch eine Lehrstelle als Lagerlogistiker erhalten. „Während meines Urlaubs habe ich von der Attacke in Würzburg gehört, als ein Flüchtlingsjunge mehrere Menschen im Regionalzug verletzte. Ich kann so etwas nicht nachvollziehen. Aber ich wünsche mir, dass nicht alle Flüchtlinge verdächtigt werden, Terroristen zu sein. Ich weiß ja auch, dass nicht alle Deutschen Nazis sind“, sagt der Syrer.

Wie er, leben inzwischen 270 unbegleitete minderjährige Flüchtlingsjugendliche in Dresden. Und nicht alle haben so großes Interesse an Integration wie Diego, wie Sozialpädagogin Schönberger sagt. „Wir haben einen jungen Araber, der kaum da ist und nur mit seinen Landsleuten unterwegs ist. Für ihn müssen wir einen anderen Platz finden, damit er aus diesem Umfeld herauskommt.“

Die 17-jährige Nadja unterscheidet nicht zwischen Herkunftsländern. Wichtig ist, dass ihr Diego und Kevin immer in Mathe geholfen haben. Von Johann hat sie vietnamesisch kochen gelernt. Nadja will noch ein Jahr länger in der Wohngruppe bleiben, weil „ich hier Halt bekomme“, wie sie sagt. „Denn nicht jeder ist mit 18 auf das Leben perfekt vorbereitet.“