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Erste Hilfe für die Seele

Die Notfallseelsorger der Diakonie begleiten Menschen in Ausnahmesituationen. Auch die Eltern von Annelie-Marie.

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© Anne Hübschmann

Landkreis. Sie sind da, hören zu und spenden Trost: Kriseninterventionshelfer und ehrenamtliche Notfallseelsorger kümmern sich um Menschen, die durch einen plötzlichen Unglücksfall nicht mehr allein mit einer Situation klarkommen. Menschen, die auf tragische Weise ihre Angehörigen verloren haben. So wie vor drei Wochen, als die entführte 17-jährige Gymnasiastin Anneli-Marie aus der Nähe von Meißen schließlich tot aufgefunden wurde. Erschütternd, unfassbar und erdrutschartig nach Tagen des Hoffens für die Eltern und die Familie. Zwei Notfallseelsorgerinnen der Diakonie Riesa-Großenhain versuchten, ihnen Beistand zu leisten. Mitglieder eines landkreisweit tätigen Teams, welches es seit fünf Jahren gibt und das seitdem in vielen Krisensituationen Betroffenen zur Seite stand. Aufgebaut wurde es von Bernd Franke, ehemals Leiter der sozialen Dienste der Diakonie und Diplom-Pädagogin, Anne-Dore Horschig. Die SZ war mit der 52-Jährigen im Gespräch.

Das Schicksal von Annelie-Marie, die am Sonnabend beigesetzt worden ist, bewegt Menschen aus ganz Deutschland. Gibt es angesichts dieser Tragödie überhaupt tröstende Worte, die ein Seelsorger finden kann?

Natürlich nicht. Ganz klar. Denn wir können nicht sagen, dass alles wieder gut wird. Das wird es angesichts solcher dramatischen Ereignisse nie mehr. Aber wir können da sein. Einfach nur da sein, unsere Hilfe anbieten, zusammen schweigen. Man muss ja immer bedenken, der Moment, in welchem wir zum Einsatz kommen, ist einer im absoluten Ausnahmezustand. Es ist einer, in dem die Betroffenen die Dimension der Ereignisse nicht erfasst haben und zu diesem Zeitpunkt auch nicht können.

Wie intensiv können Sie als ehrenamtliche Helfer überhaupt begleiten?

Die Antwort steckt gewissermaßen schon in Ihrer Frage drin. Wir sind im Landkreis Meißen mittlerweile ein Team von 30 ehrenamtlichen Helfern. Das bedeutet, wir gehen in der Regel alle unseren eigentlichen Berufen und Tätigkeiten nach. Im Wechsel leistet immer ein Kollege einen zwölfstündigen Bereitschaftsdienst ab. Dieser 24-Stunden-Dienst wird durch die Leitstelle alarmiert. Wir werden also um Unterstützung gebeten und bieten Erste Hilfe für die Seele. In so einer Schocksituation sind gerade diese ersten Stunden ganz entscheidend. Wir begeben uns als Seelsorger hinein in diese Situation und nach ein paar Stunden wieder hinaus. Unser Einsatz hat einen Anfang und ein festgelegtes Ende. In Einzelfällen bieten wir aber die Vermittlung von weiterer Unterstützung an. Denn diese ist wichtig. Nach dem ersten Schock fängt das Leben danach leider erst an.

Wie häufig kommen Sie zum Einsatz?

Das ist unterschiedlich. Aber zwei- bis dreimal im Monat kann dies schon möglich sein. Da ich eine Zusatzausbildung als Traumatherapeutin absolviert habe, stehe ich, wenn nötig, auch öfter zur Verfügung. Im Fall von Annelie-Marie befand ich mich selbst allerdings im Urlaub. Zwei Mitarbeiter aus unserem Team haben die Familie betreut. Und ich darf Ihnen aus eigenem Erleben versichern, es ist für die jeweiligen Helfer aufgrund der Gegebenheiten durchaus auch eine absolute Ausnahmesituation.

Frau Horschig, wann kann es passieren, das Sie selbst die Ereignisse mit nach Hause nehmen?

Wenn es um Kinder geht. Ich glaube, das kann jeder Mensch, gleich nun, ob er selbst Mutter oder Vater ist, gut nachempfinden. Sehr betroffen gemacht hat mich vor zwei Jahren der Einsatz bei einem Mann aus Radeburg, dessen Frau im Schlaf an Herzversagen gestorben ist. Der 35-Jährige blieb allein mit der acht Monate alten Tochter zurück. Er wollte den Tod seiner Frau nicht wahrhaben. Also war ich sechs oder sieben Stunden lang bei ihm. Das hat mich psychisch sehr mitgenommen. Aber glücklicherweise bietet uns die Diakonie selbst eine gute Betreuung und Nachsorge an. Und für die Betroffenen ist es schlimmer. Für sie wird es nie wieder, wie es einmal gewesen ist. In manchmal nur wenigen Sekunden hat sich ihre Welt verändert.

Gespräch: Catharina Karlshaus