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Erste Altertumsforscherin Sachsens

Das Landesamt für Archäologie erinnert an eine Frau, die in der Gemeinde kaum bekannt ist. Dabei hat sie Geschichte geschrieben.

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© Landesamt für Archäologie

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Zschorna. Würde Ida von Boxberg heute leben, wäre sie vermutlich mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Denn sie tat etwas, was man heute tunlichst unterlassen sollte: Als sie um 1870 nach 40 Jahren aus Frankreich nach Deutschland zurückkehrte, nahm sie all ihre Ausgrabungsstücke mit. Nationales Kulturgut also, das man heute keinesfalls außer Landes schaffen darf. In Schloss Zschorna, ihrem Alterssitz, richtete sie aber ein kleines Museum ein – laut Landesamt für Archäologie eines der ersten Privatmuseen Sachsens. Dort ist freilich nichts mehr davon vorhanden, denn die Schlossanlage ist seit 1998 nach vielen anderen Nutzungen wieder privatisiert. Und Ida Wilhelmina von Boxberg kennt vor Ort auch kaum noch jemand.

Schloss Zschorna gehörte der Familie von Boxberg bis 1936. Ida von Boxberg lebte hier ab etwa 1870 bis zu ihrem Tod. Die Boxbergs hatten eine Vollblutpferde-Zucht und Karpfenmast. Dann wurde das Herrenhaus samt Rittergut an Fürst von Stolberg verkauft, im
Schloss Zschorna gehörte der Familie von Boxberg bis 1936. Ida von Boxberg lebte hier ab etwa 1870 bis zu ihrem Tod. Die Boxbergs hatten eine Vollblutpferde-Zucht und Karpfenmast. Dann wurde das Herrenhaus samt Rittergut an Fürst von Stolberg verkauft, im © Brühl
Die berühmte Zschornaerin ist in der Familiengrabanlage auf dem Friedhof Dobra beerdigt. Hier gibt es hinter der Kirche drei Grüfte mit zwei Grabsteinen. Ida ist neben ihrem Bruder Friedrich August von Boxberg (1816 bis 1871) und dessen Frau Oswine (1829
Die berühmte Zschornaerin ist in der Familiengrabanlage auf dem Friedhof Dobra beerdigt. Hier gibt es hinter der Kirche drei Grüfte mit zwei Grabsteinen. Ida ist neben ihrem Bruder Friedrich August von Boxberg (1816 bis 1871) und dessen Frau Oswine (1829 © Anne Hübschmann:

Grund genug für das Landesamt für Archäologie, der ersten Altertumsforscherin Sachsens wieder zu mehr Geltung zu verhelfen. In einem Beitrag in der Fachzeitschrift „Archäo“ wird die Dame ausführlich vorgestellt. Geboren wurde sie am 23. August 1806 in Jüterbog als Tochter des Premierleutnants und Adjutanten des Chursächsischen Löweschen Infanterie-Regiments Bernhard von Boxberg. Als junges Mädchen bereiste sie bereits mehrfach Frankreich, nachdem der französische Botschafter am preußischen Hof in Berlin auf die junge Dame aufmerksam geworden ist. Intensive Beziehungen verbanden Ida von Boxberg mit zwei Familien in der Bretagne. Nachdem sie noch einige Zeit mit ihrer Mutter in Dresden lebte, zog die Sächsin für über 40 Jahre ganz nach Frankreich. Ida war dort als Hauslehrerin tätig.

Sie war in den Fachkreisen bekannt

Sie soll sich mit der Kunst, der Aquarell- und Glasmalerei und der Erforschung vorgeschichtlicher Epochen befasst haben. „Ihr war zudem eine ausgeprägte Sammelleidenschaft zu eigen“, schreiben Stefan Krabath und Nicolas Melard in ihrem Aufsatz. Die bemerkenswerte Frau widmete sich der archäologischen Erforschung des Tals des Flusses Erve in der Bretagne, erkundete Grotten, sammelte Knochen, führte auch Grabungen durch. Sogar in deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften publizierte Ida von Boxberg zu der Zeit schon ihre Grabungsberichte und Fundnotizen. Die Fachmänner kannte sie also.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland wählte Ida von Boxberg das Schloss ihrer Schwägerin Oswine in Zschorna als Alterswohnsitz. Ihr Bruder Friedrich August, der sogar von dem bekannten Maler Ferdinand von Rayski, dessen Cousin er war, in Jagdpose gemalt wurde, starb hier kurz vorher. Und ihre Altertumsforschungen betrieb die nunmehr 74-jährige Dame noch weiter. Bei Dobra fand sie jungbronzezeitliche Urnengräber, bei Tauscha ein spätbronzezeitliches Gräberfeld in einem Waldgebiet. Die Funde gehen in die Zeit von circa 1400 bis 1000 vor Christi zurück.

Ida von Boxberg sammelte die prähistorischen Funde neben Tierpräparaten, Fossilien, Mineralien und Steinen in ihrem Schloss. Gipsabgüsse von Eisenäxten schenkte sie aber auch dem Königlich Mineralogischen Museum Dresden. Mittlerweile war die betagte Zschornaerin Mitglied der Naturwissenschaftlichen Gesellschaft ISIS in Dresden geworden. Mit ihrem langen wallenden Kleid muss sie neben den Herren mit Vollbart und Zigarre gesessen und über ihre Funde diskutiert haben. Auch in Großwelka bei Bautzen, das ebenfalls einem Familienzweig der von Boxbergs gehörte, forschte sie. Und konnte 1880 einen Rastplatz eiszeitlicher Jäger in einer Sandgrube des Rittergutes nachweisen. Welche Zeitgenossin hat sich damals mit derlei Hobby befasst?

Idas umfangreiche Privatsammlung, die auch Trachtenbestandteile umfasste, kam mit dem Verkauf des Schlosses Zschorna 1936 – also lange nach ihrem Tod – in die Schulsammlung von Würschnitz. Und von dort 1967 in das Dresdner Landesmuseum für Vorgeschichte. Dort sind sie noch heute zu sehen. Idas Vermächtnis ist umso bemerkenswerter, da sie mehrfach Exkursionen zur Urgeschichte Sachsens anbot. 1877 wurde sie zum Ehrenmitglied der Gesellschaft ISIS ernannt. Drei Jahre vorher war sie bereits Mitglied der deutschen Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte in Berlin geworden. Wissenschaftliche Kontakte soll die gebildete Frau in weite Teile Europas, so nach Ungarn oder in die Schweiz unterhalten haben.

Nachkomme im Förderverein

Im hohen Alter von 87 Jahren ist Ida von Boxberg am 1. November 1893 auf Zschorna verstorben. Sie wurde im Familiengrab auf dem Friedhof Dobra beigesetzt. An ihrem Grab kann man sich erinnern, welchen Stand in der Männerwelt die Adlige, die wohl kinderlos blieb, damals innehatte. Es gibt einen Nachfahren, den Berliner Filmemacher Bertram von Boxberg, der die Familiengeschichte als Manuskript besitzt. Der 58-Jährige war übrigens Mitglied im Schönfelder Schloss-Förderverein.