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Erna kommt

Mit ihren Hühnern überrascht Sophie Miroll Bewohner in Pflegeheimen – und weckt Erinnerungen ans Landleben.

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© Christian Juppe

Von Henry Berndt

In diesem Pflegeheim wird auf dem Tisch getanzt, allerdings nur von den Gästen. Neugierig erkunden Erna, Frieda und Miss Marple die Tischdecke und picken dabei ein paar Körnchen auf. Die drei Hühner können kein einziges Kunststück – und doch bewirken sie Wunder.

Genau für solche Wunder ist Sophie Miroll an diesem Vormittag in den Wohnpark Elsa Fenske in die Innenstadt gekommen. Eigentlich ist die 32-Jährige von Beruf Krankenschwester, doch seit 2013 widmet sie sich nebenbei einer zweiten Aufgabe. Ihr Besuch im Pflegeheim ist eine sogenannte „tiergestützte Intervention“. Dabei können pflegebedürftige Menschen hautnahen Kontakt mit Tieren erleben. Manchmal ist Sophie auch mit ihren beiden Eseln in Einrichtungen in der Region unterwegs. Heute sind es aber die Hühner, die sie in einer kleinen blauen Box mitgebracht hat.

Wer nun ein Bild von flatterndem Federvieh und kreischenden Senioren vor Augen hat, der täuscht sich. Erna, Frieda und Miss Marple gehören zu den Seramas, der kleinsten Zwerghühnerrasse der Welt. Tatsächlich könnte man sie fast für Tauben halten. „Mit anderen Haushühnern könnte das hier böse enden“, sagt Sophie, „aber Seramas sind von Natur aus ruhig und dem Menschen zugewandt.“ Diese drei Exemplare hier sind besonders zahm. Sie sind ein Geschenk von einem Züchter aus Cottbus und leben nun ein paradiesisches Hühnerleben im Garten von Sophies Eltern in Zschertnitz, mit viel Gras und einer Sandmulde zum Einkuscheln. Dafür macht man doch gern ab und zu einen Ausflug mit.

Das Haus 2 im Wohnpark hat 84 Bewohner. Zunächst sitzen nur wenige von ihnen am Tisch im Gemeinschaftsraum, doch die Pfleger bringen immer mehr Frauen und Männer hinüber, von denen sie wissen oder hoffen, dass sie Tiere mögen. Gerade noch blicken die älteren Herrschaften eher teilnahmslos durch den Raum. Doch das soll sich rasch ändern. „Machen Sie mal die Augen auf“, bittet Sophie eine der Damen. „Ich hab ihnen besonderen Besuch mitgebracht.“ Die Dame schaut auf und lächelt leise. Sie sagt nichts, doch die kurze Begegnung mit den Hühnern scheint ihr Herz zu wärmen.

Sophie verteilt jetzt Salatblätter. Aber nicht zur Eigenverpflegung, sondern zum Verfüttern. Ein Mann versucht, die Hühner mit „ps, ps, ps“ zu sich zu locken, aber Erna läuft lieber in die andere Richtung und pickt dort auf den Salat ein. Eine Regie gibt es hier nicht, auch keinen Ablaufplan.

Behutsam nimmt Sophie nun Erna auf die Hand und trägt sie um den Tisch. Jetzt darf gestreichelt werden. Vorsichtig nähert sich Margot mit ihren Händen dem Huhn und erfühlt seinen Körper vom Kopf bis zu den Füßen. Margot ist blind.

Wer seine Hände nicht mehr gut bewegen kann, dem streichelt Sophie mit dem Hühnerkörper sanft über das Gesicht. Nach einer Weile hat Erna genug und springt zurück auf den Tisch. Jetzt ist Frieda dran. „Schöne Augen hat die Frieda, ne?“, sagt Sophie. „Und einen schönen Kamm.“ Dabei sei sie gerade in der Mauser und sehe noch ein wenig zerrupft aus. Gabi darf sie auf den Arm nehmen. Die Frau mit dem Down-Syndrom lacht laut auf, umschließt mit beiden Händen das Huhn und will es gar nicht mehr hergeben. „Das haben Sie nicht geglaubt, dass Federn so weich sein können, oder?“, fragt Sophie.

Der nächste ist Uwe. Er spricht sonst fast nie und wenn, dann nur einzelne Wörter, sagt Susann Strauß, die Ergotherapeutin, die Sophie ins Pflegeheim geholt hat. Während Uwe das Huhn streichelt, erzählt er Sophie nun aber, wie er früher als Bademeister immer von Gänsen am See in den Hintern gezwickt wurde.

Auch die 95-jährige Ursel strahlt zum ersten Mal, als sie das Huhn an ihren Fingerspitzen spürt. Sie sei auf dem Land groß geworden und habe früher Tauben und Katzen gehabt.

Nach einer Dreiviertelstunde geht es dem Finale entgegen. „Sie kriegen ja auch bald Mittag. Hoffentlich kein Huhn“, sagt Sophie. „Die Hühner bedanken sich bei Ihnen. Dürfen wir denn mal wiederkommen?“ „Jaaaa“, so die einhellige Antwort.

In vier Wochen wird es so weit sein. Angekündigt wird Sophie hier als Therapeutin, das ist sie aber streng genommen nicht. „Ich will mit den Tieren einfach ein bisschen Freude verbreiten und die Menschen geistig und körperlich anregen.“ Dafür hat sie berufsbegleitend eine anderthalbjährige Ausbildung gemacht und erst kürzlich ihren Krankenhausjob auf 30 Stunden reduziert. Viel Geld käme für den Aufwand zwar nicht rum, aber ein Blick in die fröhlichen Gesichter der Menschen im Pflegeheim sei ihr Lohn genug.

„Das Schöne ist: Den Hühnern ist es egal, ob jemand alt oder dement ist“, sagt Sophie. „Die freuen sich einfach, wenn sie gestreichelt und gefüttert werden.“ So manches Mal seien die Tierchen dabei sogar schon eingeschlafen. Im kuschligen Bett der Bewohner.

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