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Ermittler stellen wilde Schießerei nach

Zu Pfingsten 2014 erschoss ein Mann in Seifersdorf seine Ehefrau. Gestern wurde der Prozess vor Ort fortgeführt.

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© Harry Haertel

Von Gabi Thieme

Das Thermometer zeigt gegen 9.30 Uhr ein Grad Celsius. Der angekündigte Schneefall ist ausgeblieben, die Sichtverhältnisse sind gut. Etwa 20 Polizei- und Justizvollzugsbeamte haben sich auf der Rossauer Straße in Seifersbach eingefunden. Auf fast 200 Meter Länge sperren sie die Straße ab, niemand darf mehr passieren, auch kein Anwohner. Von denen lässt sich niemand blicken. Rechts und links der Straße liegen alte Bauernhöfe. Dazwischen sind seit 1990 viele schöne Eigenheime aus dem Boden geschossen. Vor einem hellen Klinkerbau mit der Nummer 20A finden sich in den nächsten 30 Minuten sämtliche Verfahrensbeteiligte im Prozess gegen Rolf W. ein. Auch die drei Anwälte der Nebenkläger, darunter die Eltern des Opfers. Sie selbst sind nicht erschienen. Sie wollen sich den Termin und die Rückkehr an jenen Ort ersparen, an dem binnen Minuten unermessliches Leid über die Familie kam.

Der seit 10. Dezember laufende Prozess gegen einen Mann aus Hessen ist an den Tatort verlegt worden. Der 53-Jährige ist des Totschlags und des versuchten Totschlags angeklagt. Er wird in einem grünen Mercedes Vito an den Tatort gebracht, will aber nicht aussteigen. Warum bleibt unklar. Auch an den bisherigen Verhandlungstagen hat er noch kein Wort gesagt. Die Autotüren werden geöffnet, die Fenster heruntergelassen, damit W. dem Geschehen folgen kann. „Es muss nur gewährleistet sein, dass er dem Geschehen folgen kann, zur Not eben aus dem Auto heraus“, so Gerichtssprecher Thomas Mrodzinsky. Die Richter und Anwälte müssen an diesem Tag keine Roben tragen, haben sich vielmehr warm angezogen. Denn noch ist unklar, wie lange die Rekonstruktion des Geschehens dauern wird.

Es geht um den Abend des Pfingstmontags 2014, als Rolf W. plötzlich mit vorgehaltenem Kleinkalibergewehr im Haus der Schwiegereltern in Seifersbach stand und seine Frau Katja suchte. Sie war wegen der geplanten Trennung mit der vierjährigen Tochter über Pfingsten zu den Eltern gefahren. Auch, um von hier aus die Weichen für ein neues Leben in Chemnitz zu stellen.

Ein Polizist hat jenes Gewehr dabei, mit dem Rolf W. zweifelsfrei mehrfach geschossen hat. Der hintere Teil des Kolbens ist abgesägt. W. soll es von einem Bekannten haben, der es zufällig auf seinem Dachboden gefunden und Rolf W. überlassen haben soll – ohne Waffenschein. Dass der damit auf der Wiese neben dem Haus seine vor ihm kniende Frau regelrecht hinrichtete, scheint unstrittig. Vielmehr geht es bei diesem Tatorttermin um den Schuss auf die Schwiegermutter, die vor der Haustür stand und versucht hatte, Rolf W. von seinem Vorhaben abzuhalten. Und es geht um die Schüsse auf jenes Polizeiauto, das mit drei Streifenbeamten als Erstes am Tatort war und 70 Meter entfernt hielt.

Gab Rolf W. gezielt Schüsse auf die Beamten ab, nachdem er seine Frau bereits in den Rücken getroffen hatte? Konnte er das Fahrzeug und die hinter den offenen Türen knienden Beamten überhaupt sehen? Konnte er aus etwa derselben Position die Schwiegermutter vor der Haustür sehen? Warum ging er schließlich zum Haus zurück und legte dort vom Dach eines geparkten Audi aus noch einmal das Gewehr in Richtung des Streifenwagens an? Hat er schließlich von weiteren Schüssen abgelassen, weil er aus nunmehr 100 Meter Entfernung nicht mehr genug sah? Muss der Umstand, dass er das Gewehr plötzlich senkte, juristisch als Rücktritt vom versuchten Totschlag gewertet werden? Fragen, zu denen beim nächsten Prozesstermin auch die gestern anwesenden Gutachter ihre Einschätzung geben werden.

Staatsanwalt Stephan Butzkies hält es für gut, dass sich alle einen visuellen Eindruck von Tatort und vor allem „von der Schussposition des Angeklagten“ machen konnten. Schließlich gelte es, einige schwierige rechtliche Fragen zu klären. „Es geht auch darum, ob es sich um einen besonders schweren Fall des Totschlags handelt.“ Dazu müsse das gesamte Geschehen am Tatabend gewürdigt werden. Bejaht das Gericht diese Frage, könnte das Auswirkungen auf das Strafmaß haben. Denn dann käme auch eine lebenslange Freiheitsstrafe infrage. (FP)