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Epo-chale Erfolge

Der Kreischaer Experte Detlef Thieme sieht Fortschritte im Kampf gegen Doping – und dennoch viel Arbeit vor sich.

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© Arvid Müller

Von Alexander Blochwitz, Tobias Eichler und Franz Kümmig

Das Institut für Dopinganalytik und Sportbiochemie liegt ein bisschen abseits, idyllisch im Grünen – ein unscheinbarer Flachbau in Kreischa hinter Gebäuden der Bavaria-Klinik. Es sieht auch von innen jedem anderen Labor ähnlich: Da stehen massige Apparate, blaue und graue Geräte – Chromatografen, Hämatologiesysteme, hochauflösende Massenspektrometer. Die Instrumente sorgen an diesem sommerlich heißen Freitagnachmittag für ein Grundrauschen in den angenehm kühlen Räumen. „Jede Kaffeemaschine ist spannender“, scherzt Institutsdirektor Detlef Thieme beim Rundgang.

Umso interessanter ist seine Arbeit. Kuriere bringen kleine Flaschen mit Urinproben ins Labor – anonymisiert und versiegelt. Auf dem beiliegenden Formular sehen die Angestellten bloß den Tag der Kontrolle, das Geschlecht, die Sportart und welche Medikamente ein Athlet einnimmt. Eigentlich bleiben dem Institut zehn Tage für die Analyse. Bei Großereignissen wie Olympia muss das in 24 Stunden funktionieren. Schließlich soll keiner um Gold kämpfen, der positiv getestet worden ist. Flotter geht es dem 56-Jährigen zufolge nicht.

Seine Beschäftigten untersuchen den Inhalt der Gefäße auf etwa 200 Mittel, die auf der Verbotsliste der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) stehen. Machen die Apparate irgendwelche Auffälligkeiten deutlich, analysieren die Mitarbeiter den Inhalt aus den Minigläsern mit verfeinerten Methoden. „99 Prozent fallen negativ aus“, sagt er. Die meisten positiven Tests lassen sich mit einer Ausnahmeerlaubnis erklären.

Seine Mitarbeiter dürfen sich keine Fehler erlauben. Jede Probe könnte auch eine interne Prüfung sein, ob sie zuverlässig arbeiten. Die Wada schickt mehrmals jährlich Flaschen, deren Inhalt auffallen müsste. Findet ein Labor diese Proben nicht, droht der Verlust der Lizenz. Kreischa steht sehr gut da. Das Labor gehört zu den 34 von der Wada zugelassenen Instituten. Es analysiert 10 000 Proben im Jahr, darunter auch Blut und Haare. „Fünfmal mehr als früher“, sagt der Wahl-Dresdner. Budget und Personal seien dagegen in etwa gleich geblieben. „Wir arbeiten besser und effektiver für dasselbe Geld.“

Bei Olympia arbeiten Kreischaer oft mit Forschern aus anderen Ländern vor Ort, zuletzt im Sommer 2012 in London und im Winter 2014 in Sotschi. „Bunt gemixte Teams im Labor sorgen für die notwendige Offenheit. Das beweist, dass wir in den Instituten nichts zu verbergen haben“, sagt der Diplomchemiker. Die Wissenschaftler kennen sich untereinander gut. Die Geräte sind so modern und mobil, so dass eine Analyse jenseits fester Standorte fehlerfrei und schnell funktioniert. Auch das sächsische Labor ist auf dem neuesten Stand.

Bodybuilder leben gefährlich

„Eine Probe kostet rund 150 Euro“, sagt der Toxikologe und betont, dass es sich um gut angelegtes Geld handelt. Die enormen Fortschritte der Kontrolleure in der Vergangenheit belegen das. „In den 1990er-Jahren gab es noch kein Verfahren für den Nachweis von Epo. Spätestens seit 2000 ist das anders.“ Beinahe jedes unerlaubte Mittel ist erst einmal ein normales Arzneiprodukt. Beispielsweise ist das Hormon Epo, das besonders bei Radprofis lange als der Dopingstoff schlechthin galt, in erster Linie für nierenkranke Menschen geeignet. Daher verfolgen die Kontrolleure die Lizenzverfahren für neue Substanzen genau und untersuchen sie auch schon.

„Die Gefahr, erwischt zu werden, ist erheblich gestiegen und der Missbrauch inzwischen sehr gut eingedämmt worden“, sagt der Experte. Trotzdem gibt er sich keinen Illusionen hin: „So lange es um viel Geld geht, gibt es immer die Verlockung, unerlaubte Mittel zu nehmen.“ Thieme attestiert dem Sport ein chronisches Doping-Problem – lange Zeit ohne Unrechtsbewusstsein. In den USA fehlten bis zu den Spielen 1996 in Atlanta die Trainingsanalysen. Die Einführung von ersten Kontrollen, häufigeren Proben, Blutpass und Meldepflicht sorgte bei Dopern für Unruhe.

In der Gegenwart spielt Doping dem Fachmann zufolge besonders bei Bodybuildern eine Rolle: „Ohne Anabolika kommt keiner aufs Siegerpodest.“ Für Bodybuilder liege das größte Risiko darin, dass sie die Substanzen „hemmungslos überdosiert“ lange sorglos schlucken oder spritzen, „aber die Folgen beginnen langsam“. Die Gefahr, vor allem Herzinfarkte oder -versagen und Kreislaufzusammenbrüche, die zum Tod führen könnten, liege eben in der schleichenden Wirkung der Medikamente.

Das Ausmaß erinnert ihn an früher. „Der Doper von heute lässt sich nicht mehr mit einem Kugelstoßer von 1985 vergleichen, der gesundheitsbedrohliche Mengen zu sich nehmen konnte, ohne erwischt zu werden“, sagt der gebürtige Hallenser. „Mag sein, dass jetzt ein Doper sagt, dass er niedrigste Mengen körpereigener Mittel einnehmen kann, ohne sich überführen zu lassen. Das ist, was die Gefahr für die Gesundheit und auch den leistungssteigernden Effekt angeht, nicht annähernd mit dem zu vergleichen, was Doper noch vor 15 Jahren machen konnten.“

Thieme zieht eine zwiespältige Bilanz des Kampfes gegen Doping – kritisch, wenn er ihn rein moralisch analysiert und besonders den Betrug betrachtet. „Sehen wir es dagegen als medizinisches Phänomen und in erster Linie das Gesundheitsrisiko, liegt eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hinter uns.“

Trotz Dopings interessiert Thieme sich noch für Großereignisse wie die Tour de France, die an diesem Wochenende anfängt. Er hegt auch keinen Generalverdacht, dass alle Athleten betrügen, die bei einem Wettbewerb antreten. „Ich gehe davon aus, dass die große Mehrheit der Sportler mit sauberen Mitteln kämpft.“ Thieme weiß aber auch: „Es gibt Exzesse.“ Er kämpft weiter dafür, sie einzudämmen.