Merken

Entspannung am Spinnrad

Cathy Petzold hat sich eine alte Kulturtechnik selbst beigebracht. Inzwischen kennt sie sich bestens aus. Nur eine Frage kann sie nicht beantworten.

Teilen
Folgen
© Andreas Weihs

Von Maik Brückner

Lauenstein. Gleichmäßig dreht sich das Rad vor Katrin Petzold. Viele kennen sie in und um Lauenstein als Cathy. Mit ihrem rechten Fuß tritt sie immer wieder auf ein kleines Brettchen, das über eine Kurbel mit dem Rad verbunden ist. Dieser Mechanismus, der wie ein kleiner Motor arbeitet, lässt die Spindel vor Cathy Petzold drehen. Dort wickelt sich fast wie von Zauberhand ein Faden auf. Sie muss nur aufpassen, dass ausreichend Wolle nachkommt. Die 50-Jährige beherrscht die Technik des Spinnens inzwischen so gut, dass sie sich entspannt dabei unterhalten kann.

So sieht die gereinigte und gekämmte Schafwolle aus, die Friseurmeisterin Cathy Petzold von ihrem Sohn vor viereinhalb Jahren geschenkt bekommen hat.
So sieht die gereinigte und gekämmte Schafwolle aus, die Friseurmeisterin Cathy Petzold von ihrem Sohn vor viereinhalb Jahren geschenkt bekommen hat. © Andreas Weihs
Auf dieser Spindel wurden die beiden Wollfäden verzwirnt. Dabei wird aus zwei Wollfäden einer gemacht, dazu werden sie ineinander gedreht.
Auf dieser Spindel wurden die beiden Wollfäden verzwirnt. Dabei wird aus zwei Wollfäden einer gemacht, dazu werden sie ineinander gedreht. © Andreas Weihs
Cathy Petzold verarbeitet ihre Wolle und auch zugekaufte Wolle selbst. Sie strickt daraus Socken (Foto), Jacken und Handschuhe.
Cathy Petzold verarbeitet ihre Wolle und auch zugekaufte Wolle selbst. Sie strickt daraus Socken (Foto), Jacken und Handschuhe. © Andreas Weihs

„Ich bin kein Profi“, sagt sie. Spinnen ist nur ihr Hobby. Und soll es auch bleiben. Denn Cathy Petzold liebt ihre beiden richtigen Berufe – sie ist Friseurmeisterin und Kosmetikerin. Mit ihrem Mann Ralf führt die Lauensteinerin Haarsalons in ihrer Heimatstadt und in Altenberg. Zum Spinnen kam sie wie die Jungfrau zum Kinde – und das zu ihrer Silberhochzeit. Ihr Sohn schenkte ihr ein Spinnrad und zwei Säcke Rohwolle. Cathy Petzold staunte nicht schlecht. Damit hat sie nicht gerechnet. Sie nahm die Herausforderung an, holte sich Rat bei einer Freundin, las in Büchern nach. Tipps gab es genug, schließlich gehört das Spinnen zu den ältesten Kulturtechniken, die mit der Zeit verfeinert wurden. Es waren wohl die Chinesen, die das Spinnrad erfunden haben. Später kam es auch nach Deutschland. Einen ersten Hinweis dazu gibt es in einer Chronik, die vor mehr als 700 Jahren in Speyer verfasst wurde. Seither wurden die Maschinchen immer besser. Wie alt das Spinnrad ist, das in der gemütlichen Wohnstube der Petzolds steht, vermag dessen Besitzerin nicht zu sagen. Es sieht nach Marke Eigenbau aus. Doch so richtig sicher ist sich Cathy Petzold nicht. „Mein Sohn hat es einem Professor abgekauft“, sagte sie. Es ist robust, arbeitet zuverlässig und ist pflegeleicht.

Bevor sie es vor gut vier Jahren in Betrieb nahm, musste sie die mitgelieferte Rohwolle waschen. „Die roch sehr extrem nach Schaf“, erinnert sie sich. Im Fell hingen auch noch einige Kotklümpchen. Diese und den Geruch musste sie ’rausbekommen. Am Anfang hätte sie es kaum für möglich gehalten, dass das so unkompliziert mit Wasserbädern ohne einen Zusatz funktioniert. Doch dem war so. Allerdings dauerte es ziemlich lange. „Ich habe fünf Waschgänge gebraucht, um die Wolle zu säubern“, sagt sie. Nach jeder etwa eintägigen Spülung hat sie die Wolle auf Gitterrosten getrocknet. „Nach dem Waschen hätte ich sie kämmen müssen“, sagt die Lauensteinerin. Doch das ließ sie Profis machen.

„Es war nicht einfach, die zu finden“, erinnert sie sich. Gern hätte sie ein einheimisches Unternehmen damit beauftragt. Doch sie hat keins gefunden. Der nächste Anbieter arbeitet in Bayern. Dort schickte sie ihre Wolle hin. Zurück kam ein Karton mit drei jeweils 40 Zentimetern breiten und 25 Zentimeter dicken Rollen. Viel Stoff für lange Abende. Ein Teil der Wolle hat sie inzwischen versponnen. „Dazu sind zwei Arbeitsgänge notwendig“, erzählt die 50-Jährige. Zunächst spinnt sie aus der Wolle einen Faden. Ist die Spindel voll, wird der Faden nächste gesponnen. Danach werden beide verzwirnt. Dazu werden diese in entgegengesetzter Richtung wie beim Spinnen eines einzelnen Garns gedreht. Das Rad läuft deshalb anders als beim ersten Arbeitsschritt gegen den Uhrzeigersinn. Das alles geht Cathy Petzold gut von der Hand.

Das Schöne am Spinnen sei, dass man das Produkt weiterverarbeiten kann, sagt sie. Und das tut die Lauensteinerin. Sie strickt daraus Socken, Jacken, Handschuhe und Pullover. Auch das geht flott. Die Lauensteiner weiß, wie’s geht. Denn das Stricken beherrscht sie seit ihrer Jugend. In den letzten Wochen hat sie eher Minisocken und -mützchen gestrickt. Die meisten Sachen hat sie nach Süddeutschland verschickt, damit ihr erstes Enkelkind, das demnächst das Licht der Welt erblicken wird, nicht frieren muss. Der kleine Erdenbürger kann sich freuen. Denn bald schon wird es Nachschub geben, dann nicht nur aus Schafwolle, sondern aus einer ganz flauschigen Wolle. Die stammt vom Angorakaninchen der Petzolds. „Wir haben unser Kaninchen geschoren“, sagt sie. Dann folgte die übliche Prozedur: Waschen, trocknen, waschen … – und kämen lassen. Noch liegt die Wolle in einer kleinen Box. Doch sicher nicht mehr lange.

Cathy Petzold kommt ins Schwärmen, wenn sie vom Spinnen berichtet. Das gleichmäßige Rotieren der Scheibe erzeugt einen leisen Ton, der beruhigend wirkt. Weil die Arbeit monoton ist, kann sie ihren Gedanken freien Lauf lassen. Und das macht sie. „Ich reflektiere den Tag, plane den nächsten oder denke mal an nichts“. Ab und zu wanderten ihre Gedanken zu Dornröschen, die auch am Spinnrad saß und sich an ihrem fünfzehnten Geburtstag an einer Spindel in den Finger gestochen hat. „Mir ist es ein Rätsel, wie das passiert sein soll“, sagt Frau Petzold. Sie hat sich schon viele Spinnräder angesehen. Doch nicht eins hatte eine Spindel, an der man sich verletzten könnte.