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Eng wie im Mutterleib

Schon für das Einfahren braucht es Mut. Richtig schwierig ist der Rückweg. Ein Besuch in der Wohlrabhöhle im Bielatal.

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© Mike Jäger

Von Mike Jäger

Bielatal. Auf dem Parkplatz bei der Ottomühle unweit der tschechischen Grenze stehen nur wenige Autos. Nasskaltes Wetter, Eis bedeckt die Pfützen der Schlaglöcher. Wanderer frösteln. Einer meint: „Das Bielatal ist Rheumatal.“ Es sind keine Bedingungen zum Klettern. Und so richtig trocken ist der Fels auch nicht. Drei Kletterer machen sich trotzdem auf. Aber nicht, um auf einen Gipfel zu steigen. Über den Steg des Bächleins Biela und gegenüber den Waldhang hoch erreichen sie schnell einen Felswinkel, wo sich eine der größten Höhlen im gesamten Bielatal befindet. Die Wohlrabhöhle hat der Höhlenforscher Frank Börner im Jahr 1982 entdeckt und erforscht. Der Name bezieht sich auf einen um die Wende zum 20. Jahrhundert tätigen Pfarrer in Rosenthal. Am Felsen in der Nähe gibt es eine Gedenkinschrift.

Johannes Stelzner, Axel Bruchholz und Franziska Wolf, alle aus Pirna, packen Seile aus dem Rucksack, legen ihre Klettergurte an und setzen Stirnlampen auf. Vom sogenannten Mundloch, dem Eingang zur Höhle, geht ein Kluftgang etwa elf Meter ins Felsinnere. Dort ist ein Abseilring. Darunter ein Schacht, 27 Meter tief. Nervös singt Franziska sich selbst beim Abseilen Mut zu: „Hier komme ich wieder raus. Was für eine lange Spalte!“ Denn die Höhle erfordert ein hohes Maß an Erfahrung und Kondition. Vor dem Abseilen in den engen Kamin sollte jeder daran denken, dass der Aufstieg viel schwieriger zu bewerkstelligen ist. Hilfe durch die Bergwacht wäre in der tiefen dunklen Höhle extrem schwierig. Wie beim Klettern gilt Selbsteinschätzung.

Unten angekommen, herrscht absolute Stille. Und es folgt die große Herausforderung: ein sehr, sehr enger Kamin, nur 25 Zentimeter breit, der nur für schlanke Höhlenfreunde geeignet ist. Franziska, Axel und Johannes haben keine Probleme in der Engstelle. In ihren praktischen Overalls schlupfen sie schnell durch. Nicht zu dick angezogen zu sein, ist hilfreich. In der Höhle sind angenehme sieben bis acht Grad Celsius. In einem großen Felsendom liegt ein Höhlenbuch aus, die Freunde sind die ersten hier in diesem Jahr.

Dann gibt es eine Überraschung. Eine wasserundurchlässige Tonschicht bildet ein fünf Meter langes Wasserloch. Darin steckt eine Stange mit Eimer und Zettel „Entnahme von Wasserproben“. Die Kletterer überspreizen die Lache und kommen zu einem großen Kluftraum. Oben an der Höhlendecke halten Fledermäuse ihren Winterschlaf. Die Kammer am Ende der Befahrung, wie Bergleute sagen, ist hoch. Hier hat man das Gefühl wie in einer Kathedrale, wird ehrfürchtig. „Das ist ja toll hier“, sagt Franziska. Ihre Augen leuchten im Schein der Stirnlampen. An den Wänden glitzert es wie Goldstaub. Wahrscheinlich sind es mineralische Auswaschungen aus dem Sandstein. Dann geht es ans Wiederrauskommen aus dem insgesamt rund 45 Meter tiefen Schlund – die eigentliche Schwierigkeit. Platzangst sollte man nicht haben. „Die Felsmassen über einen wirken buchstäblich beklemmend“, meint Axel. Anspannung ist bei allen zu spüren. Im Aufstieg durch den langen Kamin sind die fixen Seile hilfreich. Nach fünf Stunden, es dämmert bereits, kommen die Kletterer wieder ans Tageslicht. Was treibt einen bloß dazu, solche unwirtlichen Orte aufzusuchen? Franziska sagt: „In dem Felsen, tief unten im Stein zu sein, da fühlt man sich sehr geerdet, wie im Mutterleib.“