Merken

Endlich angekommen

Sie werden aus Lastern gezogen oder aus dem Zug geholt. Was sie durchgemacht haben, lässt sich oft nur erahnen. In Clearingstellen finden junge Flüchtlinge, die alleine nach Deutschland kommen, ein erstes Daheim auf Zeit.

Teilen
Folgen
NEU!
© dpa

Elke Richter

Nürnberg. Es ist das verlegene Lachen unsicherer Jugendlicher: Wenn Bhrane von seiner Flucht erzählt, von den Zuständen in Eritrea, von seinen Zukunftswünschen, dann lächelt der schmächtige 16-Jährige. Weil sein Englisch nicht allzu gut ist, und weil er nicht weiß, was er von den fremden Erwachsenen um ihn herum halten soll. Wahrscheinlich aber vor allem auch deshalb, weil man sich hinter einem Lachen gut verstecken kann. Und unsichtbar musste sich Bhrane auf seiner Flucht oft genug machen.

Ganz alleine ist Bhrane, der in Wirklichkeit anders heißt, von Eritrea nach Deutschland geflohen. Von Januar bis Ende August wurden bundesweit 2.301 Asylerstanträge von unbegleiteten Minderjährigen gestellt, 572 waren sogar unter 16 Jahre alt. Im Vergleichszeitraum des Vorjahrs waren es 1.346 Erstanträge gewesen - ein Zuwachs von rund 70 Prozent. Allein in Bayern werden 2014 wohl rund 3.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge eintreffen. Die Zahlen steigen rasant. Am häufigsten kommen die Jugendlichen aus Afghanistan, Eritrea, Syrien und Somalia.

Flucht vor dem Militärdienst

Die Gründe für die oft gefährliche und entbehrungsreiche Flucht sind unterschiedlich. Manche fliehen vor einem Bürgerkrieg oder dem Terror der IS, andere vor einer drohenden Beschneidung.

Bhrane flüchtete vor dem Militärdienst. In Eritrea, das als Nordkorea Afrikas gilt, müssen Jungen wie Mädchen fürchten, von der Schulbank weg eingezogen zu werden. Auf unbegrenzte Zeit, miserabel versorgt, ohne Kontakt zu Verwandten. „Mein Vater und mein Bruder sind schon bei den Soldaten“, erzählt Bhrane. „Aber ich bin doch ein Schüler!“

Zumindest möchte er gerne einer sein, denn die Möglichkeit, auf eine weiterführende Schule zu gehen, gibt es für den 16-Jährigen in seiner Heimat nicht. Hinzu kommt: „Es gibt in Eritrea keine Demokratie.“ In dem gleichgeschalteten Einparteienstaat existieren weder Meinungs-, noch Versammlungs- oder Religionsfreiheit. Die politische Opposition wird unterdrückt, Regimekritiker verschwinden oft jahrelang.

Für drei Monate unterkommen

Seit wenigen Tagen lebt Bhrane nun in einer Wohngruppe mit anderen jungen Flüchtlingen zusammen. In dieser „Clearingstelle“, wo sie für maximal drei Monate bleiben, wird geklärt, was mit ihnen als nächstes geschehen und wie sie künftig untergebracht werden sollen. Im Gegensatz zu Minderjährigen, die gemeinsam mit ihren Eltern oder Verwandten kommen, sind für die unbegleiteten Jugendlichen nicht die zentralen Aufnahmeeinrichtungen zuständig, sondern die Jugendämter.

Sie nicht in den überfüllten Massenunterkünften unterzubringen, sei extrem wichtig, betont Johanna Karpenstein vom Bundesfachverband Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. „Ein Jugendlicher geht da unter, das ist kein Schutzraum für Minderjährige. Dort müssen sie sich gegen die Erwachsenen behaupten, und es wird nicht auf ihre besonderen Bedürfnisse - wie Bildung, Ruhe, Zuneigung oder Privatsphäre - Rücksicht genommen.“

Eingeschüchtert und zurückgezogen

Auch wenn viele der Jugendlichen psychisch unheimlich stark sind - schließlich haben sie es bis nach Deutschland geschafft -, haben sie alle ein mehr oder weniger großes Päckchen zu tragen. „Wenn die hier ankommen, sind sie meist ruhig, zurückgezogen, schleichen mit gesenktem Kopf an der Wand entlang und sind total eingeschüchtert“, berichtet Leonie Neukamm, Bhranes Gruppenleiterin in der Clearingstelle Nürnberg-Eibach.

Dort bekommen die fast ausschließlich männlichen Neuankömmlinge vor allem eines: Ruhe und Sicherheit. Manche haben am Anfang einen gestörten Tag-Nacht-Rhythmus, waren sie doch auf ihrer Flucht meist in der Dunkelheit unterwegs. Alle sind sie von den oft grausamen Erlebnissen der vergangenen Wochen geprägt. „Die kommen häufig sehr reif und erwachsen hier an“, schildert Neukamm. „Innerhalb weniger Wochen fällt dann eine Last ab und es wird spürbar, dass das eigentlich ein Jugendlicher ist, der einen Hilfebedarf hat.“

Die Ankömmlinge setzen große Hoffnungen in ihre Zukunft in Deutschland. Entsprechend motiviert bringen die meisten sich in die Wohngruppe ein, üben Deutsch und kochen gemeinsam das Abendessen. Auch Bhrane will noch viel lernen: „Ich möchte Arzt werden.“ Aber dafür muss erst mal sein Asylantrag bewilligt werden. (dpa)