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Ende einer Ära: Der letzte Bauingenieur

Warum es auch einen Nachteil einer so fabelhaften Ausbildung gibt.

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© Matthias Weber

Von Jan Lange

Robin Scharf ist glücklich: Das letzte Stück seines Studiums ist geschafft. Am Freitag hat der 24-Jährige die letzte Prüfung geschafft. Ein bisschen Wehmut kommt bei ihm auf. Der Marienberger muss nun endgültig Abschied von einer Hochschule nehmen, die ihm beste Studienbedingungen geboten habe. Im Oktober 2010 nahm er das Studium in Zittau auf.

Trauer herrscht auch in der Hochschulleitung. Denn mit Robin Scharf geht der letzte Baustudent der hiesigen Hochschule. Es kommen künftig keine neuen nach - der Studiengang in Zittau wurde abgeschafft. Damit endet nach mindestens 167 Jahren die höhere Bauingenieur-Ausbildung in der Stadt. Spätestens mit der Einweihung der Sächsischen Baugewerkschule Zittau 1848 am Stadtring wurde sie begründet. Die Entscheidung, die höhere Bauausbildung aufzugeben, basiert auf Ideen des Wissenschaftsministeriums und wurde von der Hochschule umgesetzt: Verschiedene Studienrichtungen sind auf einzelne Standorte konzentriert worden. Zittau hat das Bauingenieur-Studium abgegeben.

Auch der Hochschulabsolvent findet diese Entscheidung bedauerlich. In seinen Augen ist sie unüberlegt gefällt worden, sagte er. „Dabei hat man uns Kias regelrecht vergessen.“ Robin Scharf hat Bauingenieurwesen in der Kooperativen Ingenieurausbildung (Kia), also einer Verzahnung von Praxis und Theorie, studiert.

Von der Schließung des Studiengangs erfuhr er mit seinen beiden Mitstudenten, als sie sich gerade im Ausbildungsjahr auf dem Bau beziehungsweise im überbetrieblichen Ausbildungszentrum in Bautzen befanden. „Oh Himmel, wie kann man nur so eine erstklassige Ausbildungsstätte schließen“, war einer seiner ersten Gedanken. „War ja klar, dass es nur um Zahlen und das Geld geht und nicht um den Inhalt und die Form der Ausbildung“, schoss es ihm durch den Kopf. Gleichzeitig machte er sich aber auch Sorgen um sein eigenes Studium. Muss er nun an einer neuen Hochschule neu anfangen? „Ich will nicht von Zittau weg“, stand für ihn fest. Und Robin Scharf musste nicht fort. Dank der Zittauer Professoren und dem Verwaltungspersonal, die ihn und seine Mitstudenten bis heute nicht im Stich gelassen haben, konnte er an der hiesigen Hochschule bleiben und eine ganze individuelle Ausbildung - nur noch zu dritt - genießen und zu Ende führen. Die Ausbildung und der Lehrinhalt wurden genauso abgewickelt wie mit einer Gruppe von 25 Studenten. „Es wurde für uns so angenehm wie möglich organisiert“, berichtet Robin Scharf. Allerdings fielen Exkursionen zu Baustellen oder zu Firmen und Gastvorträge wegen der zu geringen Teilnehmerzahl aus. „An sich hätte man wenigstens nur noch einmal immatrikulieren müssen, natürlich ohne Kias, und wir wären mit einem ganz normalen Bauingenieurstudiengang fertig geworden“, findet der 24-Jährige. Die Qualität des Zittauer Baustudiums sei die beste gewesen, die er sich nur vorstellen konnte. „Die Ausbildung ist erstklassig, die Lage der Hochschule landschaftlich und kulturell sehr interessant und die Anbindung an meine Heimat in Ordnung“, meint der aus dem erzgebirgischen Marienberg stammende junge Mann. Davon können andere Bauingenieurstudenten nur träumen. „Ich habe Kontakt zu Kollegen, die in Leipzig oder Dresden studieren. Wenn ich ihre Geschichten und Tatsachen höre, bin ich glücklich und sehr stolz, hier in Zittau studiert zu haben“, sagt Robin Scharf.

Eine Ausbildung, zwei Abschlüsse

Dabei wollte er eigentlich gar nicht an eine Hochschule gehen, er wollte Zimmermann werden. Seine Eltern wollten aber gern, dass er studiert. Mit der Kooperativen Ingenieurausbildung hat er beides verbunden. In dieser Ausbildung ist es möglich, in fünf Jahren einen Beruf als Facharbeiter – Zimmereigeselle – mit Gesellenbrief abzuschließen und parallel ein Studium als Diplombauingenieur zu absolvieren. „Perfekter kann man es nicht treffen!“, sagt der 24-Jährige. Dass er Zimmermann werden wollte, lag daran, dass er mit der Bauwelt groß geworden ist. Seine Eltern haben einen eigenen mittelständischen Zimmerei- und Holzbaubetrieb.

Durch Zufall sei seine Mutter im Internet auf den Studiengang in Zittau gestoßen. „Wir wussten gar nicht, dass es so eine geniale Form der Ausbildung gibt“, erzählt Scharf. Leider sei der Kia-Studiengang nach seinen Worten wenig umworben gewesen, zumindest im Bauwesen. Der gute Ruf des Zittauer Baustudiums habe ihm bei der Praxissemesterbewerbung in Leipzig geholfen. Er sei unter mehreren Mitstreitern bevorzugt worden, als man ihn genauer fragte, wo er denn studiere. Auch als Berufseinsteiger habe er dank der hervorragenden Kombination und Abstimmung der Module mit komplexer Theorie und vor allem Praxis klare Vorteile.

Zittau hat Scharf vor seinem Studium nicht gekannt. Wie die meisten fertigen Abiturienten wollte auch Robin Scharf cool sein und in eine große Stadt wie Dresden oder Leipzig gehen. Bereut hat er den Gang in die Provinz nicht - auch wegen des studentischen Lebens. Das sei ganz besonders schön und einzigartig gewesen. Denn in Zittau kenne man sich, man lerne sich sehr schnell kennen, ob in der Mensa, der Bibliothek, beim Sport oder anderen Hochschulaktivitäten, und genieße ein super Studentenleben. „Allein die Lage zum Olbersdorfer See im Sommer ist einmalig toll“, schwärmt der junge Mann. Für das Nacht- und Partyleben sei auch ausreichend gesorgt. Er denkt da nur an die vielen Feiern in den Wohnheimen sowie die tollen Mensa- und Campuspartys zurück. Der 24-Jährige hatte im sechsten und siebenten Semester sowie in den letzten Studienmonaten im Wohnheim gelebt. Dazwischen hatte er ein eigenes Zimmer oder wohnte in einer WG. „Ich selbst fahre mit meinen ehemaligen Kommilitonen nach Zittau, um uns dort zu treffen und zu feiern und ich kenne viele, die dasselbe tun, obwohl die Möglichkeit näher liegt, in eine große Stadt zu gehen“, erzählt er. Robin Scharf würde jederzeit wieder in Zittau studieren, wenn dies möglich wäre.

Wie es jetzt, nach der letzten Prüfung weitergeht, darüber ist sich der 24-Jährige noch nicht endgültig klar. Das sei wohl der einzige Nachteil einer so fabelhaften Ausbildung: Er habe die Qual der Wahl, denn es gibt so viele Möglichkeiten und Angebote. Es ergeben sich interessante Wege, weiter zu studieren und beispielsweise den Doktortitel zu erlangen. Gleichzeitig raten ihm viele, ins Ausland zu gehen und die Welt als Bauingenieur zu entdecken. Des Weiteren habe er noch guten Kontakt nach Leipzig zu seiner Praxissemesterstelle und anderen Ingenieurbüros. Auch in seiner erzgebirgischen Heimat werden händeringend Bauingenieure gesucht. „Ich mach mir, dank der Entscheidung nach Zittau zu gehen, darüber keine Gedanken, ob ich einen Job bekommen werde“, sagt Scharf.