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Eltern erhalten Geld nach Unfall in der Kita

2012 verunglückte das behinderte Kind in Weixdorf. Doch statt dies zu klären, kündigte die Einrichtung der Familie den Betreuungsplatz.

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© Willem Darrelmann

Von Sylvia Gebauer

Julie hat endlich wieder einen geregelten Tagesablauf. Das Mädchen kann am Morgenkreis teilnehmen und mit anderen Kindern spielen. In der heilpädagogischen Gruppe der Kita Sonnenschein auf der Weinböhlaer Straße fühlt sich die Fünfjährige wohl. „Julie ist abends richtig geschafft und schläft viel besser“, freut sich ihre Mutter, die Weixdorferin Katja Döring, die nun noch eine Sorge weniger hat.

Ein Gerichtsverfahren belastete in den vergangenen Monaten die Familie. Die Eltern hatten den Verein Lebenshilfe Dresden verklagt, weil Julie im Januar 2012 in der Kita verunglückt war. Vor wenigen Tagen fand die Verhandlung statt, die schließlich in einem Vergleich endete. Die Familie erhält einen fünfstelligen Betrag als Schadenersatz für den Sturz des Kindes. So nimmt das Jahr 2014 für sie doch noch eine positive Wendung, das mit einer Schreckensnachricht begann.

Im Januar erhielt Katja Döring die Kündigung für Julies Betreuungsplatz in der heilpädagogischen Einrichtung der Lebenshilfe Dresden auf der Wintergartenstraße. „Das Vertrauensverhältnis ist zerstört, auf dieser Basis können wir nicht zusammenarbeiten“, begründete der Geschäftsführer der Lebenshilfe, Lothar Erler, die Entscheidung. Daraufhin verklagten die Eltern den Verein. Der Richter am Landgericht wies allerdings im Mai den Antrag der Dörings ab. Für die Familie brach eine harte Zeit an.

Plötzlich drei Kleinkinder zu Hause

Denn Julie, die sich kurz nach ihrer Geburt mit Krankenhauskeimen infizierte und daraufhin zu einem Pflegefall wurde, gefiel es in der Kita der Lebenshilfe außerordentlich gut. Außerdem bekam sie dort regelmäßig Physiotherapie, und die Familie wurde entlastet. Doch mit dem Verlust des Betreuungsplatzes war diese Unterstützung dahin. Julie ist nicht das einzige Kind der Familie Döring. Die Fünfjährige hat noch eine gesunde Zwillingsschwester. Außerdem brachte Katja Döring zu Jahresbeginn erneut ein Zwillingspärchen zur Welt. „Mit Julie hatte ich nun drei Kleinkinder zu Hause“, sagt die Weixdorferin. Ihre Nerven lagen deshalb nicht selten blank. Freunde und Großeltern unterstützten sie. Dennoch sah Katja Döring Julie als Leidtragende. „Zwei Monate bekam sie keine Physiotherapie, das hat sie in ihrer Entwicklung enorm zurückgeworfen“.

Ursache für das zerrüttete Verhältnis zwischen der Lebenshilfe-Kita und der Mutter war der Unfall, der sich bereits im Januar 2012 in der Betreuungseinrichtung ereignet hatte. Damals ist Julie während einer Therapiestunde mit der Physiotherapeutin gestürzt. Katja Döring vermutet, dass sie auf eine Matte am Fußboden gesetzt wurde, obwohl sie sich ohne Unterstützung nicht lange sitzend halten kann. „Julie hatte zu diesem Zeitpunkt außerdem fünf bis zehn Anfälle pro Tag “, erzählt sie.

Als es dem Mädchen nach dem Sturz in der Therapiestunde schlechter ging, wurde die Mutter auf Arbeit von der Kita verständigt. „Die Ereignisse wurden heruntergespielt, meine Kollegen haben das mit angehört“, erzählt Katja Döring. Einen Arzt habe sie erst einige Tage später aufgesucht. Dieser stellte bei einer gründlichen Untersuchung im Februar 2012 ein Hirnhämatom fest. Julie wurde wegen akuter Lebensgefahr sofort notoperiert. „Wäre das nicht entdeckt worden, wäre sie gestorben“. Glücklicherweise verlief die OP gut. Julie erholte sich davon und ging einige Zeit später wieder in den Kindergarten.

Im Mai 2012 meldete die Familie den Unfall bei der Haftpflichtversicherung der Kita. „Wir wurden lange hingehalten, später zahlte die Versicherung 2 500 Euro“, erzählt Katja Döring. Da dieser Betrag jedoch nicht die entstandenen Kosten deckte, schaltete die Familie einen Anwalt ein. Denn Katja Döring vermutete, dass die Physiotherapeutin den Raum verlassen habe, um etwas zu holen. Sie habe Julie somit unbeaufsichtigt gelassen.

Geschäftsführer Lothar Erler hingegen stritt das ab: „Wie soll sie sonst den Sturz mitbekommen haben?“ Er sieht auch die Eltern in der Pflicht. Da das Mädchen auf den Kopf gefallen ist, habe das Kitateam die Eltern bereits am Nachmittag des Unfalltages darauf aufmerksam gemacht und auch darum gebeten, Julie einem Arzt vorzustellen. Daraufhin soll ihre Mutter entgegnet haben, dass sie in fünf Wochen sowieso einen Arzttermin habe und bis dahin warten könne.

Über diese Aussagen kann Katja Döring nur den Kopf schütteln. Unfälle passieren nun mal, sagt sie, da mache die Familie dem Kitateam keine Vorwürfe. Vielmehr störe sie die Art und Weise, wie mit ihnen umgegangen worden sei. „Wir wurden plötzlich als Täter hingestellt und Julie so, als wäre es ihre Schuld gewesen“, erzählt sie. Wer diese letztendlich an dem Unfall trägt, wird wohl nicht mehr geklärt. Trotzdem ist Katja Döring zufrieden mit dem Vergleich. Denn der Familie bleibt ein weiteres und vor allem langwieriges Gerichtsverfahren erspart. Zumal Gutachter dabei hätten feststellen müssen, welche Schäden Julie durch den Unfall davongetragen hätte. Vor 2016 wäre kaum mit einer Entscheidung zu rechnen.

Nun bekommt die Familie den fünfstelligen Betrag als Schadensersatz. Damit soll eine Therapie für Julie finanziert werden, vielleicht eine mit Delfinen. Doch mit dieser Entscheidung wird sich die Familie Zeit lassen. Denn zunächst stehen die Vorbereitungen für das Weihnachtsfest an. Und die laufen wie in vielen anderen Familien. „Die Omas muss ich bei den Geschenken bremsen, was soll das erst werden, wenn die Kinder 14 oder 15 Jahre alt sind“, sagt Katja Döring und muss lachen.

Ein Leben ohne ihre vier Kinder können sie und ihr Mann sich trotz der Turbulenzen gar nicht mehr vorstellen. Ihr Schicksal meistern sie.