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Elfriede rockt Rathen

Zum Märchenfest verzaubern die Landesbühnen den ganzen Ort. Absoluter Hingucker ist aber eine rüstige Rentnerin.

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© Steffen Unger

Von Thomas Möckel

Kurort Rathen. Schon am Anfang gibt sich Elfriede als Gästefänger. „Bleiben se noch ä bissel hier“, knatscht sie mit brüchiger Stimme und gedehntem Sächsisch den Reisenden zu, die gerade mit der Gierseilfähre von Ober- nach Niederrathen übersetzen. Bürgermeister Thomas Richter will gleich das Fest „Märchenhafter Kurort Rathen“ eröffnen, dafür braucht er Publikum, der gemischte Chor will zur Begrüßung ein Lied an die Sonne singen. „Da müssen se aber laut singen“, grätscht Elfriede verbal dazwischen, „damit die Sonne heute noch scheint.“

Mit dem Märchenfest im Kurort Rathen geben die Landesbühnen Sachsen stets einen Vorgeschmack auf die Theatersaison auf der Felsenbühne. Hauptfiguren aus den Stücken sind einen ganzen Nachmittag im Ort unterwegs, um die Gäste zu verzaubern. Doch egal, ob König, Momo, Aschenputtel oder goldene Gans – am Sonnabend bleibt Elfriede der Hingucker.

Elfriede ist eine lebensgroße Handpuppe, genauer gesagt nur ihr Oberkörper mit Kopf, das Ende ihrer Bluse steckt im Rock von Schauspielerin Kora Tscherning, sie ist die einzige fest angestellte Puppenspielerin bei den Landesbühnen. Elfriede wurde extra für sie gebaut, um ihr Leben einzuhauchen, steckt eine Hand von Kora im Kopf der Puppe, die andere im linken Arm. Hält Kora die Puppe geschickt, sieht es aus, als würde einem nur die ältere Dame entgegenkommen.

Elfriede, rüstige 83 Jahre, gibt sich jung: Die Föhnwelle in den grauen Haaren sitzt, Rouge betont die Wangen, die Lippen sind pinkfarben, ein weißer Spitzenkragen umschmeichelt am Hals die schwarze Bluse, allerdings hat die Seniorin vergessen, sich einen BH anzuziehen.

Als der Chor sein Begrüßungsständchen geschmettert hat, schnappt sich Elfriede einen Schirm und ihre helle Ledertasche. Sie eilt in den Ort, sie will Leute treffen. „Wissen Sie, dass hier ooch Märchen vorgelesen werden?, fragt die Rentnerin in eine Touristengruppe. Mit ihrer Art nimmt Elfriede die Herzen im Sturm, es dauert nicht lange, man kommt ins Gespräch, die Truppe will später noch bei der Märchenlesung vorbeischauen.

Inzwischen ist gewiss: Der Chor hat am Anfang ganze Arbeit geleistet, die Sonne heizt den Ort auf, es ist Kurzärmelwetter, in Scharen strömen die Menschen durch den Kurort, wo es so viel Märchen zu entdecken gibt. Man schaut, flaniert, seifenblast, kaut, trinkt, staunt, lacht.

Ein Vater mit seinem Jungen bleibt vor Elfriede stehen, der Knabe guckt ein wenig erschrocken, als ihn die Puppe anspricht. Als er sich aber aus der hellen Ledertasche ein Bonbon nehmen darf, taut der Junge auf und lacht. Elfriede schickt die Zuschauer zur Bühne am Biergarten, wo Momo tanzt und Aschenputtel auf den Prinzen wartet. Oder zur Bühne an der alten Mühle, wo gruselige Lieder zu hören sind.

Am Amselsee gönnt sich Elfriede eine Pause, sie schaut versonnen auf die Boote und das Felsmassiv „Lokomotive“. Auch Kora, ihr Lebensgeber, muss kurz verschnaufen, es strengt an, die Puppe immer in dieser Haltung zu tragen. Doch schnell sind beide wieder fit, Elfriede wird noch lange im Ort bleiben, Menschen an märchenhafte Orte schicken – und den einen oder anderen Mann mit ihrem Charme bezirzen.