Von Tobias Wolf
Der Morgentau ist noch nicht ganz von den Gräsern getrocknet, als Evelyn Richter in ihren Rollschuhen mit vorsichtigen Schritten über die Wiese trippelt. Die 64-jährige Skaterin hat keine Wahl. Wo bis vor Kurzem der Elberadweg verlief, klafft seit Donnerstagabend eine Lücke. Regine Töberich hat ihn abreißen lassen, um das Rathaus unter Druck zu setzen. Damit will die Investorin des umstrittenen Wohnbauprojekts Marina Garden eine Baugenehmigung erzwingen. Die 50-Jährige plant, 240 Wohnungen zwischen Leipziger Straße und Pieschener Elbufer zu errichten. Die Stadt hat inzwischen reagiert und Strafantrag gestellt – wegen Sachbeschädigung und eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr.
Für Skaterin Richter spielen Töberichs Beweggründe keine Rolle. Sie hat jetzt wie alle anderen ein Problem auf dem Elberadweg. „Ich fahre hier jeden Tag lang, auch mit dem Rad“, sagt sie. „Ein Abriss ist keine Lösung, erst recht nicht für uns Nutzer.“ Das findet auch Christina Kapplick, die immer zwischen Pieschen und der Innenstadt zur Arbeit radelt. „Frau Töberich hatte den Abriss zwar angekündigt, aber geglaubt habe ich das nicht“, sagt die 37-Jährige.
Hunderte Radfahrer sind am Freitagmorgen unterwegs. Einer verdreht die Augen, lacht und ruft dann im Vorbeifahren: „Was für ein Affentheater hier.“ Ein 14-Jähriger bleibt neugierig stehen. „Ich verstehe nicht, wie man so herzlos sein kann“, sagt der Schüler mit Blick auf Töberichs Aktion vom Donnerstagabend. „Das ist mein Schulweg.“ Immer wieder stoppen Schaulustige an den Absperrzäunen. Bremsen, gucken und ein Foto machen, fast so als hätte Dresden eine neue Attraktion.
Das sagen OB-Kandidaten zum Abriss
Der Tag nach dem Radweg-Abriss
Mancher vergleicht die Trümmerlandschaft mit einem Kunstwerk, so gleichmäßig sind die Asphaltbrocken geschichtet. Die Bagger hatten sie am Vorabend auf die Seite gehievt, sodass nur ein Schotterbett blieb. Nachtaktive Unbekannte haben die Trümmer wieder auf den Weg gelegt und einen so aufgerichtet, als wäre es ein Grabstein, versehen mit einem weißen A4-Zettel. Elberadweg – gestorben am 07. Mai ist darauf zu lesen. Vier Grablichter stehen drumherum. Ein paar Meter weiter klebt wieder ein Papier: „Frau Töberich, Sie sind eine Schande für Dresden! Verlassen Sie bitte diese Stadt!“
So wütend, wie die Investorin auf Rathaus und Stadtrat ist, sind es die Bürger jetzt auf sie. An Gebäuderuinen auf dem Grundstück ist der Protest aufgemalt: „Töberich wegbaggern“, fordert ein Graffiti-Schriftzug. Die unbekannten Nachtaktiven haben auch die Absperrgitter auf ganzer Länge weggerissen und in die Elbe geworfen. Zaunbauer Silvio Hoffmann birgt sie mühevoll aus dem Wasser, bevor er sie wieder befestigen kann. Zwar hatte die Investorin angekündigt, zur Sicherheit Leuchten an den Sperren anzubringen. Davon ist jedoch bislang nichts zu sehen.
Am Vormittag wird es offiziell. Streifenpolizisten fahren vor, checken die Szenerie, wegen der mehrere Strafanzeigen eingegangen sind. Das Dresdner Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA) hat zwei Mitarbeiter geschickt. Sie vermessen die Lücke im Radweg. „Wir wollten überprüfen, ob unsere Grundstücke betroffen sind, aber dem ist nicht so“, sagt WSA-Chef Klaus Kautz. Die meisten Flächen entlang des Elbufers gehören zum Bestand der Bundesbehörde und werden verpachtet, erklärt Kautz, beispielsweise an Landwirte. Mittags lässt sich auch Straßenbauamtschef Reinhard Koettnitz an der Abrissstelle sehen. Schon am Vorabend war er da – aber zu spät, wie er gestern einräumte. Denn Mitte April hatte er noch angekündigt, dem Abrissbaggerfahrer seinen Schlüssel wegzunehmen.
Regine Töberich ist zwar Eigentümerin des Grundstücks, hat aber einen sogenannten Gestattungsvertrag unterzeichnet, sagt Rathaussprecherin Nora Jantzen. Der Elberadweg gehöre der Stadt. Er sei gemäß dem Straßengesetz des Freistaats für den Fahrrad- und Fußgängerverkehr öffentlich gewidmet. Obwohl die Investorin den Vertrag gekündigt hat, darf der Weg deshalb von Passanten weiter genutzt werden. Dies gelte selbst dann weiter, wenn dieser Vertrag enden sollte, so die Rathaussprecherin.
Töberich hatte den Abriss des Weges in der Vergangenheit immer als letztes Mittel bezeichnet, um sich gegen die Entscheidungen der Stadt zu wehren. Wie das Tauziehen am Ende ausgeht, ist nicht abzusehen. Wann der Radweg am Pieschener Elbufer wiederhergestellt wird, ebenfalls nicht. Die Leidtragenden des Streits sind die Dresdner.