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Einzug ins Notquartier

Die ersten Asylbewerber wurden am Siedlungsweg in Kamenz empfangen. Mit Ad hoc-Organisation und Drohkulisse.

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© Kerstin Unterstein

Von Frank Oehl

Freitag 14.30 Uhr. Während vorn das DRK Dresden die Aufnahmetheke vorbereitet, ist hintenrum das THW Kamenz noch beim hektischen Feldbett-Schleppen. Junge, Junge, das ist knapp, denn die ersten Asylbewerber aus Schneeberg sind im Anmarsch. Um in der quasi über Nacht aus dem Boden gestampften Notunterkunft am Siedlungsweg unterzukommen. Als Zwischenstation auf dem Weg ins offene, Ungewisse. Die meisten Flüchtlinge, darunter viele Kleinkinder, stammen aus dem Kosovo. Asylchancen haben sie nicht. Das Kosovo, vor sieben Jahren mit EU-Hilfe aus Serbien heraussepariert, hat zwar nicht den Status eines sicheren Drittlandes, aber politische Verfolgung gibt es nicht. Die Menschen habe ein „seltsamer Strom von Gerüchten“ nach Deutschland gelockt, sagte Minister Hashim Thaçi der FAZ. „Statt nach Deutschland zu reisen, täte uns eine deutsche Einstellung zur Arbeit gut“, ruft er seinen Landsleuten noch hinterher. Der mächtigste Mann im Lande wird es wissen. Helfen kann er zunächst nicht. Das übernehmen nun Sachsen, auch Kamenzer.

Empfang mit Drohkulisse

Gegen 15 Uhr fahren die Busse vor. Nacheinander, um die Gestrandeten freizugeben. Schwangere Frauen sind darunter – mit Kleinstkindern auf dem Arm. Um 16 Uhr ist das Check-in beendet. Gerade noch rechtzeitig vor einer Art „Kagida“-Protestdemo. Etwa 200 bis 250 Bürger – beileibe nicht nur Kamenzer – haben sich direkt vor dem Heim postiert. Ihnen einen etwas entfernteren Platz anzuweisen, ist der Versammlungsbehörde offenbar nicht eingefallen. Auch ohne Verstärkeranlage geht es ganz schön laut zu. Die Drohkulisse wirkt, die Asylbewerber ziehen sich ins Haus zurück. Sozusagen hinter die nicht vorhandene Gardine. Viel Wut erfährt OB Roland Dantz. „Abtreten, abtreten!“ brüllen die Aktivisten. Als hätte Dantz die Einrichtung der Notunterkunft höchstselbst beschlossen. Nicht einmal verhindern konnte er sie. „Mit unbedachter Vorgehensweise kann man eine ganze Welt in Brand setzen“, hat das Stadtoberhaupt zuvor beim „Presserundgang“ in der noch leeren PSV-Halle zu Protokoll gegeben. Er kritisiert auf diese Weise auch das Ad hoc-Handeln der Landesdirektion Sachsen, die den Polizeisportverein aus der Halle warf und erst danach die örtlichen Behörden informierte. „Ein halber Tag mehr Zeit hätte uns viel Ärger erspart“, sagt der OB. „Wir haben eine Notsituation“, bittet Abteilungsleiter Helmut Koller aus Dresden um Verständnis. „Wenn wir anders handeln könnten, würden wir es tun.“ Allein am vergangenen Wochenende hätten sich 200 neue Asylbewerber in sächsischen Behörden gemeldet. „Und wir wollen keinen von ihnen in Zelten unterbringen.“

Judogeräte ausgelagert

Das gibt es anderswo, aber nicht in Kamenz. Die Judoka haben es tatsächlich geschafft, bis Freitagmittag auch ihre schweren Kraftsportgeräte auszulagern. „Wo sie hinkommen, weiß ich selbst nicht genau“, sagt PSV-Präsident Thomas Santruschek. Er lobt das engagierte Anpacken der Vereinsmitglieder – und auch den mit dem Freistaat ausgehandelten Kompromiss. Dem Judohallenvermieter blieb auch nicht viel übrig, als klare Zusagen für die Wiedernutzung der Halle im Sommer zu machen. Immerhin konnte der PSV tatsächlich eine einstweilige Verfügung gegen den Rauswurf von heut auf morgen vorweisen. Eigentlich erfreulich, dass auch einer Landesbehörde auf diese Weise attestiert werden kann, rechtswidrig gehandelt zu haben. Mit der Einigung beider ist der unerquickliche Rechtsweg vom Tisch. Und Danke sagt Santruschek auch dem OB und dem Landrat. „Mit der Turnhalle im BSZ haben wir eine Interims-Trainingsstätte, die wir ab 2. März nutzen werden – vor allem unsere Kinder und Jugendlichen.“ Und der PSV-Vorstand distanzierte sich ausdrücklich auch von den Demonstranten. „Wir sind gegen jede aggressive Aktion und bitten, die hier untergebrachten Menschen mit Würde und Anstand zu behandeln.“

Dass dies nur ein Mindestmaß ist, hat auch der gestrige Rundgang gezeigt. 200 Feldbetten auf 400 Quadratmetern in der großen Halle. Biertischgarnituren im 200 Quadratmeter großen „Sozialraum“. Zwei WC für jedes Geschlecht plus acht Dixieklos vor der Halle. Zunächst nur je vier Duschen für Frauen und Männer. Erst am Dienstag rückt mobile Verstärkung an ...