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Einzelhandel muss ein Erlebnis sein

Dieter Henke leitet das Lausitz-Center Hoyerswerda. Ihm ist es vor dem Online-Handel nicht bange.

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© Gernot Menzel

Herr Henke – die Menschen in den Industrieländern kaufen zunehmend online ein. Die Befürchtung ist, dass der Einzelhandel darüber früher oder später krachen geht. Kommt das so?

Dass der Onlinehandel ein sehr starker Konkurrent geworden ist, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, das ist so. Man muss aber die Wirtschaftlichkeit sehen. Wenn der Onlinehandel sagt, er macht Milliarden an Umsatz, dann muss man auch die Kosten dagegensetzen. Es gibt auch im Einzelhandel Unternehmen, die Milliardenumsätze gemacht haben und dann von der Bildfläche verschwunden sind, siehe Schlecker. Die Größe der Umsätze ist nicht das Entscheidende, sondern: Was bleibt übrig. Die Retourenquoten im Onlinehandel sind sehr, sehr hoch. Von daher muss diese Branche auch hohe Umsätze fahren, um überleben zu können. Ich denke, es ist ein Hype, den wir erleben. Der kann auch unter Umständen sehr schnell vorbeigehen. Wir setzen auf einen anderen Effekt. Und das praktizieren wir hier im Lausitz-Center: Wir wecken mit einem relativ schmalen Werbeetat auch andere Gefühle als den puren Konsum.

Damit sprechen Sie das Einkaufserlebnis an. Das ist ja eine Domäne der Shopping-Center.

Ziel ist es, einen guten Branchenmix zu bringen, dass man die richtigen Anbieter hat. Natürlich müssen wir Leerstand vermeiden. Und wir dürfen derzeit sagen, wir haben null Leerstand. Wir werden mit H & M am 11. November einen neuen Partner begrüßen, der große Wirkung in der Region auslöst. Das ist hier, anders als in Berlin, eine echte Hausnummer. Dann gehören Sauberkeit und Attraktivität, die Helligkeit eines Centers dazu. In den letzten Jahren haben 35 Mietpartner Renovierungen durchgeführt. Wir haben noch zwei, drei Bereiche, wo wir sagen: „Denkt mal drüber nach, ob ihr nicht auch renovieren wollt.“ Aber ansonsten ist dieses Center zwar 21 Jahre alt und doch modern.

Stichwort H & M. Bei den großen Ketten kann man auch alles online bestellen. Was macht in der Filiale den Reiz aus, wenn ich doch bequem von der Couch bestellen kann?

Ich kann mehr vergleichen, wenn ich im Shop einkaufe. Ich genieße das Einkaufserlebnis, kann in der Gastronomie verweilen, habe die Möglichkeit, Bekannte zu treffen – ob im Einkaufszentrum oder in der Fußgängerzone ist dabei völlig egal. Und ich kann meine Zeit ganz anders einteilen. Onlineeinkauf ist für mich so etwas wie Börse – ich kauf mir eine Aktie. Aber ich habe dabei kein Hurra-Erlebnis. Ganz anders ist das Gefühl beim Shoppen vor Ort: Mal gucken, was es heute so Schönes gibt. Warum geht man beispielsweise zu Tchibo? Nicht etwa, weil ich etwas suche, sondern man geht rein, um irgendetwas zu finden, was einem gefällt. Da habe ich das ganze Spektrum des Einzelhandels bis zur Ferieninsel, die man kaufen kann.

Und man hat den Kaffeeduft, den man online nicht hat.

Ja, das Aktionskonzept wird wieder eine stärkere Rolle spielen, freilich da, wo es möglich ist. Viele Firmenzentralen propagieren: Kosten runter, Erträge hoch. Das ist ganz normales wirtschaftliches Verhalten. Aber ich kämpfe nach wie vor dafür, dass ich die Werbebeiträge so einsetzen kann, dass ich in der Lage bin, jede Woche auf unserer Ladenstraße eine attraktive Aktion zu präsentieren für unsere Zielgruppen. Wir haben ein großes Einzugsgebiet, das aber dünn besiedelt ist. Von den 175 000 Menschen im Einzugsgebiet erreichen wir täglich 15 500 Besucher. Das ist überproportional im Schnitt aller ECE-Center.

Das Lausitz-Center ist jetzt 21 Jahre alt. Sie sind selbst ein Einzelhandels-Urgestein, haben einiges erlebt. Trotzdem wandelt ja der Onlinehandel auch den Einzelhandel. Wie wird der Einzelhandel in zehn Jahren aussehen?

Einzelhandel war früher reines Konsumdenken: Ich gehe irgendwo hinein, kaufe etwas und gehe wieder nach Hause. Der Einzelhandel muss sich heute umstellen. Er muss sich darauf einstellen, dass die Aufenthaltsqualität wieder größer werden muss. Die Aktionspolitik muss sich steigern. Und es hat nicht immer etwas mit Geld zu tun. Ich arbeite hier gern mit lokalen Akteuren zusammen, sei es nun die Kinder- und Jugendfarm, die KulturFabrik oder die Sportvereine. Wir haben hier für einen überschaubaren Betrag die Möglichkeit, eine Win-win-Situation für alle Beteiligten zu schaffen. Wir können jede Woche unseren Besuchern ein Programm bieten, und die Vereine haben die Möglichkeit, sich täglich 15 500 Besuchern zu präsentieren, was sie in ihren eigenen Räumlichkeiten nie erreichen würden. Ich glaube, dass das die Zukunft des stationären Einzelhandels ist. Klar ist es bei bestimmten Dingen anstrengend, sie nach Hause transportieren zu müssen. Wenn ich also weiß, es muss unbedingt die Siemens-was-weiß-ich sein, dann ist es mir egal, ob die aus Hoyerswerda, Berlin oder München geliefert wird, Hauptsache, ich habe sie. Das ist kein Einkaufserlebnis. Aber wenn ich ein gutes Buch suche, Schmuck, Garderobe – das hat etwas mit Einkaufserlebnis zu tun. Ich glaube, da wird es auch wieder eine Veränderung geben, dass man wieder lieber zum stationären Einzelhandel geht. Doch der muss das Erlebnis gestalten.

Wie soll der Einzelhändler das schaffen, der nicht im Center ist, sondern sein Geschäft vielleicht sogar im eigenen Haus betreibt und es sich gar nicht leisten kann, bei Ihnen Mieter zu werden? Hat der überhaupt eine Chance?

Ich denke, es ist eine Sache der Vernunft. Dass die Einkaufszentren so großen Erfolg haben, liegt an einem Zwang. Es gibt einheitliche Öffnungszeiten, verkaufsoffene Sonntage, an denen jeder geöffnet hat, außer jenen, denen das gesetzlich untersagt ist, wie zum Beispiel Friseure. Im Prinzip müssen Fußgängerzonen nur beobachten, was der Wettbewerb tut. Wenn es Einzelhandelsvereine gibt, in denen alle die gleiche Sprache sprechen, dann können die auch das, was Einkaufszentren können. Aber es wird nicht getan. Beispiel Hoyerswerda: Einmal im Jahr sind Tausende von Menschen in der Altstadt, nämlich beim Weihnachtsmarkt. Und viele Geschäfte haben geschlossen – das ist traurig. Wenn man im Alltag sieht, der eine hat von 1 bis 2 zu, der andere von 2 bis 3, dann ist das Einkaufserlebnis getrübt. Es gibt ja in der Altstadt mittlerweile nur noch wenige Einzelhandelsgeschäfte, doch die sind sehr erfolgreich. Diese haben ihre Stammkundschaft an sich gebunden, zum Beispiel Herr Scholze mit seinem Juweliergeschäft. Oder nehmen Sie die Gastronomie. Unser Nordsee-Restaurant macht seinen Umsatz zwischen 11 und 14 Uhr. Abends passiert in Hoyerswerda ab 18 Uhr nicht mehr viel. Trotzdem hat Nordsee von 9 bis 20 Uhr geöffnet. Stellen Sie sich vor, man öffnet nur von 10 bis 15 Uhr. Auch das hat was mit Onlinehandel zu tun. Wir arbeiten daran, zum Oberzentrum für die Region zu werden. Und wir sind auf einem guten Weg.

Was bringen verkaufsoffene Sonntage?

In der Oster- und Vorweihnachtszeit sehr viel. Der verkaufsoffene Sonntag zum Stadtfest ist für uns wirtschaftlich unbedeutend. Doch es ist ein unbezahlbares Image-Wochenende. Stellen Sie sich vor: Auf dem Lausitzer Platz sind 50 000 Menschen und wir haben geschlossen – das wäre pure Arroganz. Das ist der Punkt, wo ich an die Fußgängerzonen dieser Republik appelliere: mehr Einigkeit, ohne dass man dazu gezwungen wird. Man muss Nischen füllen, um gegen Online zu gewinnen.

Atmosphäre ist besonders wichtig in der Adventszeit. Das Lausitz-Center ist für seine aufwendige Dekoration bekannt. Lohnt sich das?

Wir freuen uns, Atmosphäre zu schaffen. Wenn ich sehe, dass in der Vorweihnachtszeit Menschen aus ganz Ostsachsen, aus Berlin und Dresden nach Hoyerswerda kommen, freilich nicht zu Tausenden, – aber wenn diese dann sagen: „Die Weihnachtsdekoration, die ist so toll, deswegen kommen wir her“ – das macht schon stolz. Da muss man auch aufpassen, dass es nicht nur um Wirtschaftlichkeit geht. Wenn ich also sage, dass unsere Weihnachtsdekoration jedes Jahr 60 000 Euro kostet, und man mich dann fragt, was das wirtschaftlich bringt, dann kann ich das nicht beantworten. Ich weiß nur, dass wir im Dezember jeden Tag 20 000 Menschen hier als Gäste haben – bei knapp 30 000 Einwohnern in der Stadt. Ich behaupte, es ist erfolgreich.

Fragen: Uwe Schulz