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Ex-Pegelwärter führt Eis-Tagebuch

Frostige Winter sind selten geworden. Doch 1995/96 zeigte Joachim Lauckners Thermometer an 78 Tagen Minusgrade.

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© D. Thomas

Von Heike Heisig

Roßwein/Niederstriegis. Trotz mehrerer frostiger Tage hat sich auf der Freiberger Mulde im Bereich Roßwein an vielen Stellen erst im Uferbereich eine zarte Eisschicht gebildet. Etwas anders sieht es auf der viel schmaleren Striegis aus. Die hat Joachim Lauckner immer noch im Blick, obwohl er sein Ehrenamt als Pegelwart längst an den sprichwörtlichen Nagel gehängt hat. Von 1993 bis 2016 gehörte es auch zu seinen Aufgaben, die Temperaturen zu notieren. Das hat er akribisch in einer Tabelle getan.

Joachim Lauckners Sohn Andreas hat 1971 über dicke Eisschollen gestaunt.
Joachim Lauckners Sohn Andreas hat 1971 über dicke Eisschollen gestaunt.

Für jeden Wintermonat notierte der heute 84-Jährige die Tage, an denen das Thermometer unter Null Grad fiel. Im Winter 1995/96 war das 78-mal der Fall, also zusammen länger als zwei Monate. Für diesen Winter konnte Lauckner noch andere erstaunliche Daten notieren. Damals wurden elf Eislöcher in die Striegis gehackt. In der Flussmitte hatte das Eis eine Stärke von 32 Zentimetern, am Rand immer noch von 26 Zentimetern. In den folgenden Wintern vermerkte der Niederstriegiser immer noch um die 30 Eistage pro Winter, in den zurückliegenden Jahren waren es häufig nur noch fünf bis sechs Tage, an denen die Temperaturen im Keller blieben.

Joachim Lauckner ist mit der Striegis als „Nachbar“ aufgewachsen. Sein Großvater Max Lorenz war ab 1951 Pegelwärter, Vater Otto Lauckner trat 1953 dessen Nachfolge an. „Mit den Messungen und den Aufzeichnungen habe ich schließlich aus gesundheitlichen Gründen aufgehört, nicht, weil es mir keinen Spaß mehr gemacht hat“, sagt der Rentner. Vom Eisgang auf der Striegis habe er für sich und seine Familie nie eine Gefahr ausgehen sehen. „Als Kinder hatten wir große Freude, in den alten Schlittschuhen unserer Großeltern auf dem zugefrorenen Eis zu laufen“, erzählt er. Sein Großvater habe mit einem großen Schneeschieber manchmal sogar noch den Schnee beiseite geräumt, damit die Jung es auf den Kufen leichter hatten. Dass jemand eingebrochen ist, daran kann sich Joachim Lauckner nicht erinnern. Wohl aber an ein Ereignis mit mächtig Bums.

„Es muss im Winter 1947 gewesen sein. Da war der größte Eisgang, den ich je erlebt habe“, so der 84-Jährige. Schon in der Mulde hätten sich Eisschollen an der Eisenbahnbrücke gestaut, aus Richtung Grunau seien auf der Striegis die nächsten Eisschollen angekommen und hätten sich verkeilt. „Wir Kinder waren gerade im Konfirmandenunterricht, als unsere Lehrer uns erlaubte, aufzustehen und an die Fenster zu gehen.“ Sie hätten mehrere Detonationen gehört. Ein Mitarbeiter des Steinbruchs in der Nähe habe Löcher ins Eis gesprengt, damit die Eisschollen abfließen und keinen Schaden an Bauwerken wie den Brücken hätten anrichten können. „Beim ersten Mal hat das noch nicht funktioniert. Es folgten weitere Sprengungen. Für uns war der Unterricht damit erledigt, wir durften rasch nach Hause oder an die Striegis zuschauen gehen“, berichtet der Niederstriegiser. Nach seinen Worten hat es damals auch viele große Holzstämme mit angeschwemmt, manches Feuerholz war darunter, mit dem die Anlieger an späteren kalten Tagen ihre Wohnungen heizen konnten.

Dass der Eisgang in jenem Jahr Schäden an Bauwerken anrichtete, das ist Joachim Lauckner nicht bekannt. Gesehen hat er, was die dicken Eisblöcke mit einigen der Kiefern machten, die nahe der Striegisbrücke am Eingang des Waldes stehen: „Die mächtigen Eisblöcke haben die Rinde der Bäume regelrecht abgeschält“, veranschaulicht der Rentner. Es sei noch gar nicht so lange her, da sei er wieder einmal im Wald „herumgekrochen“. An einer der Kiefern sei das noch immer zu sehen.

An den Aufzeichnungen Joachim Lauckners hätte jeder Ortschronist seine Freude. Nicht nur Details zum Wetter finden sich in seinen Unterlagen, sondern zum Beispiel auch Fakten und Fotos zur Sanierung der Striegisbrücke. Deren Wiedereröffnung ist jetzt schon 25 Jahre her.