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Einstieg in den Traumjob

Eine Meißnerin arbeitet mit Behinderten. Dafür bekommt sie nur ein Taschengeld. Trotzdem macht ihr die Arbeit Spaß.

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© Claudia Hübschmann

Von Stephan Hönigschmid

Meißen. Manchmal erkennt man erst im fortgeschrittenen Alter, was im Leben wirklich zählt. Diese Erfahrung machte auch die Meißnerin Peggy Thieme mit Blick auf die Arbeitswelt.

Nachdem sie als Mitarbeiterin eines Zulieferbetriebes jahrelang die Behindertenwerkstatt des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) in der Ziegelstraße besucht hatte, wurde ihr zunehmend bewusst, dass sie ebenfalls lieber in einem sozialen Beruf arbeiten möchte. „Die Behinderten haben mich immer so lieb aufgenommen, wenn ich vorbeigekommen bin. Außerdem hat mich wirklich interessiert, welche Geschichten sich hinter den Menschen verbergen“, erinnert sie sich.

Obwohl ein Wechsel zunächst kein Thema ist, bleibt die Vorstellung in ihrem Hinterkopf. Richtig ernst wird es dann, als einige Zeit später ihre Arbeit bei dem Zulieferer endet. Jetzt muss sie sich entscheiden. Eine gute Möglichkeit zum Einstieg bietet der 36-Jährigen dabei der Bundesfreiwilligendienst, den es jetzt seit fünf Jahren gibt.

„Ich hatte ja bereits den Kontakt zu den DRK-Werkstätten und bin dann mit Leiterin Kerstin Schmidt zu dem Schluss gekommen, dass ich den Freiwilligendienst nutzen will, um alle Facetten der Arbeit in der Werkstatt kennenzulernen“, so Thieme.

Nach erfolgreicher Bewerbung darf sie sich seit dem 1. April nun Bufdi nennen, wie die Bundesfreiwilligen abgekürzt bezeichnet werden. Seitdem kommt sie überwiegend im Förder- und Betreuungsbereich zum Einsatz.

„Ich fange meist um 7 Uhr an und begrüße die ersten Leute, die mit dem Fahrdienst vorbeigebracht werden. Anschließend frühstücken wir, singen zusammen und unterhalten uns.“ Zudem gehörten viele Spaziergänge und Ausflüge zu Zielen wie der Salzgrotte in Meißen oder dem Tierpark in Hoyerswerda zum Programm.

„Als Bufdi stehe ich dem Stammpersonal bei den Fahrten unterstützend zur Seite“, sagt Thieme. Anders würde es auch nicht gehen. Denn der Bundesfreiwilligendienst darf laut Gesetz keine regulären Arbeitsplätze ersetzen, sondern nur aus helfenden Tätigkeiten bestehen.

Dennoch ist der Einsatz in der Behindertenwerkstatt keine Arbeit wie jede andere. Nicht jedem liegt der Umgang mit Menschen, die geistig und psychisch schwerstbehindert sind und manchmal starken Stimmungsschwankungen unterliegen.

Trotz dieser Herausforderung meistert Thieme ihre Aufgabe. „Die Menschen waren vielleicht am Anfang etwas skeptisch. Aber das ist immer so, wenn jemand Neues hinzukommt“, sagt sie. Durch ihre freundliche und offene Art erobert sie die Herzen im Sturm. „Gerade Behinderte haben ein sehr gutes Feingefühl. Die merken schnell, wenn es jemand ehrlich meint“, erklärt Leiterin Kerstin Schmidt.

Trotzdem kann Sympathie keine Erfahrung ersetzen. „Es dauert schon einige Zeit, bis man sich in die verschiedenen Krankheitsbilder wie zum Beispiel den Autismus und das Downsyndrom eingearbeitet hat und dann adäquat darauf reagieren kann“, so Schmidt.

Peggy Thieme ist dazu bereit und lernt jeden Tag hinzu. Sie fühlt sich sichtbar wohl in ihrer neuen Umgebung und schätzt besonders die kollegiale Atmosphäre in dem Haus. „Der Kontakt mit dem Stammpersonal ist sehr gut. Wenn man eine Frage hat oder sich unsicher fühlt, stehen sie einem jederzeit zur Seite“, sagt Thieme. Neben ihrer Arbeit im Förderbereich, in dem Menschen betreut werden, die nicht arbeiten können, kommt sie auch in der 280 Mitarbeiter zählenden Werkstatt zum Einsatz kommt. Hier setzten Behinderte unter anderem Bauteile für die Autoindustrie zusammen. Für die Tätigkeit erhält sie ein Taschengeld, das für 40 Stunden etwa 380 Euro beträgt. Zudem ist sie komplett sozialversichert.

Mit ihrer späten Umorientierung folgt Thieme einem Trend, der beim Bundesfreiwilligendienst seit der Einführung zu beobachten ist. „Etwa 70 Prozent unserer Bufdis sind über 27 Jahre alt. Viele wollen etwas Neues ausprobieren und zum Beispiel Erzieher werden. Der Dienst eignet sich gut, zum Reinzuschnuppern“, sagt die Leiterin der Freiwilligendienste beim DRK Sachsen, Maria Hille, die ein positives Fazit der ersten fünf Jahre zieht und vor allem das Bildungsangebot mit 14 Seminartagen pro Jahr herausstellt.

Aktuell bietet das DRK in Sachsen 97 Plätze an. Interessenten können sich unter: [email protected] melden.