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Einmal Striezelmarkt reicht für ein ganzes Jahr

Warum eine Frau aus Portugal lieber im kalten Dresden arbeitet als sich in ihrer warmen Wahlheimat zu erholen.

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© René Meinig

Von Christoph Springer

Elke Gintars hat ihre Strickmütze tief ins Gesicht gezogen und zusätzlich unter einer Kapuze versteckt. Sie fröstelt ein wenig in Dresden, denn eigentlich ist sie andere Temperaturen gewohnt. Portugal ist ihre Heimat. Dort lebt sie an der Südküste. Doch jetzt ist sie Dresdnerin auf Zeit, etwa vier Wochen lang. Elke Gintars arbeitet auf dem Striezelmarkt.

So mag die Wahlportugiesin Elke Gintars ihre Kunden. Die fünfjährige Nele Nasdala und Maia Götze haben Kerzen verziert.
So mag die Wahlportugiesin Elke Gintars ihre Kunden. Die fünfjährige Nele Nasdala und Maia Götze haben Kerzen verziert. © Christian Juppe

Draußen regnet und hagelt es bei knapp über null Grad, und auch im Kerzenstand gleich bei der Kreuzkirche ist es nicht behaglich warm. „An der Algarve sind es jetzt 20 Grad, man kann noch im Meer schwimmen“, erzählt die gebürtige Aachenerin über ihre Wahlheimat. Trotzdem kommt sie seit sieben Jahren gern auf den Striezelmarkt. Denn die Arbeit im Kerzenstand macht ihr Spaß, und sie wird gut bezahlt. „Ich lebe von sehr wenig Geld“, sagt die gelernte Erzieherin. „Wenn ich wirklich sparsam bin, kann ich ein ganzes Jahr lang mit dem auskommen, was ich hier verdiene.“

Eine Summe mag sie nicht nennen, nur so viel: In Portugal reichen 300 bis 400 Euro pro Monat. Vorausgesetzt, man lebt wie die 51-Jährige in einfachen Verhältnissen. Ihr Zuhause ist ein Tipi, daneben steht noch ein Wohnmobil, das sie nutzen kann. Strom und Wasser bekommt sie gratis.

Elke Gintars bezeichnet sich als Travellerin, eine Reisende. Arbeitet sie nicht in Dresden, nimmt sie in Portugal Gelegenheitsjobs an oder näht Mokassins, die sie dann verkauft. Im Kerzenstand auf dem Striezelmarkt teilt sie sich die Arbeit mit drei weiteren Kollegen. Dazu gehört auch die 27-jährige Madita Ludwig. Sie stammt aus Hamburg, ihre Wahlheimat ist La Rochelle, eine Hafenstadt in Südwestfrankreich. Zum dritten Mal hilft sie in diesem Jahr auf dem Striezelmarkt. „Da hat man dann wieder genug Geld, um ein halbes Jahr zu leben“, erklärt sie ihre Motivation, bei Wind und Wetter in dem mäßig geheizten Stand auszuhalten. Außerdem ist sie mit Elke Gintars befreundet. Durch sie ist die 27-Jährige überhaupt an den Job in Dresden gelangt. Inzwischen gehört er zu ihrem Jahresprogramm. Und ihr Freund? Der wartet in Frankreich auf die Rückkehr der 27-Jährigen. Die wochenlange Trennung nimmt Madita Ludwig für den Verdienst auf dem Striezelmarkt gern in Kauf. „Danach hat man auch genug Zeit, zu machen, was man wirklich möchte.“

Elke Gintars weiß vor allem, was sie nicht mehr möchte: in ihrem erlernten Beruf als Erzieherin arbeiten. „Für den Stress, den man dabei hat, bekommt man eine schlechtere Bezahlung als ein Müllmann“, beschreibt sie ihre Erfahrungen. „Ich habe die Schnauze voll, hier in diesem Beruf zu arbeiten.“ Auch in Portugal sei das nicht besser. Die Arbeit mit Kindern, denen sie zeigt, wie man Kerzen zieht und anschließend hübsche Muster ins Wachs schnitzt, mag sie dagegen sehr. Vielleicht hilft ihr dabei auch ein wenig ihre Ausbildung. Eine ihrer Besucherinnen ist Nele Nasdala. Die Fünfjährige aus Dresden schnitzt Motive in eine orange und rot gefärbte Kerze. „Meine erste habe ich dem Papa geschenkt“, sagt sie und schneidet weiter kleine Stücke aus dem Wachs.

Portugiesin ist Elke Gintars noch nicht. Die Sprache beherrscht sie nur zum Teil, die Travellerweltsprache ist aber ohnehin Englisch. Damit kommt die 51-Jährige auch im portugiesischen Alltag gut zurecht. „Es ist eines der friedlichsten Länder der Welt“, sagt sie über ihre neue Heimat. „Aber da ist auch nicht mehr alles so wie früher.“ Sich mit dem Wohnmobil einfach an den Strand zu stellen, ist inzwischen auch in Portugal tabu und die einheimischen Nachbarn haben mit den Campern ähnliche Probleme, wie sie auch Deutsche hätten. „Stellen Sie sich mal vor, auf Sylt würden sich plötzlich viele Traveller einrichten“, deutet Elke Gintars an, was zu Spannungen zwischen den Zugereisten mit Zelten und Wohnmobilien und den Einheimischen in ihren Häusern führt.

Ohnehin muss sie ihre Lebensweise demnächst ein wenig ändern. „Inzwischen bin ich Oma“, räumt die Wahlportugiesin zum Schluss ein. Deshalb muss sie in ihrer Ex-Heimat Deutschland wieder ein wenig sesshafter werden. Schließlich ist die Weihnachtszeit nur halb so schön für ihr Enkelkind, wenn die Oma gerade an der Algarve baden geht.