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Einfach anders

Mode, die individuell und vielseitig ist, ist das Markenzeichen von Sandra Jahn. Die Knickerbocker wurden der erste, überraschende Bestseller ihres Leipziger Modelabels Rosentreter.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Her mit dem schönen Leben“ steht auf dem Foto, das hinter dem Zuschneidetisch hängt. Der steht im Westwerk, einem roten Backsteingebäude am Karl-Heine-Kanal mitten in Leipzig-Plagwitz.

Wirtschaft in Sachsen Diesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft und ihre Macher finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“ – dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung, erhältlich am Kiosk und an Tankstellen. Gern
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Sandra Jahn sitzt an ihrer Nähmaschine, die sich mit lautem Rattern über eine Knopfleiste quält. Der Stoff ist schwer und dick. Er gehört zu einer Hose, die von ihrem künftigen Träger sehnsuchtsvoll erwartet wird. In wenigen Stunden will er da sein, um sein neues Beinkleid abzuholen. Und dann wartet noch ein gutes halbes Dutzend weitere Aufträge.

Sandra Jahn macht Mode, die Nähmaschine gehört schon viele Jahre zum Leben der 39-Jährigen. Die Erste bekam sie von ihrer Mutter geschenkt, die selbst viel und gern nähte. Zum Beweis läuft Sandra Jahn zu einem Regal. Über ihr baumeln die Schnittmuster, darunter steht eine Kiste mit Erinnerungsstücken. Sandra Jahn holt ein kleines weißes Kleid heraus, der rote Rundkragen setzt einen schönen Farbakzent. Es ist gut 35 Jahre her, dass sie dieses Kleid getragen hat. Fast zärtlich streicht Sandra Jahn über den Stoff.

Schon als Kind hatte sie fast nie etwas von der Stange in ihrem Kleiderschrank. Der Wunsch, individuell zu sein, ist bis heute geblieben – und er drückt sich in den Schnitten von Sandra Jahn aus. Ihr Fundus ist über die Jahre gewachsen. Einen Anfang hat die gebürtige Großenhainerin in den frühen 90er-Jahren gemacht, als sie in Plauen ihre Ausbildung zur Euromodeschneiderin begann. Drei Jahre Lernen mit zahlreichen Aufenthalten im Ausland, auch in Frankreich – dem Modemekka schlechthin. „Ich war abends immer die, die das Licht ausgemacht hat“, erinnert sich Sandra Jahn. Sie hat die Maschinen genutzt, um mit Stoffen und Stichen zu experimentieren. In Plauen entstanden auch ihre ersten Kollektionsteile, die in einem kleinen Clubware-Store verkauft wurden. Die Zahl der Käufer wuchs.

Doch Sandra Jahn war die Welt im beschaulichen Vogtland bald zu eng. Sie suchte Inspiration und fand sie in der Leipziger Baumwollspinnerei. 2003 gründete sie hier ihr eigenes Modelabel mit dem Namen Rosentreter. Drei Jahre war Sandra Jahn Mieterin in den Klinkerbauten, umzingelt von Künstlern, die fast alle erst am Nachmittag ihr Tagwerk begannen. „Ich war Fräulein Immerda und heizte das halbe Haus“, sagt Sandra Jahn. Die Heizkosten wuchsen ihr über den Kopf – und die Designerin suchte sich im Westwerk eine neue Bleibe. Bis Ende letzten Jahres hatte sie die beiden Räume für sich. Vor Kurzem erst ist hier mit Stefan Weigert ein Schmuckgestalter eingezogen. Die Jungunternehmer teilen sich Show-room, Werkstatt und Miete. Die hat sich nach einem Eigentümerwechsel fast verdoppelt.

Die Geschäfte von Sandra Jahn gehen gut – nach einigen Anlaufschwierigkeiten. Viele Monate reichten die Aufträge nicht zum Leben. Seit 2012 aber stellt sie ihre Knickerbocker auch auf die Onlineplattform Dawanda. Die Stoffqualitäten sind wählbar, am liebsten arbeitet Sandra Jahn mit schweren Wollstoffen, den Tweeds. Die wärmen im Winter, kühlen im Sommer, sind atmungsaktiv und halten Nässe fern. Alleskönner, auf die schon unsere Vorfahren schworen. Unkaputtbar und trotzdem edel.

Die Knickerbocker gefielen, und Jahn verdoppelte binnen weniger Wochen ihre Umsätze. Bald kam eine Weste für den Herren dazu, und als auch immer mehr Frauen Interesse an der Knickerbocker anmeldeten, entwarf Sandra Jahn ein Damen-Modell. Der Grundpreis liegt bei 135 Euro. Sonderwünsche wie Schnallen und Knopflöcher für Hosenträger kosten extra.

Noch ist das Label ein Geheimtipp. Aber die Anhängerschaft reicht schon bis nach Übersee. Erst kürzlich hat Sandra Jahn ein Paket nach New York geschickt, mit Pullovern, Westen und Hosen aus edlem Tweed. Die Stofflieferanten der Designerin sitzen in Italien, Schottland und Bayern. Mindestens 60 Euro kostet der laufende Meter, für ein Jackett braucht man zwei davon. Sandra Jahn versucht dennoch, knapp zu kalkulieren. „Meine Mode soll bezahlbar sein und nicht nur einer kleinen Elite vorbehalten bleiben“, sagt sie.

Wer sich für eines ihrer Stücke entscheidet, kauft vielleicht nicht für ein Leben, aber für ein halbes. Entsprechend hoch sind die Maßstäbe, die Jahn bei ihrer Arbeit anlegt. Da sie fast ausschließlich auf Vorbestellung schneidert, kann es schon einmal drei Wochen dauern, bis die gewünschte Hose fertig ist. Aber was sind drei Wochen bei einem halben Leben.