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Einer für vier

Lange gesucht: Als neuer Stadtwehrleiter hält Daniel Seitz die vier Ortswehren von Bernstadt zusammen. Er ist schon oft an seine Grenzen gegangen.

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© Matthias Weber

Von Susanne Sodan

Bernstadt. Der kleine Feuerwehrmann tut nicht, was er soll. Statt Feuer zu löschen, verbreitet er Rauch. Nicht sehr vorbildlich. Bleiben darf er trotzdem in dem Haus in Dittersbach. Hier gibt es ja jemanden, der weiß, was bei Rauch und Feuer zu tun ist. Daniel Seitz ist Feuerwehrmann – und zwar gleich dreifach: Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr Dittersbach, arbeitet bei der Berufsfeuerwehr in Dresden und ist jetzt der neue Stadtwehrleiter für Bernstadt. Ein Posten, der lange unbesetzt war.

Wer schon länger bei der Feuerwehr in Bernstadt dabei ist, kennt den Namen Seitz wahrscheinlich. „Mein Vater war Feuerwehrmann, ich selber bin mit 16 in die Ortswehr Dittersbach eingetreten“, erzählt Daniel Seitz. Dann führte sein Weg aber erst einmal in eine andere Richtung, gen Westen. Dort arbeitete Seitz beim Rettungsdienst. Die Sache mit der Feuerwehr blieb ihm aber immer im Kopf. „Die Berufsfeuerwehr ist für viele die Königsklasse“, sagt Daniel Seitz. Auch für ihn. „Man arbeitet außerhalb des normalen Lebens. Wenn wir ausrücken, ist etwas außer Kontrolle geraten, jemand ist an eine persönliche Grenze gestoßen“, beschreibt Seitz die Faszination Feuerwehr. In diesen schweren Situationen versuchen die Retter, die Menschen aufzufangen.

2002 bewarb sich Seitz bei der Berufsfeuerwehr in Stuttgart. Dafür muss man mehrere Eignungstests absolvieren: Sport- und Theorietest sowie einen psychologischen. Trotz zwei Bewerbungsversuchen mit guten Testergebnissen wurde er nicht angenommen. „Ich hatte die Sache dann aufgegeben.“ Bis er einen ehemaligen Schulfreund aus der Heimat traf. Der fragte, warum er es nicht in Görlitz versuchen würde, dort gebe es auch eine Berufswehr. 2005 bewarb sich Seitz sowohl in Görlitz als auch in Dresden. Ergebnis: zwei Zusagen. Er entschied sich für Dresden. „Ausschlaggebend war, dass ich gern weiter Rettungsdienst fahren wollte. In Görlitz war das damals nicht möglich.“

Ein Einsatz mit der Berufswehr, den er nicht vergessen kann, ist der schwere Unfall auf der A4 vor zwei Jahren. Um zwei Uhr nachts hatte ein Reisebus nahe der Auffahrt Dresden-Neustadt einen anderen gerammt, dann die Mittelleitplanke durchbrochen. Im Gegenverkehr war er frontal mit einem Transporter zusammengestoßen und schließlich eine Böschung hinabgestürzt. 68 Verletzte, elf Tote. „Als wir ankamen war es still und dunkel“, erinnert sich Seitz. „Wir haben den Transporter gesehen. Der war gar nicht mehr erkennbar.“ Die Insassen waren tot, die Situation konfus: „Da war der Transporter, aber wo war der Unfallgegner?“ Den Reisebus entdeckten die Kameraden kurz darauf unterhalb der Böschung. Daniel Seitz erzählt das sehr ruhig, sehr sachlich. Vielleicht könnte man sagen: typisch Feuerwehrmann. In Stresssituationen die Ruhe bewahren – das muss man bei der Feuerwehr können. „Im Einsatz ist die Situation auch einfacher als danach. Vor Ort kann ich helfen.“ Die Gedanken kommen später.

Auch heute arbeitet Seitz noch bei der Berufswehr Dresden, im Schnitt ist er zwei Tage pro Woche dort. „Wir arbeiten in 24-Stunden-Schichten“, erklärt er. Das Zuhause der Familie Seitz ist mittlerweile aber wieder in Dittersbach. „Hier bin ich aufgewachsen, hier steht mein Elternhaus.“ Am Stadtleben hänge er auch nicht sonderlich. „Meine Frau sagte: Wenn wir nach Dittersbach ziehen, dann bevor unser großes Kind in die Schule kommt.“

Das Leben auf dem Dorf hat einen großen Vorteil, zumindest wenn man bei der Feuerwehr ist. Den Alarmpiepser braucht Daniel Seitz gar nicht. Die Sirenen, die zum Einsatz rufen, hört er auch so. Der erste Gedanke in einem solchen Fall: Sind die Kinder versorgt? Ohne seine Frau, ohne eine Feuerwehrfamilie würde das alles ohnehin nicht funktionieren, sagt er. Der nächste Gedanke: Wo sind die Schlüssel? Dann spurtet er zum Auto und fährt zum Dittersbacher Depot. Das ist nur wenig Hundert Meter vom Wohnhaus entfernt. Ein paar Sekunden Zeit, um sich Gedanken zu machen: Was könnte passiert sein? Wenn Seitz und die anderen Kameraden dort ankommen, hat das Fax bereits die ersten Informationen von der Rettungsleitstelle ausgespuckt. Der nächste Schritt: sich organisieren. „Dafür brauchen wir viel Eigenverantwortung“, erklärt Seitz. Wer im Depot eintrifft, ordnet sich je nach seiner Ausbildung in das Einsatzsystem ein. Sich unterordnen, das muss man als Feuerwehrmann auch können. „Das ist das große Unterschied zur Berufswehr.“ Dort gibt es einen Dienstplan. Wer was in welchem Fall zu tun hat, steht zu Dienstbeginn fest. „Bei der Berufswehr würde es reichen, wenn wir alle nur Kollegen wären. Bei der freiwilligen Feuerwehr reicht das nicht. Da muss man miteinander auch gut auskommen.“

Der Gedanke, noch eine Feuerwehr-Aufgabe zu übernehmen, sei mit der Zeit gereift, erzählt Seitz. Der ehrenamtliche Posten bedeutet Aufwand: der Stadtwehrleiter muss die vier Ortswehren zusammenhalten, sich um die Ausbildung der Kameraden kümmern, mit den Ortswehrleitern ausdiskutieren, wer welche Ausrüstung braucht. Wer ihr Leiter wird, bestimmen die Kameraden in einer Wahl selbst. Doch genau das war in Bernstadt in den vergangenen Jahren das Problem: Es gab keine Bewerber. Dieses Jahr hat Bürgermeister Markus Weise (parteilos) einen neuen Versuch unternommen und die Stelle ausgeschrieben. Für Daniel Seitz gibt es jetzt kein Zurück mehr. Fast alle Kameraden haben für ihn gestimmt. Der Stadtrat hat die Wahl bestätigt. „Vieles ist in den vergangenen Jahren auch ohne Stadtwehrleiter gut gelaufen“, sagt Seitz. Als wichtige Aufgabe sieht er jetzt die Nachwuchsgewinnung. Denn Retten steht für die Kameraden ganz oben. Das sei aber nur möglich, wenn genug Personal mit guter Ausbildung da ist.