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Eine schrecklich korrupte Familie

Der Biathlon-Weltverband ist immer reicher geworden – und das Spitzenduo offenbar anfällig für krumme Geschäfte.

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© imago sportfotodienst

Von Daniel Klein

Geht es um Sportfunktionäre und deren korrupte Machenschaften, können keine Details mehr wirklich erschüttern. Dank Weltfußballverband Fifa und Internationalem Olympischen Komitee wurde die Öffentlichkeit bestens abgehärtet. Und doch macht der Skandal im Biathlon sprachlos, die immer neuen Fakten, die nun publik werden, zeigen, was passieren kann, wenn wenige Leute zu viel Macht und zu viel Einfluss bekommen.

Laut dem Report der Welt-Antidoping- Agentur (Wada), der Auslöser für die Ermittlungen der Wiener Korruptionsstaatsanwaltschaft war, sollen als Gegenleistung für die Vertuschung 65 auffälliger Blutwerte russischer Biathleten nicht nur 240 000 Euro geflossen sein. Auch von bezahlten Jagdausflügen ist die Rede und von der Vermittlung von Prostituierten. Der Norweger Anders Besseberg, seit 1992 regierender Präsident der Internationalen Biathlon-Union (IBU), soll dafür auch die Bewerbung der russischen Stadt Tjumen für die WM 2021 sehr aktiv unterstützt haben, was sein Amt eigentlich verbietet. 100 000 Euro sind laut Wada-Bericht für den Stimmenkauf an die IBU-Führungsspitze geflossen.

Tjumen gewann den Urnengang im September 2016 im ersten Wahlgang mit 25 Stimmen gegen Pokljuka (Slowenien/13) und Nove Mesto (Tschechien/10). Das Ergebnis sorgte für Verwunderung, schließlich hatte der McLaren-Report gerade erst den Vorwurf des systematischen Dopings in Russland erhoben. Gestört hat das in der IBU offenbar nur wenige. Erst als der Druck zu groß wurde, machte der Verband eine Rolle rückwärts.

Russland genoss Narrenfreiheit

Das Weltcup-Finale der gerade erst beendeten Saison wurde dagegen in Tjumen ausgetragen – unter Protest auch der deutschen Mannschaft. Andere waren überhaupt nicht erst angereist. Gewissensbisse bei der IBU? Fehlanzeige. Wenn man sich diese und ähnliche Fälle der vergangenen Jahre vor Augen führt, ergibt das ein Bild, das sich auf die Formel verkürzen lässt: Russland genoss innerhalb der IBU Narrenfreiheit. Alexander Tichonow, ehemaliger Weltklasse-Biathlet, fungierte noch jahrelang als Vizepräsident des Verbandes, obwohl er 2007 in seinem Heimatland wegen Beteiligung an einem versuchten Mord zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden war und nur aufgrund einer Amnestie wieder auf freien Fuß kam.

Doch wie konnte es soweit kommen? Warum sind die auffälligen Dopingproben und die Schmiergeldzahlungen, die bis ins Jahr 2012 zurückreichen, nie aufgeflogen? Besseberg, der sein Amt ruhen lässt, benutzt in seinen Reden ständig das Wort Biathlon-Familie, was angesichts der erhobenen Vorwürfe einen ganz neuen Klang bekommt. Dabei beschreibt das Wort die Führungsmannschaft der IBU sehr treffend: Sie ist nicht viel größer als eine Großfamilie. Wenige Entscheidungsträger sitzen im Hauptquartier in Salzburg, das sorgt für kurze Wege und rasche Entschlüsse – und ist auch ein Grund für den Aufstieg.

Kaum eine andere olympische Sportart hat sich in den vergangenen Jahrzehnten durch neue, telegene Disziplinen und eine professionelle Vermarktung so rasant entwickelt wie Biathlon. Und bei kaum einer anderen stiegen die Einnahmen durch die TV-Gelder derart gewaltig. Die IBU ist mächtig und einflussreich geworden, dabei verloren einige wohl das Gefühl dafür, was anständig und rechtens ist – und was nicht.

Nicole Resch müsste es eigentlich wissen, die aus dem thüringischen Neuhaus stammende Generalsekretärin ist Juristin. Gegen sie wird wie gegen Besseberg wegen Korruption ermittelt. Laut Wada-Report, der der ARD-Dopingredaktion vorliegt, habe sie im Verband praktisch die alleinige Hoheit über das Doping-Verwaltungsprogramm gehabt und anderen Mitarbeitern den Zugang verwehrt.

Ausbildung bei der Fifa

Die 42-Jährige, die vorläufig suspendiert wurde, legte nach ihrer früh abgebrochenen Biathlon-Karriere am Oberhofer Stützpunkt eine beispiellose Karriere hin. „Bei einem Masterstudiengang der Fifa für internationales Sportrecht habe ich das Handwerkszeug für meinen jetzigen Job gelernt“, sagte sie 2011 in einem Interview der Thüringer Allgemeine. Der deutsche Skijäger Erik Lesser hatte kürzlich erklärt, dass ihn die Machenschaften in der IBU an die bei der Fifa erinnerten ...

2007, am Tag ihrer Abschlussprüfung, wurde sie Assistentin des Generalsekretärs, ein Jahr später beerbte sie ihn. Seitdem ist Resch neben Besseberg die mächtigste Person im Biathlon. Auch ihre Antwort auf die Frage nach dem Kampf gegen Doping klingt aus heutiger Sicht ungewollt komisch: „Dem gilt meine Hauptinitiative“, erklärte sie im Interview.

Bei russischen Sportlern drückte sie da offenbar gerne mal ein Auge zu. Aber warum ausgerechnet Russland? Neben den Schmiergeldern gibt es weitere naheliegende Gründe: In keinem anderen Land stehen so viele Biathlon-Stadien mit WM-Lizenz. In keinem anderen Land greifen so viele Talente zu Kleinkalibergewehren und Langlaufskiern. In keinem anderen Land steigen die TV-Quoten bei den Übertragungen so rasant an. Möchte man solch ein Mitglied aus der Familie verstoßen?

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft steht bei den Ermittlungen auch die WM 2017 im Fokus. In Hochfilzen gewann das russische Männer-Quartett Gold, die Mixed-Staffel gewann Bronze. Laut Wada-Dossier sollen in der vergangenen Saison im Welt- und IBU-Cup 17 von 22 russischen Biathleten gedopt an den Start gegangen – und nicht überführt worden sein. Stimmen die Zahlen, wäre das Ausmaß des Betrugs tatsächlich erschütternd. Oder überrascht selbst das nicht mehr? (mit sid)