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Eine Rettungsinsel im Schluckenauer Zipfel

Schrödingers Institut kümmert sich vor allem um Roma-Familien. Gerade die Kinder leben unter schlimmen Umständen.

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© P. Laurin

Von G. Lachnit und P. Laurin

Region. Es ist wie im Mittelalter, sagt Gabriela Dousova. „Viele Leute leben hier in den Tag hinein, haben weder Pläne noch Ziele, weder Geld noch Bildung“, ergänzt die Direktorin von Schrödingers Institut. Das Institut in der tschechischen Nachbarregion des Oberlandes ist eine Einrichtung der katholischen Kirche im Bistum Leitmeritz. Es ist vor etwa zehn Jahren gegründet worden, um die soziale Lage im Schluckenauer Zipfel zu verbessern. Heute ist das Institut in neun Städten und Gemeinden des Gebietes tätig.

In Jirikov (Georgswalde) betreibt es einen Klub für Kinder. „Kätzchen“ (Kotatko) heißt er. Dort treffen sich vormittags mehr als 30 Kinder aus Jirikov, Rumburk (Rumburg) und Mikulasovice (Nixdorf). Es sind vorwiegend Mädchen und Jungen aus Roma-Familien und Kinder aus sozial sehr schwachen Familien, die wegen der finanziellen und sozialen Misere der Familie keinen Kindergarten besuchen. Und so sind sie in fast allen Fällen auch von Bildung und Hygiene ausgeschlossen. Warmes Wasser zum Waschen oder ein Spül-Klosett erleben viele Kinder erstmals im Klub. Von zu Hause kennen sie Päckchensuppe. Dass ihre Eltern mit ihnen spielen, haben sie noch nicht erlebt. Die Eltern der Kinder sind meist Analphabeten. Die Kleinen kennen weder Schule noch Ausbildung. Die Eltern gehen nicht zur Arbeit, die Familien leben von Zuwendungen des Staates. „Sie haben keine Vergangenheit und auch keine Zukunft“, sagt Gabriela Dousova traurig. Gerade an solche Familien richtet sich die Hilfe von Schrödingers Institut. Ohne die Mithilfe von Mitarbeitern, die selbst Roma sind, stünde das Institut jedoch auf verlorenem Posten. Roma-Familien davon zu überzeugen, ihre vernachlässigten Sprösslinge in Schrödingers Institut zu schicken, gelinge nur Roma-Mitarbeitern. Andere seien da chancenlos, weiß die Direktorin.

Und so lernen die Kinder an jedem Vormittag im Klub, was Familie ist. Sie lernen richtig sprechen und gesund zu essen. Sie erfahren Dinge des Alltags, die eigentlich selbstverständlich sind. Jitka Sisulakova, eine der Betreuerinnen im Klub, nennt Beispiele: „Dass man sich nach der Toilettenbenutzung die Hände wäscht, wissen die Kinder nicht. Sie können Farben nicht benennen. Für alle Kinder ist es eine neue Erfahrung, gemeinsam zu kochen und zu backen, und zwar mit frischen Zutaten“, erzählt die Betreuerin.

Ohne die Hilfe von außen wäre es diesen Menschen nicht möglich, sich in der Gesellschaft zurechtzufinden. Die Direktorin des Instituts informiert, dass etwa 5 500 Mitglieder dafür sorgen, dass etwa 2 000 Menschen unterstützt werden können. Schrödingers Institut ist keine Stiftung. Es hat sich der Fürsorge für Benachteiligte verschrieben. Das Institut bietet auch preiswerte sportliche und musikalische Aktivitäten in der Freizeit an.

Warum gerade im Schluckenauer Zipfel so viele sozial Schwache leben, hat historische Gründe. Vor der politischen Wende gab es viele Betriebe: Totex, Jawa, Bytex, Grafostroj. „Das ist alles vorbei“, bedauert der Vizebürgermeister von Georgswalde, Miroslav Horak. In dem Grenz-Städtchen leben 3 800 Menschen. Jeder Zehnte von ihnen gehört zu den sozial Schwachen. Viele davon sind Roma. Mit der Vertreibung der ursprünglich deutschen Bevölkerung gingen die persönlichen Beziehungen zu Kultur, Landschaft und Infrastruktur des Gebietes verloren. Die neuen Bewohner machten sich diese Werte nicht zu eigen, persönliche Beziehungen zu der neuen Heimat und soziale Beziehungen entstanden nicht. Das will das Team um Gabriela Dousova noch immer ändern. „Aber das ist schwer, weil es vor allem keine Arbeitsstellen in der Gegend gibt“, bedauert die Direktorin.