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Eine Nacht in der Donnerbüchse

Christian Helm hat drei Berufe. Der als Eisenbahner lässt ihn nicht los. Jetzt profitieren von seiner Leidenschaft auch andere.

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© Norbert Millauer

Von Heike Sabel

Bad Gottleuba. Die Bahnermütze auf dem Kopf, fühlt sich Christian Helm gleich wieder als Eisenbahner. Saxofon oder Klavier spielend ist er der Musiker. Und als Touristiker verbindet er beides. „Naja, das mit der Bahn ist Hobby“, sagt er. Eines, von dem nun auch andere Bahnbegeisterte profitieren können. Der erste Übernachtungsgast in seiner Donnerbüchse war ein Eisenbahnfan aus Frankfurt/Oder.

Gebaut wurde der ehemalige 4.-Klasse-Wagen 1928 in Uerdingen. 1956 wurde er der zweiten Klasse zugewiesen. 2002 übernahmen die Ostsächsischen Eisenbahnfreunde den Waggon, die ihn dann schließlich 2015 an Christian Helm verkauften.
Gebaut wurde der ehemalige 4.-Klasse-Wagen 1928 in Uerdingen. 1956 wurde er der zweiten Klasse zugewiesen. 2002 übernahmen die Ostsächsischen Eisenbahnfreunde den Waggon, die ihn dann schließlich 2015 an Christian Helm verkauften. © Norbert Millauer

Der Bahn-Wagen ist, wie die Eisenbahnwagen früher eben waren: einfach und praktisch. Richtig gefahren ist er schon seit über 40 Jahren nicht mehr, dafür lebt er nun als rustikales Bett auf Schienen wieder auf. Christian Helm hat ihn vor zwei Jahren gekauft, anliefern lassen und hergerichtet. Alte Bahnlampen bekamen Stromanschluss und sind nun Nachttischlampen. Gepäckträger und Sitze sind aus originalen DDR-Waggons. Schilder erinnern an Fahrten von Dresden nach Stralsund oder ermahnen: „Zur Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege wird dringend ersucht, nicht in den Wagen zu spucken.“ Alles echt. Nur die Notbremse ist eine Attrappe. Sie wird ja auch nicht mehr gebracht. Der Wagen steht schließlich, wo er steht.

Zum Essen ins Bahnhofscafé

Toilette und Dusche befinden sich in einem separaten Gebäude. In einem anderen sollen weitere Übernachtungsplätze eingerichtet werden. Dort schlief bis zur Stilllegung des Verkehrs auf der Gottleubatalbahn 1976 das Personal des letzten Zuges abends. Zum Essen, hofft Helm, kommen die Schlafgäste ins Bahnhofscafé. „Ein bisschen wie auf dem Zeltplatz“, sagt er. Seine Übernachtung im Bahnwagen sei im Osterzgebirge die Einzige. An der Oder stehe ein dazu umgebauter Güterwagen und in Wolkenstein ein ganzer Zug. Bisher ist eine Hälfte des reichlich 13 Meter langen Wagens eingerichtet. Die andere soll folgen. Immer unter der Maßgabe, so viel wie möglich original zu erhalten. Doch das wird schwer beim zweiten Teil. Der hölzerne Fußboden ist morsch, die Innenverkleidung entfernt, die Abdichtung kaputt. Da erklärt sich der Begriff Donnerbüchse wieder. Die ab 1921 gebauten zweiachsigen Durchgangspersonenwagen der Deutschen Reichsbahn wurden nämlich vollständig aus Eisen bzw. Stahl hergestellt. Weil auf Dämmung verzichtet wurde, dröhnte oder donnerte es beim Fahren auf den Gleisen. In den 1930er-Jahren donnerte die Büchse auch durchs Gottleubatal.

Jetzt ist es ganz ruhig in und um den Wagen und im Tal. Christian Helm überlegt, ob er noch einen Fernseher zu den drei Betten stellen soll. Die Leute würden das doch heute alle wollen. Die, die so spartanisch in einem alten Eisenbahnwaggon übernachten, wohl eher nicht. Lieber erzählt er ihnen ein paar Geschichten. Zum Beispiel, wie der Wagen vor zwei Jahren angeliefert wurde. Auf einem Schwerlasttransporter kam das Stück Geschichte angefahren, wurde dann auf das extra dafür verlegte Gleis gehievt. Da erinnerte der Wagen wirklich noch an eine Donnerbüchse. Verrostet, ohne Fenster, beschmiert.

Christian Helm hat viel Zeit investiert in sein Hobby. Immer schaut er, wo er noch Bahn-Accessoires herbekommen kann. Der Wagen ist Teil des Gesamtensembles Bahnhof Gottleuba, zu dem auch die kleine Bahn vor dem Café gehört. Die Bahn und das Gottleubatal gehören zusammen, wenn auch nicht mehr in Form dampfender Loks und donnernder Wagen. Jetzt wird um ein Aufleben auf der einstigen Bahnstrecke als Radweg gekämpft. Ein paar Meter Gleis am alten Bahnhof Gottleuba sind noch frei. Zu wenig für einen zweiten Wagen, zu viel, um sie ungenutzt zu lassen. Vielleicht kommt eine Draisine als Außensitz hin, überlegt Christian Helm. Das wäre auf jeden Fall ein Fotomotiv. So wie schon der Übernachtungswagen mit den offenen Perrons. Da denkt der Bahner in Helm wieder als Touristiker.