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Eine Lehrerin rastet aus

Eine aufgebrachte Pädagogin soll in Dürrröhrsdorf einen angeblich aggressiven Schüler geschüttelt haben. War sie überlastet?

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© dpa

Von Stephan Klingbeil

Dürrröhrsdorf-Dittersbach. Kinder liefen aufgeregt über den Schulflur. Die Lehrerin erinnert sich noch genau. Es war der letzte Tag vor den Winterferien, am 6. Februar 2015. Der zehnjährige Peter* soll nach dem Sportunterricht gegen 11.20 Uhr an der Grundschule Dürrröhrsdorf-Dittersbach eine Mitschülerin in den Bauch geboxt haben. Daraufhin stellte die 56-jährige Pädagogin den Viertklässler zur Rede.

Dabei soll die Frau das Kind im Klassenzimmer am Arm gepackt und geschüttelt haben. Der Junge sei anschließend gestürzt und gegen Stühle gefallen. Dabei erlitt er Rötungen. Diese Woche musste sich die Lehrerin am Amtsgericht Pirna verantworten – wegen Körperverletzung. Der Prozess, der im vorigen Dezember begonnen hatte (die SZ berichtete), ging damit weiter.

„Ich war damals aufgebracht, weil man doch ein Mädchen nicht haut und es schon mehrere Vorfälle mit dem Jungen gab, bei denen er Konflikte mit den Fäusten ausgetragen hat“, erklärt die Angeklagte. „Ich habe ihn dann im Klassenzimmer auf Augenhöhe gezogen, ihn allerdings nicht durchgeschüttelt. Mir ist jedoch auch klar, dass ich ihn nicht auf den Stuhl hätte zurückschubsen dürfen. Das war mein Fehler.“

Eine Horterzieherin wurde kurz Zeugin des Wutausbruchs. Sie sagte: „Ich habe nur gesehen, wie der Junge fiel, und war schockiert, denn ich kenne sie so nicht“, erklärt die Pädagogin. Peter habe sie eigentlich immer eher „als lieben Jungen“ erlebt. Dennoch zeigt die Zeugin Verständnis für den Ausraster. „Das hätte nie passieren dürfen. Ich denke, dass es Hilflosigkeit bei ihr war. Man steht da immer zwischen den Stühlen, man soll ja auch andere Kinder schützen.“

Doch dies sei nicht immer so möglich, wenn man 20, 30 oder 40 Kinder betreuen soll. Es fehle an Personal, vor allem an Fachleuten für solche Fälle. Es gab an der Grundschule auch schon „etliche Überlastungsanzeigen“, so die Zeugin auf Nachfrage des Staatsanwalts. „Es ist aber keine Problemschule. Man braucht nur mehr Hilfe.“

Junge fühlte sich eingeschüchtert

Aber was geschah vor dem Ausraster? Peter betont, er sei zuvor von dem Mädchen geärgert worden. „Er hatte doch schon mehrmals plötzliche Wutausbrüche“, sagt die Angeklagte. Die Mutter des Jungen erklärt indes auf SZ-Nachfrage: „Mein Sohn fand zu seiner Lehrerin von der ersten Klasse an nie eine Verbindung.“ Außerdem sei die Kommunikation mit den Schulverantwortlichen allgemein eher dürftig gewesen.

„Und wenn es Probleme mit anderen Kindern gab, ärgerte sich mein Sohn, dass er als Schuldiger rausgezogen wurde“, sagt die Mutter. „Wie soll denn ein Kind zwischen Recht und Unrecht unterscheiden, wenn ihm keiner glaubt.“ Peter sei nicht gewalttätig. Nach dem Wechsel zur Oberschule sei er stattdessen wie ausgewechselt gewesen. Inzwischen habe er die Bildungsempfehlung fürs Gymnasium bekommen. Zum Verhalten der Angeklagten sagt sie: „Niemand hat das Recht, ein Kind so zu maßregeln, wie sie es tat.“ Und, anders als es die Angeklagte sagt, hätte sich die Lehrerin nie persönlich entschuldigt.

Stattdessen hätte die Beschuldigte bei einem Ferienschulprojekt drei Tage nach dem Vorfall erneut mit ihrem Sohn geredet. „Er fühlte sich eingeschüchtert. Und erst daraufhin habe ich die Anzeige erstattet.“ Kurz zuvor hätte es ein Gespräch zwischen der Lehrerin und Jochen Frank, dem damaligen Bürgermeister der Gemeinde, gegeben. Dieser wollte sich nicht dazu äußern: „Tut mir leid, das werde ich nicht kommentieren, solange ich nicht weiß, ob das Verfahren noch läuft“, so Frank, der inzwischen selbst wieder als Lehrer tätig ist.

Der Prozess wegen Körperverletzung ist inzwischen beendet. Einen Freispruch gab es nicht. Stattdessen wurde das Verfahren wegen geringer Schuld eingestellt. Im Gegenzug muss die Lehrerin 800 Euro zahlen.

* Der Name wurde von der Redaktion geändert.